Spanien:Krieg der Schleifen

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Die einen bringen sie an, die anderen reißen sie wieder ab: Die gelben Schleifen sollen an das Schicksal einsitzender Katalanen erinnern. (Foto: Pau Barrena/AFP)

Der katalanische Separatismus macht unverdrossen auf sein Anliegen aufmerksam - doch es gibt auch versöhnliche Töne. Denn noch immer sitzen katalanische Politiker in Haft.

Von Thomas Urban, Madrid

Laute Buhrufe ertönen, als das Ensemble nach der Premiere von Gounods "Faust" im Teatro Real, dem Madrider Opernhaus, auf die Bühne tritt. Die Empörung gilt keineswegs den Sängern, auch nicht dem Dirigenten oder dem Regisseur, sondern dem Bühnen- und dem Kostümbildner. Und den Grund für die Aufwallung liefert nicht etwa die Ausstattung der Oper, sondern es geht um die kleinen gelben Schleifen, die die beiden Katalanen am Revers ihrer Jacken tragen. Madrider Kommentatoren bezeichnen das später als Provokation gegen den spanischen Staat, dessen Oberhaupt, König Felipe, mit Gemahlin Letizia der Premiere beiwohnte.

Die gelbe Schleife ist das Symbol für Solidarität mit einsitzenden "politischen Gefangenen". Gemeint waren die neun Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich seit vergangenem Herbst in Untersuchungshaft befinden. Im konservativen Madrid herrscht die Meinung vor, dass sie als Rebellen zu Recht einsitzen, in Katalonien hingegen sieht wohl die Mehrheit sie als politische Gefangene.

Seit Wochen findet in der Nordostecke Spaniens ein Kleinkrieg um die gelben Schleifen statt, der meist nachts ausgetragen wird: Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung bringen in Katalonien gelbe Schleifen an Brücken, Geländern der Metrostationen, an Bushaltestellen, an Bäumen an. Dann rücken selbsternannte "Reinigungstrupps" aus, zu denen sich Verfechter der Einheit Spaniens zusammengeschlossen haben, um die Schleifen abzureißen. Wenn sich Aktivisten beider Seiten begegnen, dann geht es unfreundlich zu, bis hin zu Handgreiflichkeiten, Videoaufnahmen dieser Auseinandersetzungen finden schnell über das Internet Verbreitung und heizen die Stimmung weiter an.

Die Bürgermeister von mehreren Hundert Gemeinden in Katalonien haben gelbe Schleifen an den Rathäusern anbringen lassen, Gerichte haben dies untersagt, da die öffentliche Verwaltung politisch neutral zu sein habe. Doch erstrecken sich die Kompetenzen der Justiz nicht auf das katalanische Parlament. Im Plenarsaal sind die Sitze der inhaftierten Politiker mit großen gelben Schleifen geschmückt, der katalanische Regionalpräsident Quim Torra tritt ebenso wie Parlamentspräsident Roger Torrent mit der Schleife auf, auch bei offiziellen Besuchen in Madrid. Vertreter der neuen spanischen Zentralregierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez suchen das Gespräch mit den Katalanen.

Sánchez hat bei mehreren Gelegenheiten betont, dass auch für ihn, ebenso wie für seinen konservativen Vorgänger Mariano Rajoy, die spanische Verfassung eine rote Linie markiert, die nicht überschritten werden dürfe: Sie sieht die Abspaltung einer Region nicht vor. Hingegen verlangt Torra unverdrossen die Zustimmung Madrids zu einem Unabhängigkeitsreferendum. Torra, Vertreter der liberalkonservativen Demokratisch-Europäischen Partei Kataloniens (PDCat), bezeichnet sich selbst als Platzhalter für den "legitimen Präsidenten" Kataloniens, Carles Puigdemont, der Ende Oktober 2017 aus dem Land geflüchtet ist und nun im Exil im Brüsseler Vorort Waterloo lebt.

Vorübergehend war Puigdemont in Schleswig-Holstein aufgrund eines europäischen Haftbefehl inhaftiert. Die spanische Justiz hat diesen jedoch zurückgezogen, nachdem die Richter des Oberlandesgerichts in Schleswig den Vorwurf der Rebellion zurückgewiesen hatten. Doch ist in den letzten Tagen Bewegung in die verhärteten Fronten gekommen. Aus dem Gefängnis meldete sich der Vorsitzende der Katalanischen Linksrepublikaner (ERC), Oriol Junqueras, Vizepremier im abgesetzten Kabinett Puigdemont. Im Interview mit der linksliberalen Tageszeitung El País erklärte er, eine Lösung des Konflikts sei nur gemeinsam mit Madrid zu erzielen. In Barcelona müsse man zur Kenntnis nehmen, dass man nicht gegen den Willen der Hälfte der Bevölkerung die Unabhängigkeit erreichen könne. Die Verfechter der Sezession waren bei den letzten drei Wahlen nicht über 47 Prozent der Stimmen hinausgekommen, womit sie allerdings eine knappe Mehrheit der Mandate bekamen.

Oriol Junqueras setzte sich damit in einen klaren Gegensatz zu Torra und Puigdemont. Auch der neue Beauftragte für Außenpolitik der katalanischen Regierung, der 75-jährige Ernesto Maragall (ERC), erklärte, Vorrang müsse die Freilassung der Gefangenen haben; daran sollten die gelben Schleifen erinnern. Ansonsten setze er auf den Dialog mit Madrid, es müsse Rationalität in die Politik einkehren.

In Madrid werden diese neuen Töne aus Barcelona aufmerksam registriert. Zuletzt hatten sich die Fronten wieder verhärtet. So hat Puigdemont angekündigt, er werde den Madrider Richter Pablo Llarena verklagen, der die Haftbefehle gegen ihn und die anderen katalanischen Spitzenpolitiker wegen Rebellion ausgestellt hatte. Auch der Linksrepublikaner Maragall nannte das Vorgehen der Justiz einen "Anschlag auf die spanische Verfassung". Doch ließ er, ebenso wie sein inhaftierter Parteichef Junqueras, durchblicken, dass die staatliche Unabhängigkeit derzeit in weiter Ferne liege.

Bei seinem Besuch in Madrid am Montag trug Maragall keine gelbe Schleife - und signalisierte damit Dialogbereitschaft. Er ließ gegenüber der Presse sogar vorsichtig einen Vorschlag für einen Kompromiss anklingen: Man müsse auch über eine föderale Lösung für Katalonien nachdenken.

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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