SPD:Machen Sie's gut

Lesezeit: 3 min

Die Verlassene: Der tiefe Sturz der Andrea Nahles und ihrer Partei. Wirkliche Abhilfe ist trotz Basisdemokratie nicht in Sicht.

Von Mike Szymanski

Der 2. Juni 2019 dürfte in die lange Geschichte der SPD als der "Nahles-Moment" eingehen. Es war ein schöner Sonntag in der Hauptstadt, als sich die erste Frau an der Spitze der Partei nach nur gut einem Jahr im Amt in einem harten Schnitt von der großen Politik löste. Sie schrieb einen Brief an die Genossen. Besonders ein Satz ließ aufhorchen: "Ich hoffe sehr, dass es Euch gelingt, Vertrauen und gegenseitigen Respekt wieder zu stärken und so Personen zu finden, die Ihr aus ganzer Kraft unterstützen könnt." Nachdem sie in der Parteizentrale Abschied genommen hatte, verließ sie das Willy-Brandt-Haus mit den Worten: "Machen Sie's gut." Die 48-Jährige machte sich auf in ein Leben nach der Politik.

Die SPD kann gnadenlos sein: Andrea Nahles tritt 2019 vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurück. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Nur, in der SPD ist sie immer wieder Thema. Die Gespräche beginnen oft so: "Ein Umgang wie mit Andrea Nahles darf sich in der SPD niemals wiederholen." Die SPD hat schon viele Vorsitzende vor ihr unglücklich gemacht, aber Nahles' Scheitern dürfte die Partei prägen wie wenige Niederlagen zuvor. Sie bekommt nicht einfach eine neue Chefin oder einen neuen Chef. Sie bekommt beides, eine Doppelspitze aus Mann und Frau. Den Mitgliedern wurde diese Lösung als Modernisierungsschub angeboten, dazu gehörte eine Deutschland-Tour der Bewerber mit 23 Stationen. Wer aber mit Verantwortlichen spricht, hört vor allem: Eine Person allein genügt mittlerweile nicht mehr, um diese Partei führen zu können. Die Doppelspitze, das Mitgliedervotum - beides soll auch Schutzschild sein für die beiden Personen an der Spitze. Die SPD, das hatte der Umgang mit Nahles gezeigt, kann gnadenlos sein.

Ein Schock für viele Genossen - aber keineswegs für alle: Nahles am 3. Juni, einen Tag nach ihrem Rücktritt, vor der SPD-Parteizentrale in Berlin. (Foto: John MacDougall/AFP)

Nahles hatte schon bei ihrer Wahl zur Vorsitzenden im April 2018 den Gegenwind zu spüren bekommen. Die Flensburger Oberbürgermeisterin und erklärte Gegnerin der großen Koalition, Simone Lange, hatte mit ihr konkurriert. Mit nur 66 Prozent bei ihrer Wahl startete Nahles ins Amt, ohne Glanz und Euphorie. Sie hätte die Trümmerfrau der SPD sein sollen, aber es gelang ihr nicht, diese wieder zu einem funktionierenden Gebilde zusammenzusetzen.

Seit 30 Jahren gehört Nahles der SPD an, bereits als Gymnasiastin gründete sie einen Ortsverein. Sie lernte die Instrumente der Macht kennen. Sie steckte Verwundungen weg und verwundete andere. Sie kam von den Parteilinken, hatte ihre erfolgreichste Zeit als Arbeitsministerin und rückte politisch immer weiter in die Mitte. Die Neuauflage der ungeliebten großen Koalition hätte es wohl nicht gegeben, wenn sie das Bündnis nicht mit einer leidenschaftlichen Parteitagsrede in Bonn herbeigebrüllt hätte. Nur: Leute, die Rechnungen mit ihr offen hatten, standen nun, nach all den Jahren, auf allen Flügeln. Das sagenhafte Gefühl für diese Partei, das sie so instinktsicher bis ganz nach oben getragen hatte, verließ sie. Genossen schämten sich für ihre Auftritte, für Worte wie "Bätschi" oder "in die Fresse", für Albernheiten im Karneval. Nahles machte Fehler. Verziehen wurde ihr nichts. Sie sollte nicht so sein, wie sie ist.

So viele Feinde: Andrea Nahles zog die Konsequenzen aus den Wahlniederlagen der SPD. (Foto: Michael Sohn/AP)

Nahles erzählte mal, dass sie nachts manchmal nur zwei, drei Stunden schlafe. Derart laste die Verantwortung auf ihr.

Nach einer Reihe von Wahlniederlagen in den Ländern konnte sie die Stimmung nicht mehr drehen. Eine denkwürdige Fraktionssitzung geriet zur Abrechnung mit ihr. Aber auch die Genossen zerfleischten einander derart, dass die Verletzungen monatelang nach Nahles' Rückzug zu besichtigen waren.

Die Erwartungen an die Neuen sind jedenfalls nicht gering. Sie sollen einen Weg aufzeigen, die SPD aus der großen Koalition heraus, aber nicht weiter an den Abgrund zu führen. Als hätte Nahles geahnt, dass mit ihrem Rückzug erst mal nichts leichter würde, schrieb sie in ihrem Brief an die Genossen: "Bleibt beieinander und handelt besonnen!"

Als die Entscheidung über den Vorsitz dann am 30. November endlich fällt, gibt es eine milde Überraschung. Die Favoriten, Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die Brandenburgerin Klara Geywitz, scheitern beim SPD-Mitgliederentscheid. Sieger sind der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken. Sie haben sich links von Scholz und Geywitz positioniert und sind eher skeptisch, was die Zukunft der großen Koalition betrifft. Ruhigere Zeiten sind wohl eher nicht zu erwarten. Immerhin beteuerten diesmal alle Beteiligten, wie überaus manierlich man mit einander umgegangen sei.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: