Spanien:Rajoy in der Schusslinie

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Neue Indizien sollen nun auch den Regierungschef Mariano Rajoy im Korruptionsprozess "Caso Gürtel" belasten. Auch er soll regelmäßig Zahlungen aus den schwarzen Kassen erhalten haben. Die Opposition bringt sich gegen ihn in Stellung.

Von Thomas Urban, Madrid

Das hatte es im spanischen Parlament noch nicht gegeben: Ein Abgeordneter wedelte bei seiner Rede mit Handschellen und rief in die Runde, er freue sich auf den Moment, wenn demnächst der Regierungschef in solchen abgeführt werde. Doch der Konservative Mariano Rajoy verzog beim Auftritt von Gabriel Rufián von der Katalanischen Republikanischen Linken (ERC) für keinen Moment die Miene. Rajoy ignorierte auch Pablo Iglesias, den Chef der linksalternativen Gruppierung Podemos, der ihn einen "Delinquenten" nannte. Die beiden oppositionellen Abgeordneten bezogen sich auf eine Aussage von Manuel Morocho, dem Leiter einer Spezialeinheit der Polizei für Wirtschafts- und Finanzstraftaten (UDEF), zu den schwarzen Kassen der von Rajoy geführten Volkspartei (PP). Mehrere Medien zitierten Morocho mit den Worten, es habe sich um ein "korruptes System in Reinform" gehandelt, Indizien sprächen dafür, dass auch Rajoy regelmäßig Zahlungen daraus erhalten habe.

Dieser warf Iglesias vor, Podemos wolle mit "Unwahrheiten" nur mehr Stimmen gewinnen. Zuletzt hatte Rajoy im Juli als Zeuge beim Prozess um das Korruptionsnetzwerk "Gürtel" vor dem Obersten Gericht bestritten, etwas von den Machenschaften des langjährigen PP-Schatzmeisters Luis Bárcenas gewusst zu haben. 2013 war Bárcenas wegen in der Schweiz eingerichteter Schwarzgeldkonten in Untersuchungshaft gekommen, nach zwei Jahren kam er aber unter Auflagen frei. Den Ermittlern zufolge hat er bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen insgesamt dreistellige Millionenbeträge an Bestechungsgeld eingenommen. 40 Millionen davon habe er privat abgezweigt. Mittelsmann war der Unternehmer Francisco Correa, die deutsche Übersetzung seines Familiennamens wurde das Codewort für die Ermittler: "Gürtel". Für Correa beantragte der Staatsanwalt im Oktober 125 Jahre Gefängnis, für mehrere mitangeklagte PP-Politiker aus der zweiten und dritten Reihe zwischen sechs und 85 Jahren.

Bei vorgezogenen Wahlen würde es für eine Mitte-rechts-Koalition reichen, aber wohl ohne Rajoy

Die Berichte über die Aussagen des UDEF-Offiziers kommen für Rajoy zur Unzeit. Denn wegen des Konflikts um Katalonien werden die oppositionellen Sozialisten (PSOE) und die Baskische Nationale Partei (PNV) das PP-Minderheitskabinett nicht länger dulden; bislang war Rajoy bei der Vorlage seines Haushalts von diesen beiden Fraktionen abhängig. PSOE-Chef Pedro Sánchez zeigte sich höchst verärgert darüber, dass Rajoy nun einer umfassenden Verfassungsreform, die vor allem die Finanzierung der Regionen neu regeln soll, eine Absage erteilt hat. Die PNV ist grundsätzlich mit dem harten Kurs Rajoys gegenüber Barcelona nicht einverstanden, sie wirft ihm sture Verweigerung des Dialogs mit den Katalanen vor.

Laut den jüngsten Umfragen könnte die PP bei vorgezogenen Wahlen mit kaum mehr als 30 Prozent rechnen, 2016 hatte sie drei Punkte mehr bekommen. Allerdings würden die Liberalen (Ciudadanos) kräftig zulegen und auf 17 Prozent kommen. Dies würde für eine Mitte-rechts-Koalition reichen, aber wohl nur ohne Rajoy. Denn die Ciudadanos geben dem Kampf gegen Korruption oberste Priorität. Hingegen wäre das linke Lager weit von einer Mehrheit entfernt, ganz abgesehen davon, dass PSOE und Podemos die Haltung zu Katalonien trennt: Während Sánchez dem Kurs Rajoys zugestimmt hat, greift Iglesias ihn als "Anschlag auf demokratische Grundrechte" an und nennt die inhaftierten katalanischen Ex-Minister "politische Gefangene". Auch wirft Podemos der Generalstaatsanwaltschaft, an deren Spitze Parteifreunde Rajoys stehen, zweierlei Maß vor: Die Prozesse gegen korrupte PP-Politiker würden verschleppt; den Beschuldigten sei so die Möglichkeit gegeben, das Gros des Geldes verschwinden zu lassen. Hingegen seien katalanische Politiker, die für eine verbesserte Demokratie einträten und für die Ablösung der Monarchie durch eine Republik, sofort hinter Gitter gekommen; auch seien über sie ruinöse Geldstrafen verhängt worden.

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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