Spanien:Hotels zu Kliniken

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Ministerpräsident Pedro Sánchez warnte im Madrider Parlament: „Das Schwerste besteht uns noch bevor!“ Das sagte er bei der Ausrufung der Ausgangssperre. (Foto: Mariscal/Getty Images)

In Madrid häufen sich Infektionen in Altersheimen. Um die Kranken versorgen zu können, wird überlegt, Hotels umzufunktionieren.

Von Thomas Urban, Madrid

Als die "gefährlichste Stadt Europas" gilt in der spanischen Presse in diesen Tagen Madrid, denn nirgendwo sonst hat die Zahl der vom Virus befallenen Einwohner so drastisch zugenommen: Auf die Region Madrid entfiel mehr als die Hälfte der rund 18 000 Infizierten und 800 Toten, die am Donnerstag für Spanien gemeldet wurden. Die gefährlichsten Orte in der Hauptstadt wiederum sind die Altersheime: Aus einem wurden innerhalb weniger Tage 19 Tote gemeldet, aus einem anderen 15.

Das öffentliche Leben ist zum Erliegen gekommen, seit dem Wochenende gilt eine Ausgangssperre, die offenkundig auch weitgehend eingehalten wird. Jedenfalls gibt es in den spanischen Medien keine Berichte über "Corona-Partys". Entgegen allen Klischees sind die Madrilenen in der Öffentlichkeit stets diszipliniert: So sind nun nur wenige Autos und Menschen auf den Straßen zu sehen; Schulen, Universitäten und die meisten Behörden sind schon seit zehn Tagen geschlossen. Erlaubt sind Fahrten zur Arbeit, zum Arzt sowie zur Betreuung von Angehörigen, ansonsten darf man das Haus nur zum Einkaufen verlassen - oder zum Gassigehen mit dem Hund. Die Nervosität auf der Straße ist zu spüren, keiner weiß, wie lang der Alarmzustand, wie es offiziell heißt, gelten soll.

Die Fernsehprogramme sind voll mit Tipps, wie man die Zeit zu Hause gestalten kann, von Kochrezepten bis zum Basteln von Schutzmasken aus BH-Körbchen und Plastikfolien; Quizspiele mit Zuschauerbeteiligung haben Konjunktur. Doch das Bild, das die Nachrichten liefern, beruhigt die Menschen wenig. König Felipe, der sich seinem Volk nur sehr selten zeigt, rief in einer Fernsehansprache dazu auf, solidarisch alle Härten zu ertragen. Hinterher, wenn die Virusgefahr gebannt sei, werde Spanien "stärker als zuvor" dastehen.

Premierminister Pedro Sánchez verkündete vor dem Parlament vor einer Handvoll Abgeordneter: "Das Schwerste steht uns noch bevor!" Er deutete an, dass die allgemeine Ausgangssperre, die er für zunächst zwei Wochen angeordnet hat, verlängert werde. Sánchez steht unter großem Druck, seitdem bekannt wurde, dass die oberste Gesundheitsbehörde in Madrid Anfang des Monats dringend empfohlen hatte, die Kundgebungen zum Internationalen Frauentag am 8. März zu untersagen. Experten sehen die Kundgebungen, an denen Hunderttausende im ganzen Land teilnahmen, als eine der Ursachen für die explosionsartige Zunahme der Krankheitsfälle. Mehrere Ministerinnen und Staatssekretärinnen der Madrider Linkskoalition haben sich offenkundig an diesem Tag angesteckt.

Vor den Supermärkten stehen schon am frühen Morgen Schlangen, es dürfen sich nur wenige Personen gleichzeitig in den Räumen aufhalten. Schon kurz nach Öffnung sind die in der Nacht angelieferten Bestände an Nudeln, Reis, Zwieback und Toilettenpapier ausverkauft. Doch es fehlt an Desinfektionsmitteln. Schutzmasken können die Apotheken schon seit Anfang März nicht mehr liefern.

Selbst in den öffentlichen Krankenhäusern fehlt es an Schutzkleidung, es wurden bereits mehr als 500 Ansteckungen beim medizinischen Personal registriert. Nur eine einzige Firma in der andalusischen Stadt Jaen produzierte bislang medizinische Schutzmasken, doch einen Teil der Rohstoffe dafür muss sie aus Asien beziehen, und die Lieferketten sind unterbrochen. Mehrere Textilfirmen gaben bekannt, dass sie nun auch Schutzkleidung produzieren und den Gesundheitsbehörden zur Verfügung stellen würden.

Bislang haben die Gesundheitszentren nur Personen mit schweren Symptomen getestet, sodass die Experten mit einer sehr hohen Dunkelziffer an Erkrankten und Überträgern rechnen. Die Notstandsgesetze erlauben es der Regierung, auch Hotels zu Kliniken umrüsten zu lassen. Mehrere Dutzend Betreiber haben ihre Häuser dafür angeboten, es könnte für sie ein Weg sein, finanziell zu überleben. Der Fremdenverkehr, der neben der Lebensmittelproduktion der wichtigste Wirtschaftszweig Spaniens ist, bekommt die Pandemie besonders zu spüren. Das Ostergeschäft ist völlig eingebrochen. Strände sind gesperrt, alle Straßencafés verwaist.

© SZ vom 20.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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