SPD:Klare Kante mit Skrupeln

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Offenbar uneinig über den Kurs nach dem Jamaika-Aus: SPD-Parteivorsitzender Martin Schulz (links) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Parteichef Martin Schulz hat sich glasklar ausgedrückt, doch einige in der SPD finden die strikte Ablehnung einer großen Koalition unglücklich. Denn was wäre, wenn es tatsächlich zu Neuwahlen käme?

Von Christoph Hickmann

Als die SPD-Bundestagsabgeordneten am späten Montagnachmittag zur Fraktionssitzung zusammenkamen, da hatte ihr Parteivorsitzender bereits gesagt, was Sache war: Die SPD scheue Neuwahlen nicht und stehe für eine große Koalition nicht zur Verfügung. So hatte Martin Schulz den zuvor gefassten Beschluss des Parteivorstands vor der Presse referiert. Nun, in der Fraktionssitzung, erläuterte Schulz diesen unmissverständlichen Beschluss noch einmal - und forderte die Abgeordneten dann auf: Wer das anders sehe, also eine große Koalition wolle, der solle dies hier sagen.

Die Antwort: Schweigen. Zunächst jedenfalls. Doch dann begann eine Debatte, wie sie auch in der diskussionsfreudigen SPD-Fraktion nicht allzu oft vorkommt.

Da war zum Beispiel gleich zu Beginn der Debatte Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises - also jenes Zusammenschlusses eher konservativer Sozialdemokraten, der traditionell die Vorsitzenden stützt. Er schätze Schulz sehr, so begann Kahrs seinen Beitrag nach Angaben von Teilnehmern - warnte dann aber davor, Andersdenkende in eine Ecke zu stellen. Und Kahrs mahnte sinngemäß an, dass man sich nicht bereits so apodiktisch auf Neuwahlen festlegen solle. Stattdessen solle man doch erst einmal das Gespräch mit dem Bundespräsidenten abwarten.

Wer soll bei einer Neuwahl eigentlich Spitzenkandidat werden, fragt eine Abgeordnete

Mit seinem Beitrag gab Kahrs die Meinung zahlreicher Abgeordneter wieder. Viele empfanden Schulz' Auftritt, seine Fokussierung auf Neuwahlen, als unglücklich. Statt Zeit zu gewinnen und den Ball so lange wie möglich bei den anderen Parteien zu lassen, vor allem bei der Union, stehe die SPD nun im Fokus und unter Druck. Bereits vor der Fraktionssitzung hatte es im geschäftsführenden Fraktionsvorstand ein Abgeordneter aus Hessen in etwa so formuliert: Er sei nicht für eine große Koalition - aber er habe die Festlegung als sehr voreilig empfunden und wisse nicht, wie er mit seinem Landesverband noch einen Wahlkampf führen solle. In der Fraktionssitzung sagte dann Achim Post, Chef der mächtigen NRW-Landesgruppe, das Problem sei der Begriff der Neuwahlen. Man hätte klarer machen müssen, dass man sie nicht anstrebe. Und tatsächlich hielt Fraktionschefin Andrea Nahles die Frage am Dienstag deutlich offener und bezeichnete eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung als Option.

Doch zurück in die Fraktionssitzung. Nur die wenigsten Redner wandten sich, wie der Abgeordnete Bernd Westphal aus Niedersachsen, offen dagegen, die große Koalition auszuschließen. Doch es wurde deutlich, dass viele mit dem Vorgehen des Parteichefs unzufrieden sind. Die Abgeordnete Anette Kramme etwa bat Schulz, ihre Frage nicht persönlich zu nehmen - aber wer werde im Fall einer Neuwahl eigentlich Spitzenkandidat? Außerdem habe man einen neuen (noch nicht gewählten) Generalsekretär und ihres Wissens derzeit keine Bundesgeschäftsführerin. Wie solle man da einen Wahlkampf stemmen?

Trotzdem soll die Debatte sachlich verlaufen sein. Natürlich gab es auch Redner, die auf der Linie des Parteivorstands lagen; keinesfalls richtete sich die Diskussion einseitig gegen Schulz. Und natürlich muss man berücksichtigen, dass die Abgeordneten besonders nervös sind. Denn was wäre eigentlich im Fall einer Neuwahl mit ihrem Mandat, falls die SPD noch weiter abrutschen sollte? Trotzdem zeigt die Debatte in der Fraktion, dass die Genossen längst nicht so monolithisch dastehen, wie man nach dem einstimmigen Beschluss des Vorstands meinen könnte.

Zumal die Diskussion über den Beschluss auch an der Parteispitze nicht so einhellig verlief, wie es das Ergebnis suggeriert. So soll Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil vor der Sitzung des Vorstands in einem Treffen der engsten Parteiführung deutlich gemacht haben, dass er von einem solch harten Ausschluss der großen Koalition wenig halte. An der Abstimmung nahm Weil, der kein gewähltes Mitglied des Vorstands ist, dann gar nicht teil. Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz soll zu erkennen gegeben haben, dass er mit dem entsprechenden Satz in der Beschlussvorlage nicht glücklich war.

Das führt zur Frage, wie es nun weitergeht bei der SPD. In zwei Wochen beginnt ihr Parteitag, dort steht die Wahl des Vorsitzenden an - und eigentlich war die Sache entschieden. Trotz der Wahlniederlage und aller Fehler in den Wochen danach, so sah es aus, würde Schulz wiedergewählt werden, weil kein Widersacher sich traute aufzustehen. Aber nun, angesichts der neuen Lage? Könnte jetzt nicht doch noch einmal Bewegung reinkommen?

Zumal ja tatsächlich die Frage im Raum steht, wer eigentlich die Spitzenkandidatur übernähme, falls es zur Neuwahl käme. Als Parteivorsitzender habe er in diesem Fall das Vorschlagsrecht, so hat es Schulz am Montag formuliert. Allein dieser Satz könnte bei seinen Kritikern die Motivation erhöhen, vielleicht doch noch etwas zu unternehmen.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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