SPD in der Krise:Rumpelstilzchen in der Hölle

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Die Wähler haben die SPD halbiert, sie entzweigeschlagen, weil sie die Partei stets mit doppeltem Gesicht anblickte. Das Führungstrio Steinmeier, Müntefering, Steinbrück wird nicht mehr lange bestehen - und die Partei wird nach links rücken.

Kurt Kister

Die SPD liegt in Trümmern. Sie hat am Sonntag 23 Prozent erzielt, nicht einmal ein Viertel der Wähler hat sie hinter sich gebracht. Nur noch rund zehn Millionen Deutsche gaben der traditionsreichsten Volkspartei ihre Stimme. Vor elf Jahren, als die Sozialdemokraten unter Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine in Bonn an die Macht kamen, waren es knapp 41 Prozent und 20 Millionen Wähler. Wenn damals in der lauen Bonner Septembernacht so etwas wie die Apotheose der Sozialdemokratie stattfand, die Erhebung in den politischen Himmel, hat man Sonntagnacht in Berlin den Absturz der Partei in die Hölle erlebt.

Die SPD wurde halbiert. Der Wähler schlug sie entzwei, weil ihn die Partei stets mit einem doppelten Gesicht anblickte. Da war die Regierungs-SPD mit ihren Symbolfiguren Steinmeier und Steinbrück, die das Erbe Schröders aufrechterhielten. Da war aber auch jener Teil der Partei, der sich schon vor 2005 von der Schröderschen Agenda-SPD distanziert hatte und der danach nur noch wuchs.

Die, vereinfacht gesagt, SPD-Linke identifizierte sich nie mit der großen Koalition und ließ wenig Gelegenheiten aus, um der Regierungs-SPD lächelnd in den Rücken zu fallen. Einmal, am Schwielowsee, schlug die Regierungs-SPD zurück. Müntefering und Steinmeier stürzten den eher rechten SPD-Chef Kurt Beck, auch weil der sich von der Linken hatte instrumentalisieren lassen.

Die Zerrissenheit der SPD zwischen neuer Mitte und alten Linken wurde im Wahlkampf nur mühsam überdeckt. Nicht nur der Wähler hat die Partei halbiert, sondern sie hat sich in einer Manier, die man von der SPD, der deutschen Linken ganz allgemein, nur zu gut kennt, auch selbst in der Mitte auseinandergerissen, als sei sie Rumpelstilzchen.

Die eine Hälfte von Rumpelstilzchen wird liegenbleiben. Das Führungstrio Steinmeier, Müntefering, Steinbrück wird nicht mehr lange bestehen. Die Regierungs-SPD ist perdu. Wenn die Merkel/Westerwelle-Regierung ein Schritt zurück in die achtziger Jahre ist, wie das viele in der SPD kolportieren, dann bedeutet die zu erwartende Neuaufstellung der SPD den Schritt zurück in die Neunziger, als Oskar Lafontaine in seiner ersten Erscheinungsform Parteichef war.

Franz Müntefering wird nicht noch einmal zum Parteichef gewählt werden. Er zieht Wut und Kritik der Genossen auf sich. Müntefering wird all das abbekommen, was Steinmeier nicht abbekommen darf, weil man an ihm festhalten will. Manche SPD-Funktionäre sagen schon jetzt: Mangels Alternative muss man erst mal an Steinmeier festhalten. Es kümmert keinen mehr, dass Müntefering nach der Rückkehr auf den SPD-Thron gefeiert worden war, als sei er zwar nicht der Kopf, aber doch der Körper der Partei. Der Parteitag wird im November diesen Körper endgültig vom Kopf trennen.

Peer Steinbrück, der Zweite im Bunde, wird wohl von sich aus das Feld räumen. Er ist loyal, also kein Wolfgang Clement, aber er hat, salopp gesagt, die Schnauze voll von den Stegners und Wowereits, die in ihren Ländern schlechte Ergebnisse erzielen, aber die Schuld von sich ab- und der SPD zuweisen, weil sie zu wenig erkennbar links sei.

Bleibt Frank-Walter Steinmeier. Die stark geschrumpfte, mehrheitlich linke SPD-Fraktion wird ihn am Dienstag zum Chef wählen. Er hat seinen Anspruch am Abend der Niederlage verkündet, obwohl er es eigentlich wegen der Dimension der Niederlage nicht wollte.

Nun muss die Fraktion ihm folgen, denn sonst stünde die Partei wirklich vor dem Schisma. Weil Steinmeier ein Moderator ist und kein Zuchtmeister, wird er auch für den Parteivorsitz gehandelt. Die SPD-Funktionäre werden von ihm die Öffnung hin zur Linkspartei verlangen. Er wird es entweder tun und damit jene Prinzipien verraten, deretwegen er noch 2009 eine Koalition mit den Roten ausgeschlossen hat. Oder er wird es nicht tun, und dann wird er 2013 weder Spitzenkandidat noch Parteivorsitzender sein.

Die SPD wird sich von ihrem Debakel wieder erholen. Sie wird nicht sterben. Aber das Desaster vom Sonntag wird dazu führen, dass sie nach links rückt. Sie wird sich außerdem gegen die schwarz-gelbe Regierung profilieren und manches, was sie bisher vertrat, nicht mehr vertreten: die Rente mit 67 zum Beispiel, Münteferings Coup.

Wenn es also in zwei, drei Jahren zwei Linksparteien geben wird, von denen die eine SPD heißt, was machen dann all jene Wähler, die der Schröder-SPD 1998 und 2002 zur Mehrheit verholfen haben und die man die "Neue Mitte" nannte? Manche von ihnen, die nicht Union oder FDP wählen wollten, sind 2009 zu Hause geblieben. Andere sind doch zur CDU gewandert. Und, für die SPD noch wichtiger: Wozu braucht Deutschland zwei linke Parteien, die sich ein nicht wachsendes Wählerpotential teilen müssen? (Die Mehrheit, man darf das nicht vergessen, ist heute erstaunlich stabil schwarz-gelb.) Ist die parlamentarische Linke auf dem Weg zu einer anderen Form der CDU/CSU? Die Linkspartei als semi-sozialistische CSU des Ostens, die SPD dagegen als moderatere Linkspartei des Westens?

Nein, es hat beileibe keinen Linksruck bei dieser Wahl gegeben, im Gegenteil. Aber gerade diese Tatsache wird die SPD dazu bringen, die Mitte zu verlassen und nach links zu treten.

© SZ vom 29.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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