Spanien:Der klare Wille zur Eskalation

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Katalonien hat am Freitag nicht die Unabhängigkeit gewonnen, sondern die Autonomie verloren. Die Sezessionisten hatten vor allem auf Symbolhaftigkeit gesetzt.

Von Sebastian Schoepp und Thomas Urban, Madrid/München

Man kann nicht behaupten, sie hätten klein beigegeben. Bis zur letzten Sekunde klammerten sich die Separatisten im katalanischen Regionalparlament am Freitagnachmittag an ihren Traum von der Unabhängigkeit von Spanien. Während in Madrid der Senat schon die Absetzung der Regionalregierung vorbereitete, brachten die Parteien, die diese Regierung bilden, im Parlament von Barcelona trotzig ihren wohl letzten Antrag ein: die Einleitung des Prozesses zur Gründung "einer katalanischen Republik" als unabhängiger Staat, wie es etwas umständlich hieß. Dessen Annahme durch die Parlamentarier der separatistischen Mehrheit stand außer Frage - die Opposition aus Konservativen (PP), Sozialisten und Liberalen boykottierte die Abstimmung und verließ den Saal. Bedeutungslos war die Entscheidung sowieso, denn die spanische Verfassung lässt eine Sezession eines Landesteils nicht zu; wer mit Ja stimmte, machte sich sogar strafbar. Es ging also, wie so oft im Separatismus, um die größtmögliche, volltönende Symbolhaftigkeit.

Die Debatte in Barcelona hatte zuvor turbulente Züge angenommen. Hunderte Bürgermeister ländlicher Gemeinden waren angereist und feuerten die Sezessionisten im Parlament an. Der Fraktionssprecher der liberalen Ciudadanos, Carlos Carrizosa, zerriss hingegen ein Exemplar der Unabhängigkeitserklärung und sagte, es handele sich um einen Putsch. Draußen auf der Straße gaben sich nach der Abstimmung Tausende Demonstranten dem Taumel der Begeisterung hin - dabei bestand dafür wenig Anlass. Katalonien hat am Freitag nicht etwa die Unabhängigkeit gewonnen, sondern die Autonomie verloren, zumindest bis zu den für 21.

Dezember angekündigten Neuwahlen. Denn fast zur gleichen Stunde billigte der Senat in Madrid eine Reihe von Zwangsmaßnahmen. Auf Antrag Mariano Rajoys verfügte die zweite Parlamentskammer die Aussetzung der katalanischen Autonomie. Als erste Maßnahme verkündete Rajoy die Absetzung der Regionalregierung unter Carles Puigdemont. Zentrale Schaltstellen der Verwaltung Kataloniens werden nun von Madrid aus besetzt. Rajoy hatte zuvor in einer für seine Verhältnisse emotionalen Rede dargelegt, warum seine Regierung ein derartig hartes Durchgreifen für unvermeidlich hält. Ein Rechtsstaat könne fortgesetzten Verfassungsbruch, der zur Spaltung der Gesellschaft geführt habe, nicht zulassen. Die Regionalregierung in Barcelona habe Gesetze missachtet und die Demokratie verhöhnt. Die Sezessionisten kündigten Widerstand gegen die Zwangsverwaltung an, die in der Presse als "nukleare Option" bezeichnet wird, weil sie traumatische Erinnerungen an die Jahre der Franco-Diktatur weckt. Man werde weiter zu Puigdemont stehen, hieß es in Barcelona.

Der aber hatte zum Zeitpunkt der Abstimmung die Zügel schon aus der Hand gegeben. Es war ihm schon Tage zuvor anzusehen gewesen, wie er darunter litt, nicht als Erschaffer der katalanischen Unabhängigkeit in die Geschichte einzugehen. Früher waren ein cleveres Lächeln und Schlagfertigkeit seine Markenzeichen gewesen, nun wirkte er zerfahren. Puigdemont hätte seiner Kaltstellung nur zuvorkommen können, wenn er selbst Neuwahlen ausgerufen hätte. Dazu konnte er sich aber nicht durchringen. Er wollte zuvor sichergestellt wissen, dass dann Artikel 155 der Verfassung nicht in Kraft trete, Katalonien also seine Autonomie behalte. Als am Donnerstag klar wurde, dass sich Mariano Rajoy darauf nicht einlassen würde, trat Puigdemont vor die Presse und sagte, alles weitere sei Sache des Parlaments. Die Generalstaatsanwaltschaft kündigte am Freitagabend an, Puigdemont wegen "Rebellion" anzuklagen, darauf stehen bis zu dreißig Jahre Gefängnis. Spanische Gerichte urteilen gewöhnlich hart gegen Separatisten.

Applaus für sich selbst: Carles Puigdemont (Mitte) und seine Unterstützer nach dem Votum am Freitag im Parlament von Barcelona. (Foto: Lluis Gene/AFP)

Puigdemont hatte in den vergangenen Wochen angekündigt, sich aus der ersten Reihe der Politik zurückzuziehen. Er meinte damit aber wohl die Rückkehr in seine idyllische und wohlhabende Heimatstadt Girona, in der er als Bürgermeister viel bewirkt hat. Doch möglich ist nun, dass er eskortiert von Beamten der nationalen Polizei abtreten muss. Es wurde sogar kolportiert, Puigdemont wolle ins Exil nach Frankreich, ins Roussillon, nach "Nordkatalonien", wie die französische Provinz bei katalanischen Nationalisten heißt.

Puigdemont war zunehmend zwischen die Mühlsteine geraten: Madrid auf der einen Seite, seine wesentlich radikaleren Koalitionspartner auf der anderen. Puigdemont selbst ist ein eher liberalkonservativer Politiker, er gehört der Partit Demòcrata Europeu Català an, Nachfolgerin der Partei Convergència, einer Art katalanischer CSU. Er wurde stetig unter Druck gesetzt von dem bulligen Oriol Junqueras, dem Vorsitzenden der Linksrepublikaner (ERC), zusammen bildeten ihre Parteien das Bündnis "Gemeinsam für das Ja". Dieses wurde im Parlament gestützt - und auch sehr wirkungsvoll erpresst - von der quirligen CUP, einer linksalternativen Partei, deren Aktivisten der Aufbau eines sozialistischen Staats außerhalb der westlichen Strukturen vorschwebt mit verstaatlichten Banken und Betrieben. Der einzige gemeinsame Nenner dieser buntscheckigen Koalition war die Unabhängigkeit. Das Bündnis hatte 2015 zusammen nur knapp 48 Prozent der Stimmen bekommen - wie es den Separatisten überhaupt noch nie gelungen ist, eine echte Mehrheit in ganz Katalonien zu erringen, weder bei Wahlen noch bei verschiedenen Abstimmungen.

Dass die Separatisten nur eine knappe Minderheit vertreten, war stets das Hauptargument von Ministerpräsident Rajoy. So begründete er auch andere harte Maßnahmen - vom Knüppeleinsatz bis zur Verhaftung von Aktivisten: Es gehe nicht darum, Katalonien zu unterdrücken, sondern zu retten. Ähnlich argumentierte Rajoy auch vor der Abstimmung im Madrider Senat am Freitag. Die Regionalregierung habe am 1.

Oktober eine illegale Volksabstimmung abgehalten. "Niemand von außen hilft ihnen", sagte Rajoy an die Separatisten gerichtet, und das stimmt wohl. Im Rest Spaniens haben sie nicht mal bei den Linksalternativen Unterstützer. Paris und Washington erklärten, sie stünden auf Seiten Madrids; EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte: "Ich möchte nicht, dass die Europäische Union morgen aus 95 Staaten besteht." Die Bundesregierung bezeichnete das Votum als "Verfassungsbruch". Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte: "Der Rückzug auf das jeweils Eigene, gar das Beharren auf quasi natürliche Überlegenheit einer einzelnen Region, sollte der Vergangenheit angehören."

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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