Spanien:Sánchez scheitert zum zweiten Mal

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Der geschäftsführende Regierungschef verfehlt die Mehrheit im Parlament.

Von Sebastian Schoepp und Thomas Urban, München/Madrid

„Meine Überzeugungen sind wichtiger als das Amt des Regierungschefs“: Pedro Sánchez vor der entscheidenden Abstimmung. (Foto: Eduardo Parra/dpa)

Der geschäftsführende spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez ist am Donnerstag beim Versuch gescheitert, vom Parlament die Zustimmung für ein von ihm geführtes Minderheitskabinett zu bekommen. Beim entscheidenden zweiten Wahlgang stimmten 155 Abgeordnete gegen ihn, während nur 124 ihn unterstützten, 67 enthielten sich.

Vorausgegangen waren hektische Koalitionsverhandlungen zwischen Sanchez' Sozialisten (PSOE) und Unidas Podemos, einem Wahlbündnis aus Linksalternativen und Postkommunisten. Eine Einigung scheiterte an Differenzen über die Besetzung von Schlüsselministerien. Sánchez und Podemos-Chef Pablo Iglesias hatten bis zur letzten Sekunde gefeilscht, ohne eine Einigung zu erzielen. Podemos kündigte eine Enthaltung an, und so ging der geschäftsführende Ministerpräsident Pedro Sánchez am Donnerstagnachmittag ohne Aussicht auf eine ausreichende Mehrheit in die entscheidende zweite Abstimmung.

Am Dienstag hatte er erwartungsgemäß bereits die erste Abstimmung verloren, bei der er eine absolute Mehrheit gebraucht hätte, von der seine sozialistische Partei trotz ihres Achtungserfolgs bei den Wahlen im April weit entfernt ist. Er erhielt nur 124 von 350 Stimmen. Am Donnerstag, laut Verfassung genau 48 Stunden später, stand das zweite Votum an, bei dem die Mehrheit der Ja-Stimmen genügt hätte. Sánchez hätte dafür aber die Stimmen von Podemos gebraucht. Doch ohne ordentliche Koalition, so hatte Podemos-Chef Iglesias klar gemacht, werde es auch keine Ja-Stimmen geben.

Sánchez wollte den Linksalternativen keine Schlüsselministerien geben

Der Sozialist Sánchez räumte seine Niederlage schon vor Beginn der entscheidenden Abstimmung ein. Aber er wolle nicht Ministerpräsident um jeden Preis werden. Seine Rede vor dem Parlament war in erster Linie eine Abrechnung mit Iglesias, der, so die Meinung führender Sozialisten, die Ansprüche zu hoch geschraubt habe: Mit 25 Prozent der Sitze beanspruchten Iglesias und seine Leute die Kontrolle über 80 Prozent der Sozialausgaben Spaniens, sagte Sánchez. Das könne er nicht zulassen. Podemos wolle eine "Regierung in der Regierung bilden", aber Spanien brauche eine einzige Regierung mit einem klaren Kurs.

Podemos hatte Schlüsselministerien verlangt, die Sánchez der Newcomer-Partei nicht geben wollte. "Ich kann niemanden mit Verantwortung über den Haushalt ausstatten, der noch nie einen Haushalt gemanagt hat", sagte Sánchez vor der Abstimmung. Eigentlich sei die programmatische Übereinstimmung der "progressiven Kräfte" ja sehr groß gewesen, bei sozialen Themen, Ökologie, Feminismus und der Forderung nach einem sozialeren Europa. Es habe am Ende nur am Streit über Posten gelegen, bilanzierte der Sozialistenchef nicht ohne Frustration in der Stimme.

Iglesias verfolgte Sánchez' Ausführungen mit leichtem Kopfschütteln. Er hatte auf einen Posten in der Regierung verzichtet, weil Sánchez ihn für nicht ministeriabel erklärt hatte. Das lag daran, dass Iglesias die inhaftierten katalanischen Separatisten "politische Gefangene" nennt, ein Vokabular, das die Sozialisten strikt ablehnen. Ihnen ist die Einheit Spaniens heilig. Man hatte sich dann schon fast auf Irene Montero, Iglesias' Partnerin, als Vizepräsidentin für Soziales geeinigt, da teilte Podemos Anfang der Woche mit, man lasse sich nicht mit Ministerien ohne Einfluss abspeisen. Man fühle sich gedemütigt. Darauf entgegnete Sánchez nun: "Vizepräsidentin Spaniens, Gesundheit, Wohnungsbau und Gleichheit" - das sei doch nun wirklich kein demütigendes Angebot. In letzter Sekunde bot Iglesias dann noch an, auf das geforderte Arbeitsministerium zu verzichten, er wolle aber bei der Beschäftigungspolitik mitmischen, sprich: ein Beschäftigungsprogramm. Das spielte bei der aktuellen Abstimmung keine Rolle mehr, könnte aber ein Schlupfloch zu einer Regierungsbildung bis 23. September sein. Scheitert auch diese, muss der König vorgezogene Neuwahlen ansetzen, die vierten in vier Jahren, Termin wäre November.

Die gescheiterte Links-links Koalition wäre eine Premiere gewesen: die erste Koalitionsregierung seit den ersten Wahlen seit Wiedereinführung der Demokratie. Das Verhältnis der Führer beider Parteien ist allerdings seit Langem von Misstrauen geprägt. Gabriel Rufián von den katalanischen Linksrepublikanern sagte vor der Abstimmung über das zu erwartende Ergebnis: "Die ganze Linke wird das noch bereuen." Sánchez' Vertreterin Carmen Calvo warf Iglesias vor, die einmalige Chance, eine handlungsfähige Linksregierung zu bilden, leichtfertig zu verspielen.

Seitdem Sánchez im Mai 2018 den Konservativen Mariano Rajoy per Misstrauensvotum gestürzt hatte, konnte er sich auf europäischer Ebene als Verfechter einer starken EU und als Hoffnung der Sozialdemokratie profilieren. Doch in Madrid konnte er seit den Parlamentswahlen vom 28. April keine Koalition schmieden.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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