SPD auf Partnersuche:Sticheln gegen die Grünen

Lesezeit: 4 min

Hauptsache regieren, das ist die Devise bei den Berliner Sozialdemokraten nach einem glanzlosen Sieg. Ob Klaus Wowereit mit den Grünen als Juniorpartner in eine Koalition geht, ist allerdings noch keineswegs gewiss. Der alte und neue Bürgermeister treibt den Preis für Rot-Grün hoch, indem er auch mit der CDU Sondierungsgespräche führen will.

Constanze von Bullion, Michael Bauchmüller und Stefan Braun, Berlin

Als der Sieger des Abends das Kesselhaus betritt und mit seinem Partner auf die Bühne steigt, da heizen schwere Bässe dem Publikum ein. Im Saal rufen sie "Wowi! Wowi!" Klaus Wowereit geht in eine weitere Amtszeit als Regierender Bürgermeister von Berlin. "Ach, es ist so schön, bei euch zu sein", ruft er und wirft Kusshändchen ins Wahlvolk, das sich in der ehemaligen Brauerei in Prenzlauer Berg drängt. Im Saal wird geklatscht, doch Champagnerstimmung herrscht nicht. 30 Prozent und mehr hatte Klaus Wowereit angestrebt, das Ziel hat er nicht erreicht. "Da bin ich auch ein bisschen traurig darüber, alles andere wäre gelogen", sagt er. Traurig ist Klaus Wowereit auch darüber, dass er seinen Wahlkreis an den unbekannten CDU-Mann Claudio Jupe verloren hat. Für ihn zählt aber nur eines: "Wir haben den Führungsauftrag." Hauptsache regieren, das ist die Devise bei den Sozialdemokraten. Den größten Jubel bei der Wahlparty gibt es aber, weil die FDP mit einem Ergebnis von unter zwei Prozent aus dem Landesparlament fliegt. Die Stadt habe "die Konservativen" in die Schranken gewiesen, sagt Wowereit, er meint, das schiebt er noch nach, "CDU und FDP zusammen". Das klingt, als habe Wowereit wenig Lust auf eine Koalition mit der CDU.

Enttäuschte Hoffnung: Der Spitzenkandidatin Renate Künast ist es nicht gelungen, Klaus Wowereit abzulösen. Nun kehrt sie besiegt in die Bundespolitik zurück. Am Sonntagabend ließ sie sich trotzdem von Jürgen Trittin feiern. (Foto: dpa)

Rot-Grün hätte 76 Sitze, fürs Regieren gebraucht werden 75. Ob Wowereit mit dieser knappen Mehrheit regieren will, ist am Wahlabend allerdings noch keineswegs gewiss. Sicher, im traditionell linken Berliner Landesverband der SPD gibt es deutlich mehr Sympathie für Rot-Grün. "Wenn es irgend geht, wird Klaus Wowereit ein Regierungsbündnis mit den Grünen eingehen", sagt Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz. Im Kesselhaus der Kulturbrauerei, beim Parteivolk, bricht ein lautes "Buh" und "Bäh" aus, als der rot-schwarze Kuchen auf dem Bildschirm wächst. Auch Wowereit hat wenig Sehnsucht nach einem Bündnis mit der CDU, doch mit Rot-Schwarz wäre das Regieren deutlich bequemer. Festlegen auf Rot-Grün will er sich deshalb nicht. Die nächsten Tage, sagt er, würden spannend. "Wichtig ist, dass die Grünen sich bekennen zu einer Stadt, die auf Fortschritt setzt." Und er kündigt auch Gespräche mit der CDU an. Das klingt, als könnte eine Regierungsbeteiligung teuer werden für die Grünen.

Und das ahnen die Grünen schon. Als der Applaus beim Parteivolk abzuflauen droht, rührt Volker Ratzmann oben auf der Bühne der Wahlparty noch einmal kräftig mit den Armen: weiter, immer weiter. Die Partei applaudiert an diesem Abend jede kritische Frage weg, ganz offensichtlich ist das die Strategie. "Ich kann nur sagen: Feiern! Das ist ein Ergebnis zum Feiern", ruft der Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus. Die Grünen haben sich vorgenommen, ihre gut 17 Prozent nur am Ergebnis früherer Wahlen zu messen, nicht an all den Verheißungen der Demoskopie in den vorigen Monaten. So bleibt nur das beste Ergebnis in Berlin - nicht aber eine gescheiterte Kandidatur. Sonst nämlich müsste es ein trüber Abend sein in dem etwas abgerissenen Kreuzberger Ballsaal. Ein knappes Jahr ist es her, dass Renate Künast sich zur Hauptkonkurrentin von Klaus Wowereit ausrief. Doch nun landen die Grünen hinter der CDU, und obendrein weit unter jenen 30 Prozent, die ihnen Umfragen noch im Frühjahr in Aussicht stellten. Und die Piraten ziehen als eine Partei ins Abgeordnetenhaus, mit der auch bei den Grünen lange niemand gerechnet hatte.

"Ernsthafte Verhandlungen"

Als Renate Künast auf die Bühne tritt, natürlich unter tosendem Beifall, hat sie schon längst umgeschaltet. Ziel ist jetzt nicht mehr das Amt Wowereits, sondern vor allem das Ende der rot-roten Koalition. "Ihr habt gefightet, und ihr habt dieses eine geschafft", sagt Künast. Im Übrigen bürge noch am ehesten eine Koalition zwischen SPD und Grünen für Fortschritt in der Stadt. Was wiederum spannende Fragen wie den Umgang mit der umstrittenen Stadtautobahn A 100 aufwerfen wird, die keiner so will wie die SPD und niemand so ablehnt wie die Grünen. Egal, geklatscht wird trotzdem. Und trotz der etwa fünf Prozent Zuwachs gibt es bei der Kreuzberger Feierstunde auch kritische Stimmen. "Wenn wir frühzeitig jedes Bündnis mit der Union ausgeschlossen hätten, wäre es anders gelaufen", sagt einer. Dieser Wahlkampf ist bei den Grünen noch lange nicht abgehakt, und bei Renate Künast ganz sicher auch nicht. "Manchmal", so sagt sie noch, "hat uns der Wind frontal ins Gesicht geblasen." Und ja, die Grünen hätten noch mehr gewollt in Berlin. "Aber wir bleiben dran." Denn wenn Künast und die Grünen eines nicht wollen, dann das: aussehen wie Verlierer.

Als geborene Verlierer gelten seit Jahren die Berliner Christdemokraten, doch welch eine Wendung: Thomas Heilmann ist stolz an diesem Sonntagabend. "Unser Wahlkampf, unser Programm, unser Personal sind neu und gut", lobt sich der Berliner Parteivize Heilmann. Sie haben mit mehr als 23 Prozent die Grünen deutlich hinter sich gelassen, diesen Erfolg reklamieren die Berliner Christdemokraten unter ihrem Chef Frank Henkel nun ganz für sich, denn aus dem Bund hatten sie im Wahlkampf keinen Rückenwind. Jahrelang sind sie eher belächelt worden in der Bundespartei. Und jetzt dieser Erfolg - kein Wunder, dass sie einander umarmen in Raum 311 des Berliner Abgeordnetenhauses. Und als im Fernsehen die Idee einer schwarz-roten Koalition lanciert wird, brandet Beifall auf.

"Ernsthafte Verhandlungen" bietet Frank Henkel der SPD und Klaus Wowereit an. Programmatisch sollte es keine unüberbrückbaren Differenzen zwischen den beiden Parteien geben. Henkel könnte sogar zum Vorreiter auf Bundesebene werden. Ohne Gnade nimmt er die FDP, Koalitionspartner im Bund, aufs Korn. Er habe den Namen dieser Partei zuletzt nicht einmal mehr in den Mund genommen, sagt Henkel: "Es ist unverantwortlich, wie die FDP Wahlkampf gegen Deutschland und Europa gemacht hat." Frank Henkel erntet dafür stürmischen Applaus von seinen Getreuen.

© SZ vom 19.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: