Spanien:Zwischen Nationalisten und Separatisten

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Das wird schon: Parteifreundinnen begrüßen den Wahlsieger Pedro Sánchez auf einer Sitzung des Vorstandes der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) in Madrid. Die wahre Herausforderung liegt da noch vor ihm: die Bildung einer arbeitsfähigen Regierung. (Foto: Bernat Armangue/AP)

Wahlsieger Pedro Sánchez will nicht mit den Linken koalieren, zumal er damit immer noch keine absolute Mehrheit hätte. Der Premierminister strebt deshalb eine Minderheitsregierung an.

Von Thomas Urban, Madrid

Vier Tage nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen hat Premierminister Pedro Sánchez bekräftigt, dass die von ihm geführte Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) eine Minderheitsregierung anstrebe - und keine Koalition mit dem linksalternativen Bündnis Unidas Podemos. Wohl sei er bereit, mit Podemos eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit bei zentralen Fragen auszuhandeln, fügte er hinzu. Der Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias erklärte dazu in scharfem Ton, dass eine Zusammenarbeit nur im Rahmen einer Koalition zustande kommen werde. Andernfalls werde seine Fraktion die Wiederwahl Sánchez' im Parlament blockieren. Gleichzeitig schloss der Vorsitzende der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger), Albert Rivera, erneut eine Koalition mit der PSOE aus. Rivera erklärte, Sánchez habe durch seine Gespräche mit der separatistischen Führung Kataloniens "Interessen Spaniens verraten".

Die PSOE hatte bei den Wahlen am Sonntag 123 der 350 Mandate erreicht, exakt genauso viel wie die Zweit- und Drittplatzierten zusammen, die konservative Volkspartei (PP) und die Ciudadanos, die 66 und 57 Abgeordnete stellen. Unidas Podemos verfügt nach beträchtlichen Verlusten nur noch über 42 Sitze. Einer Links-links-Koalition aus PSOE und Podemos würden immer noch elf Sitze zur absoluten Mehrheit von 176 fehlen. Diese fehlende Unterstützung müsste aus den Reihen der insgesamt 38 Vertreter der Regionalparteien kommen, die den Einzug ins Madrider Parlament geschafft haben. Da Sánchez eine erneute Abhängigkeit von den katalanischen Separatisten, die 22 Sitze einnehmen, vermeiden möchte, müsste er sich auf die Baskische Nationalistische Partei (PNV) stützen. Die PNV, die gemäßigt konservative Positionen vertritt, würde aber nicht das Wirtschaftsprogramm akzeptieren, das Podemos und der linke PSOE-Flügel durchsetzen wollen. Im Kern sieht es eine Erhöhung der Sozialausgaben vor, finanziert durch Steuererhöhungen.

Sánchez braucht die Stimmen von Podemos, um überhaupt im Amt bestätigt zu werden

Um diesem Dilemma zu entgehen, setzt Sánchez auf eine Minderheitsregierung, die sich für einzelne Gesetzesprojekte jeweils eine Mehrheit sucht. Allerdings braucht er die Stimmen von Podemos, um überhaupt im Amt bestätigt zu werden.

Sánchez selbst, der früher Dozent für Volkswirtschaft war, gilt als Pragmatiker, der an den Grundlagen der Marktwirtschaft nicht rütteln und überdies die EU-Vorgaben für Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit einhalten möchte. Kommentatoren der Madrider Presse schließen nicht aus, dass nach einer Schamfrist die Ciudadanos doch auf Sánchez zugehen werden. Vertreter der spanischen Wirtschaftsverbände, die die Ciudadanos offen unterstützen, üben Presseberichten zufolge Druck auf Rivera aus, seine ablehnende Haltung zur PSOE zu überdenken.

Die Ciudadanos haben im Wahlkampf ganz auf Nationalpatriotismus gesetzt und dem katalanischen Separatismus den Kampf angesagt. Doch in Katalonien haben sie ausgerechnet bei der Hälfte der Bevölkerung, die eine Abspaltung vom Königreich Spanien ablehnt, nicht gepunktet. Vielmehr wurden sie von den Sozialisten Kataloniens überflügelt, die die Sezession ablehnen, aber auf Dialog setzen. Das separatistische Lager ist ohnehin gespalten: Die Linksrepublikaner (ERC), die bei den Wahlen erstmals stärkste Gruppierung in der Region wurden, setzen ebenfalls auf Dialog, während der liberalkonservative Block Gemeinsam für Katalonien (JxC) auf der staatlichen Souveränität besteht. Dessen Spitzenkandidat, der als Regionalpräsident abgesetzte Carles Puigdemont, der ins belgische Exil geflohen ist, wurde von der Wahlkommission in Madrid nicht zu den Europawahlen am 26. Mai zugelassen.

Der Vorsitzende der konservativen PP ist mit seinem Rechtsschwenk gescheitert

Unter starkem Druck aus den eigenen Reihen ist der Vorsitzende der konservativen PP, Pablo Casado, geraten. Er hatte versucht, mit einem Rechtsschwenk die rechtspopulistische Partei Vox kleinzuhalten, ist damit aber gescheitert: Die PP-Fraktion schrumpfte um genau die Hälfte. Viele der Gefolgsleute des langjährigen PP-Vorsitzenden Mariano Rajoy, der die Partei in der rechten Mitte positioniert hatte, verweigerten Casado wegen dieses Rechtsschwenks die Zusammenarbeit. Der Regionalpräsident von Madrid etwa, Ángel Garrido, wechselte zu den Ciudadanos. In Madrid wurde allerdings nicht erwartet, dass der erst 37 Jahre alte Casado vor den Europa- und Kommunalwahlen am 26. Mai als Parteichef gestürzt werde.

Den ersten Wahlanalysen zufolge ist das miserable Ergebnis der PP vor allem auf die großen Korruptionsaffären aus der Ära Rajoy zurückzuführen. Vor einem Jahr wurden PP-Regionalpolitiker wegen ihrer Beteiligung am korrupten Netzwerk "Gürtel", über das Millionen für öffentliche Bauvorhaben veruntreut wurden, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Das Urteil hatte auch zum Sturz des Kabinetts Rajoy per Misstrauensvotum geführt. Hinzu kommt, dass Casado, der bislang keine Erfahrung in Führungsämtern gesammelt hat, als politisches Leichtgewicht gilt. Madrider Politologen führen den Sieg Sánchez' daher weniger auf die Attraktivität von dessen Programm zurück, sondern vielmehr auf die ungewöhnliche Schwäche der PP.

© SZ vom 03.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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