Sitzplätze beim NSU-Prozess:Vor dem Lostopf sind alle gleich

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Die Vergabe der Sitzplätze beim NSU-Verfahren erfolgt nun per Losverfahren. (Foto: dpa)

Das Münchner Gericht schreibt das Akkreditierungsverfahren für den NSU-Prozess neu aus - und reserviert Plätze für türkische Medien. Doch die Kritik um die Sitzplatzvergabe hat das Vertrauen in das Gericht erschüttert. Jetzt muss der Richter beweisen, dass er trotz allem das nötige Fingerspitzengefühl für diesen Prozess hat.

Von Anna Fischhaber

Plötzlich scheint alles ganz einfach zu sein. Plötzlich gibt es beim NSU-Prozess in München doch Plätze für türkische Medien. Fair sei das, sagt der stellvertretende Chefredakteur der türkischen Zeitung Sabah, die mit ihrer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht das neue Akkreditierungsverfahren ins Rollen gebracht hat. Doch er fragt auch: "Warum nicht gleich so?"

Es hätte wohl niemand beanstandet, wenn das Münchner Oberlandesgericht (OLG) von vorneherein Plätze für türkische Medien reserviert hätte. Für Medien aus dem Land, in dem die Mehrzahl der NSU-Opfer - und der Angehörigen, für die dieser Prozess so wichtig ist - ihre Wurzeln haben. Doch erst ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts brachte die Wende. Sogar den Prozess verschob das Münchner Gericht deshalb. Nun werden die Plätze für Journalisten per Zufallsprinzip vergeben werden. Ein Los entscheidet. Und was noch wichtiger ist: Zwischen in- und ausländischen Medien wird unterschieden.

Wie ein Prozess organisiert wird, entscheidet der zuständige Richter. Das ist eine Frage der richterlichen Unabhängigkeit, die die Justiz gegen politischen Einfluss wappnen soll. Allerdings darf ein Richter die Plätze an Journalisten nicht willkürlich vergeben. Für alle Medien müssen allgemeinverbindliche Regeln gelten. Doch es gibt Möglichkeiten: Beim Prozess gegen Jörg Kachelmann etwa bildete das Landgericht Mannheim vorab einen eigenen Topf für Schweizer Medien. Weil der Wettermoderator Schweizer Staatsbürger ist - und man sicherstellen wollte, dass Schweizer Medien aus erster Hand berichten können.

In München entschied man sich dennoch für ein striktes Windhundverfahren nach dem Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Nach drei Stunden waren alle Plätze weg. Dass es im Ausland vielleicht länger dauern könnte, ein solches Akkreditierungsverfahren zu verstehen, berücksichtigte das Gericht offenbar nicht. Zudem sollen einige Medien vorab über das Windhundverfahren informiert gewesen sein - ein Startvorteil also. Das Ergebnis: Türkische Medien gingen leer aus und das OLG sah sich im In- und Ausland harscher Kritik ausgesetzt.

Die Verfügung ist sechs Seiten lang

Nun hat das Gericht das Verfahren neu ausgeschrieben, seit Freitag, 12 Uhr, können sich Medien neu bewerben. Damit die Vergabe diesmal nicht wieder zu Chaos führt, haben die Juristen vorgesorgt: Sechs Seiten ist die Verfügung lang, die am Freitagvormittag verschickt wurde.

Über den Erfolg bei der Akkreditierung entscheidet das Zufallsprinzip, allerdings gibt es feste Kontingente. Vier Plätze werden für türkische Medien reserviert, weil acht der zehn NSU-Opfer türkischer Abstammung waren. Auch ein griechischsprachiges und sogar ein persischsprachiges Medium haben einen garantierten Platz - eines der Münchner Opfer war Grieche, bei einem Sprengstoffattentat in Köln wurde eine Deutsch-Iranerin schwer verletzt. Allerdings hat bislang weder eine griechisches noch ein persisches Medium gesteigertes Interesse an einer Teilnahme am Prozess bekundet.

Auch Nachrichtenagenturen, Fernsehen, Rundfunk, Tagezeitungen und Wochenzeitungen teilte das Gericht ein festes Kontingent zu. Während Fernsehen und Rundfunk zehn Plätze haben, erhalten Tageszeitungen aber nur acht garantierte Plätze, eine Differenzierung zwischen regionalen und überregionalen Medien fehlt. Es wäre also möglich, dass große Tageszeitungen nun leer ausgehen.

Nicht berücksichtigt werden zudem freie Journalisten. Und Online-Medien. Das Gericht sei wohl nicht ganz auf der Höhe der Zeit, lautete der Kommentar der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union. Ein freier Journalist, der im ersten Verfahren einen festen Sitzplatz bekommen hatte, hat bereits rechtliche Schritte angekündigt, wenn er nun herausfallen sollte. Neuer Ärger könnte also vorprogrammiert sein.

Dafür erlaubt das Gericht jetzt eine nachträglichen Poolbildung: Jeder akkreditierte Journalist kann nun "jederzeit im Einvernehmen mit einem Medium, das einen reservierten Sitzplatz erhalten hat, für dieses den reservierten Sitzplatz einnehmen". Auch für die gesamte Verfahrensdauer, wie es in der Verfügung ausdrücklich heißt.

Damit kommt das Münchner Gericht seinen Kritikern entgegen. Einige Journalisten hatten nach der ersten Vergabe angeboten, ihre Plätze an türkische Medien abzugeben. Doch ein solcher Platztausch war nicht möglich, da das Gericht die Reservierungen strikt nach Reihenfolge ihres Eingangs vergeben hatte - und nachträglich nicht die Regeln ändern wollte. Aus Angst vor einer Revision.

Fest steht: Das Chaos um die Sitzplatzvergabe hat das Vertrauen in das Gericht erschüttert. Viele hoffen nun, dass man sich in München jetzt endlich auf das eigentlich Wichtige konzentrieren kann - mit der gleichen Akribie, wie man sich nun um die Platzvergabe für Journalisten gekümmert hat: Den Prozess gegen die schlimmste rechtsextreme Terrorserie, die es in der Bundesrepublik gab.

Ein Strafprozess dient aber in erster Linie dazu, festzustellen, ob ein Angeklagter einen Straftatbestand erfüllt hat, und wie er dafür zu bestrafen ist. Die Nebenkläger erhoffen sich von diesem Prozess allerdings auch Aufklärung, warum die deutschen Behörden bei ihren Ermittlungen so versagt haben.

Das Gericht muss deshalb nicht nur genau sein, es braucht auch Fingerspitzengefühl - mehr als bei einem normalen Mordprozess. Und mehr als es bei der Vergabe der Presseplätze bislang bewiesen hat.

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