SPD:Innere Distanz

Lesezeit: 3 min

Die geringe Beteiligung beim Mitgliederentscheid zum Parteivorsitz zeigt, wie sehr sich die Basis bereits von der Partei entfernt hat. In der Stichwahl wird es jetzt darum gehen, ob die Sozialdemokraten in der Regierung bleiben oder nicht.

Von Mike Szymanski

Die Stichwahl um den Parteivorsitz dürfte zeigen, was vom Willen zum Regieren in der SPD übrig geblieben ist. Ob sie bereit ist, diesem Ziel momentane Befindlichkeiten, Zweifel und Ängste unterzuordnen. Denn wer als neue Führung der Verlockung erliegt und die Partei einmal leichtfertig aus dem Regierungsbündnis mit der Union herausführt, kann später bei Neuwahlen kaum glaubwürdig als Kanzlerkandidat oder Kanzlerkandidatin antreten, als verlässlicher Partner, selbst wenn es um andere Bündnisse geht. In diesem Punkt sind Vizekanzler Olaf Scholz und seine Teampartnerin Klara Geywitz klar. Sie wollen ihre SPD weiter an der Macht sehen. Deshalb sollte niemand Scholz als Teil der künftigen SPD-Spitze abschreiben, weil er und seine Partnerin es nur mit hauchdünnem Vorsprung in die Stichwahl geschafft haben. Die beiden haben immerhin ihrer Partei ein Angebot gemacht, die K-Frage ist in diesem Duo in zweifacher Hinsicht geklärt: Wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist, wird die SPD mit ihnen an der Spitze einen Kanzlerkandidaten stellen. Und dieser heißt dann Olaf Scholz.

Das mag angesichts von derzeit traurigen 14 Prozent in den Umfragen nach purer Selbstüberschätzung des 61-Jährigen klingen. Aber was wäre andererseits von einer SPD zu halten, die solch magere Umfragewerte schon als ihr Schicksal akzeptiert? Die SPD kann tatsächlich mit verlässlicher Führung mehr holen, gerade in einer Zeit, in der die CDU schwächelt wie lange nicht mehr. Scholz hat das schon einmal bewiesen. In Hamburg. Er bekam auch dort seine Chance erst dann, als die SPD am Boden lag.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die nun mit Scholz und Geywitz um den Vorsitz konkurrieren, haben es vor allem in die Stichwahl geschafft, weil viele Genossen Scholz verhindern wollen. Es ist bemerkenswert, wie weit diese Nur-nicht-Scholz-Stimmung dieses Duo bis heute getragen hat und wohin sie die beiden möglicherweise noch führen wird. Walter-Borjans, der frühere Finanzminister aus NRW, und die Bundestagsabgeordnete Esken blieben allerdings vage in der Beschreibung dessen, was mit ihnen künftig anders werden soll. Sie versprechen eine linkere Politik. Aber das tun Scholz und Geywitz auch. Dies mag für die Phase der Regionalkonferenzen genügt haben, als es darum ging, einmal zu zeigen, welche Alternativen es zu Scholz gibt. Die Duellsituation aber dürfte Esken und Walter-Borjans dazu zwingen, konkret zu werden.

Das Team Esken und Walter-Borjans steht auch vor seinem ersten Belastungstest als Doppelspitze. Esken wäre sofort bereit, die SPD aus dem Bündnis mit der Union herauszuführen, daran lässt sie keinen Zweifel. Walter-Borjans zaudert, sich festzulegen. Er ahnt, es dürfte etwas anderes sein, eine Partei zu führen, die sich der Sehnsucht nach Opposition hingegeben hat. Und ist es wirklich das, wofür der 67-Jährige sich aus dem Ruhestand zurückgemeldet hat? Das Ergebnis der ersten Mitgliederbefragung sollte ihm ebenfalls zu denken geben: Das einzige Team, das die Forderung nach dem sofortigen Ausstieg aus der großen Koalition ins Zentrum seiner Kampagne gestellt hatte, waren der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und seine Partnerin Nina Scheer. Sie schafften es am Ende nur auf Platz vier.

Die alarmierend geringe Beteiligung lässt ahnen, wie weit sich die Basis entfernt fühlt

So steuert die SPD auf ihr nächstes Dilemma zu. Gewinnen am Ende Scholz und Geywitz, dürfte sich dies für viele in der SPD seltsam anfühlen: Ein halbes Jahr lang nimmt sich die Partei Zeit für die Vorsitzsuche, und dann kommt am Ende "nur" Scholz heraus, der zudem anfangs überhaupt nicht wollte? Er würde ohne Glanz und Euphorie ins Amt starten. Bei seiner Vorgängerin Andrea Nahles war es genauso. Ihr Rückhalt schwand mit dem Tag ihrer Wahl. Aber immerhin dürfte die Regierung noch eine gewisse Zeit halten.

Schaffen es dagegen Walter-Borjans und Esken an die Spitze, dann beginnt die Zeit der Ungewissheit. Das Ende der Koalition dürfte in diesem Fall nur eine Frage der Zeit sein. Selbst wenn die beiden es anders wollten - wie könnten sie für die Fortsetzung eines Bündnisses werben, für das sie bis dahin keinen Finger gerührt haben? Und nach einem Abschied aus der Regierung müsste sich die SPD absehbar in einen Wahlkampf begeben, der sie unter neuer Führung inhaltlich wie strukturell völlig unvorbereitet trifft.

Die alarmierend geringe Wahlbeteiligung von 53 Prozent lässt erahnen, wie weit die Mitglieder innerlich schon auf Distanz zu ihrer Partei gegangen sind. Nichts am Verfahren zur Vorsitzsuche erlaubt bislang auch nur den leisesten Optimismus, dass sich in der SPD mit einer neuen Spitze schnell etwas zum Besseren wendet - egal, wer sich am Ende durchsetzt.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: