SPD:Mit Trotz zum Wunder

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Nancy Faeser ist die neue SPD-Chefin in Hessen – am Wochenende wurde sie Landesparteitag mit knapp 89 Prozent ins Amt gewählt. (Foto: Peter Hartenfelser/imago)

In Hessen wählen die Sozialdemokraten Nancy Faeser zur Nachfolgerin von Thorsten Schäfer-Gümbel - der neuen Parteichefin bleiben bis zu den nächsten Wahlen nur zwei Jahre, um die Landespartei zu stabilisieren.

Von Susanne Höll, Baunatal

Das Zentrum des nordhessischen Baunatals ist kein sehr anheimelnder Ort. Viel Beton, wenig Historisches, kein Wunder, die Stadt entstand erst in den 1960er-Jahren, rund um ein großes VW-Werk, den größten Arbeitgeber der Region. Für die seit Langem schwer gebeutelten hessischen Sozialdemokraten ist die hiesige Stadthalle der richtige Ort für ihren Landesparteitag, auf dem sie am Wochenende nicht nur eine neue Führung wählten, sondern auch Hoffnung schöpften in der existenziellen Krise der Bundespartei.

Baunatal mit seinen 28 000 Einwohnern ist, noch jedenfalls, eine rote Hochburg in Hessen. Bei der Landtagswahl erreichte die SPD dort mit gut 30 Prozent ein Spitzenergebnis. Sozialdemokraten haben die Geschicke der Stadt bestimmt, Bürgermeisterin Silke Engler ist eine überzeugte Genossin. Vor Zweifeln ist aber auch sie nicht gefeit. Sie fragte sich nach dem mit gut acht Prozent schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten bei der Thüringen-Wahl, ob sie nun Mitglied einer Splitterpartei sei. So formulierte sie es zur Eröffnung des Parteitags. Immerhin, die vielen desillusionierten Delegierten versuchte sie auch zu trösten: Der Blick auf die gut gefüllte Tagungshalle sei doch erfreulich.

Auch ansonsten machten sich die Sozialdemokraten an diesem Samstag wechselseitig sehr viel Mut. Den brauchen sie auch dringend. Zwei Jahrzehnte sind sie in ihrem einstigen Stammland Hessen nun in der Opposition, bei der Landtagswahl 2018 wurden sie nur drittstärkste Partei, hinter der CDU und den Grünen.

Von der Bundespartei erhofft sich niemand auf absehbare Zeit irgendeinen Rückenwind, ganz egal, welches Duo es in der anstehenden Stichwahl in den Bundesvorsitz schafft. "Wir sind auf uns allein gestellt, von außen ist nichts zu erwarten", beschreibt einer aus der Führungsriege die rote Not.

Diejenige, die die hessischen Dinge zum Besseren wenden soll, heißt Nancy Faeser. Sie ist 49 Jahre alt, war bislang Generalsekretärin und unumstrittene Anwärterin auf die Nachfolge von Thorsten Schäfer-Gümbel. Der hatte als Partei- und Fraktionschef drei Mal versucht, Ministerpräsident in Wiesbaden zu werden. Nun zieht er sich, wenn auch schweren Herzens, aus der Politik zurück, er hat inzwischen einen Spitzenposten bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

In Baunatal wurde Schäfer-Gümbel verabschiedet. Der 50-Jährige war trotz seiner Wahlniederlagen in den eigenen Reihen geschätzt, seiner Solidität und Fairness wegen. Dass er ein ehrbarer Mensch ist, beweist er auch in seiner letzten Rede. Die Verantwortung für die bittere Wahlniederlage vor Jahresfrist lädt er auf seine Schultern, Faeser soll unbelastet starten. Er, ein eher sperriger Mann, nennt die Nachfolgerin eine "Menschenfängerin". Als Chronist zeithistorischer Wahrheiten erinnert er auch daran, dass die Bundes-SPD für Verwerfungen verantwortlich war, aber auch die hessischen SPD-Mitglieder gehörige Schuld an ihrer Lage tragen. Im innerparteilichen Kampf um die rot-rot-grünen Regierungspläne der früheren Chefin Andrea Ypsilanti vor elf Jahren hatten sich die Genossen untereinander blutigste Wunden geschlagen. Die sind mittlerweile einigermaßen vernarbt, auch dank der Arbeit von Schäfer-Gümbel.

Dass Faeser später mit knapp 89 Prozent zur neuen Chefin gewählt wurde, führte bei manchen Hessen-Genossen zu Irritationen, jedenfalls bei denen, die ein Resultat von satten 90 Prozent prophezeit hatten. Vielleicht ist die Sicherheitsexpertin Faeser einigen Linken zu konservativ, vielleicht erinnerten sich Kritiker, dass sie als Generalsekretärin für den zuletzt nicht erfolgreichen Kurs der Landespartei Verantwortung trägt. Gut möglich aber auch, dass die Genossen keine Lust mehr hatten auf sogenannte Traumergebnisse für Chefs und Chefinnen, die - man erinnert sich an den kurzzeitigen Bundesvorsitzenden Martin Schulz - womöglich schon bald nach ihrer Kür an sich selbst oder den Umständen scheitern.

Die Landespartei droht zu verdörren. Wer etwas bewegen will, geht in die Kommunalpolitik

Die Juristin Faeser hat, wenn man auf den Kalender schaut, zwei Jahre Zeit, um die Landespartei zu stabilisieren. 2021 stehen in Hessen Kommunalwahlen an. In sie setzt die neue Führung - auch die Vizevorsitzenden mitsamt dem Generalsekretär und der Schatzmeisterin wurden neu gewählt - ihre Hoffnungen. In Städten, Kreisen und Gemeinden haben Hessens Rote noch starke Wurzeln, obwohl auch dort der Zuspruch schwindet. "Erneuerung geht nur von unten", sagt Faeser in ihrer Bewerbungsrede. "Wir wollen die große kommunalpolitische Partei bleiben", fügt sie hinzu. Und auch sie versucht, ihren Genossen Zuversicht zu geben. "Seid mutig!", ruft sie ihnen zu. Selbstmitleid sei keine Lösung, schon gar nicht in diesen vergleichsweise freudlosen Zeiten.

Freudlose Zeiten? Das ist eine recht freundliche Beschreibung der aktuellen SPD-Welt. Die, die jenseits der Saalmikrofone in Baunatal über die Misere der SPD wehklagen, treibt allerdings weniger Selbstmitleid, sondern tiefe Verzweiflung, vielleicht auch Wut. "Olaf (Scholz) und Klara (Geywitz) werden unseren Niedergang nicht rückgängig machen", sagt ein gestandener hessischer Sozialdemokrat, der den Bundesfinanzminister noch als SPD-Generalsekretär im Bund kennt. Andere fürchten, dass sich beim Bundesparteitag am 6. Dezember die Befürworter eines vorzeitigen Endes der großen Koalition mit der Union im Bund durchsetzen könnten. "Was sollen wir von Neuwahlen erwarten?", fragt ein Landespolitiker und tippt sich mit dem Finger an den Kopf.

Mut? Zuversicht? Stolz? Davon ist in Baunatal wenig zu spüren. Bestenfalls noch Trotz, sich gegen die widrigen Umstände zu wehren. Zumindest liegt die Hessen-SPD in der nach oben offenen Misere-Skala auf einem vergleichsweise guten Platz. Sie ist bislang keine Splitterpartei, steht besser da als die Sozialdemokratie in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen oder Thüringen. Aber die Landespartei droht zu verdörren. Wer etwas bewegen will, geht in der Kommunalpolitik.

Die Hessen-SPD braucht sozusagen ein Wunder. Und die sind auch in diesen finsteren Zeiten möglich. Schäfer-Gümbel schenkte Faeser zum Amtsantritt zwei Banner der Fans von Eintracht Frankfurt, die regelmäßig ihre Mannschaft mit Stadionchoreografien unterstützen. Faeser ist eine leidenschaftliche Eintracht-Anhängerin. Die Frankfurter besiegten am Samstag Bayern München mit 5:1.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den ehemaligen Hessen-SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel fälschlichweise "Thomas" genannt.

© SZ vom 04.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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