Sparpaket der Regierung:Merkels Patzer

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Das Prinzip ist einfach: Gekürzt werden Subventionen nur, wo die Widerstandskraft am geringsten ist. Es wird nicht die Frage gestellt, ob eine Finanzhilfe oder Steuervergünstigung ihren Zweck erfüllt.

Claus Hulverscheidt

Seit genau 222 Tagen ist die christlich-liberale Koalition nun im Amt, und nicht einmal die Betroffenen selbst bestreiten noch ernsthaft, dass es 222 verlorene Tage waren. Es gibt nichts, was diese Regierung auf nationaler Ebene bisher vorzuweisen hätte - sieht man einmal von dem Rekordtempo ab, mit der sie eine Aufbruchs- in eine Endzeitstimmung verwandelt hat. Auffällig oft fällt dieser Tage in Berlin der Begriff "große Koalition" (was die SPD niemals mitmachen würde), und ein FDP-Politiker räsonierte jüngst im kleinen Kreis darüber, ob die Zahl der Bundestagsmandate eigentlich für eine Ampelkoalition reichen würde. Insofern ist es, so anspruchslos das auch klingen mag, schon eine gute Nachricht, dass sich CDU, CSU und FDP auf ein Sparprogramm verständigt haben. Ein Scheitern hätte das Ende von Angela Merkels "Wunschkoalition" bedeutet.

Die vergangenen 222 Tage haben sich die Spitzen der schwarz-gelben Koalition wohl leichter vorgestellt. (Foto: ag.ddp)

Die zweite gute Nachricht lautet, dass das Paket rein vom Volumen her den Anforderungen genügt. Das gigantische Haushaltsdefizit des Bundes wird damit in den kommenden Jahren Schritt für Schritt auf ein erträgliches Maß schrumpfen, die Vorgaben des Grundgesetzes und des EU-Stabilitätspakts werden - zumindest auf dem Papier - erfüllt. Auch ist es Union und FDP gelungen, in Tabuzonen einzubrechen, zum Beispiel bei der Ökosteuer. Der Anachronismus, dass ausgerechnet diejenigen Firmen steuerlich begünstigt werden, die besonders viel Strom verbrauchen, wird zumindest für einige von ihnen aufgehoben.

Die Ökosteuer ist allerdings zugleich ein Beispiel dafür, warum die Beurteilung des Sparprogramms am Ende dennoch kritisch ausfallen muss. Von ihr bleibt ein Betrieb nämlich verschont, sofern er nachweisen kann, im globalen Wettbewerb zu stehen. Damit entsteht nicht nur eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die Entscheidung offenbart auch, nach welchem Prinzip die Koalition an das Kürzen von Subventionen herangegangen ist. Im Mittelpunkt stand offensichtlich nicht die Frage, ob eine Finanzhilfe oder Steuervergünstigung ihren Zweck erfüllt. Vielmehr ging es in erster Linie darum, die nötigen Summen einzusammeln - und zwar möglichst dort, wo die Widerstandskraft am geringsten ist.

Vor einer systematischen Überprüfung aller Subventionen also haben sich Kanzlerin Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle wie schon so viele ihrer Vorgänger gedrückt, obwohl eine solche Überprüfung schon angesichts der gewaltigen demographischen Herausforderungen dringend nötig gewesen wäre. Außerdem hat es die Regierung versäumt, den Etat krisenfester zu machen, zum Beispiel durch eine Entscheidung, sämtliche Subventionen nur noch befristet zu gewähren. Damit hätte sich künftig nicht mehr derjenige erklären müssen, der eine Subvention streichen will, sondern der, der sie behalten möchte.

Das zweite gravierende Problem des Sparprogramms ist die fehlende soziale Balance. Es trifft vor allem die weniger Betuchten. Selbstverständlich sind auch die Ausgaben für Langzeitarbeitslose nicht sakrosankt, sie müssen ebenso auf ihre Zielgenauigkeit hin überprüft werden wie alle anderen Staatsausgaben. So ist das Elterngeld eine Lohnersatz-, nicht aber eine Sozialleistung. Daher ist es - rein systematisch betrachtet - richtig, dies nicht länger an Empfänger von Arbeitslosengeld II zu zahlen Aber: Sparpakete dieser Größe werden gesellschaftlich nur akzeptiert, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es einigermaßen gerecht zugeht. Die geplante Bankensteuer mit einem jährlichen Aufkommen von gerade einmal zwei Milliarden Euro kann man vor diesem Hintergrund deshalb nur als Witz oder gar als Affront betrachten. Auch eine Wachstumsstrategie fehlt. So hätte Vizekanzler Westerwelle beispielsweise die von ihm so heiß ersehnten Steuersenkungen für mittlere Einkommen durchaus mit dem Sparpaket verknüpfen können - wenn er den Mut gehabt hätte, dafür die Steuern an anderer Stelle zu erhöhen, bei Spitzenverdienern oder bei großen Erbschaften.

Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble muss, will er die Menschen für ein so radikales Programm gewinnen, mehr tun, als auf Umfragen zu verweisen, nach denen die Bürger die immense Staatsverschuldung für ein drängendes Problem halten. Und erst recht reicht es nicht, ein paar Generalsekretärsphrasen abzusondern, wie das Westerwelle in seinem Dauerbemühen um mehr Fernsehpräsenz getan hat. Wer sinngemäß sagt, das Land habe nur noch die Wahl zwischen dem Sparpaket der Koalition und "Freibier für alle", schadet der Sache und veralbert die Bürger, die zu Recht Erklärungen verlangen.

Schon einmal hat eine Bundesregierung, es war die rot-grüne, eine richtige Reform dadurch diskreditiert, dass sie den Menschen die dahinter stehende Idee nicht erklärte. Heute ist Hartz IV deshalb beinahe ein Schimpfwort. Union und FDP sollten deshalb bei ihrem Sparpaket im eigenen Interesse für mehr System, mehr Ausgewogenheit, mehr Erläuterung sorgen - zumal es eine weitere Parallele zu Rot-Grün gibt: Für die damaligen Protagonisten Gerhard Schröder und Joschka Fischer war Hartz IV die letzte Chance, im Amt zu bleiben. Das Gleiche könnte jetzt für Merkel und Westerwelle gelten.

© SZ vom 08.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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