Sigmar Gabriel im Interview:"Ich kann nicht jedermanns Liebling sein"

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Der neue Umweltminister spricht über Energiepolitik in Zeiten der Klimakatastrophe. Er hält am Ausstieg aus der Atomenergie fest und legt sich mit dem BDI an.

Michael Bauchmüller und Ulrich Schäfer

SZ: Herr Gabriel, wie Jürgen Trittin stammen Sie aus Niedersachsen, wie er sind Sie erklärter Kernkraftgegner und Befürworter erneuerbarer Energien. Was unterscheidet Sie von Ihrem Vorgänger?

Nicht grün, aber Kernkraft-Gegner: Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD). (Foto: Foto: dpa)

Gabriel: Ich bin nicht Mitglied der Grünen. Und ich bin ein paar Jahre jünger. In der Umweltpolitik wird es so Kontinuitäten, aber auch Wandel geben.

SZ: Was bedeutet das?

Gabriel: Der Umweltschutz hat eine klassische Schutzfunktion, aber er hat mehr denn je auch einen Gestaltungsauftrag. Er muss sich um neue Technologien und Innovationen kümmern. Das werden wir ausbauen. Sie können aus der Atomkraft aussteigen, aber Sie können nicht aus der Industriegesellschaft oder dem globalen Wettbewerb aussteigen.

SZ: Ihr Vorgänger hatte das Problem, dass der Kanzler nicht immer hinter ihm stand. Droht Ihnen das auch?

Gabriel: Mein Amt ist von Natur aus konfliktbeladen, weil es unterschiedliche Interessen gibt. Zum Beispiel gibt es eine Spannung zwischen traditionellen Formen des Wirtschaftens und dem Klimaschutz. Der Umweltminister muss aufpassen, dass er nicht von manchen Wirtschaftslobbyisten, die sachbezogene Debatten scheuen, in eine ideologische Ecke gedrängt wird. Umso wichtiger ist es, die Sachdebatte zu führen und einen fairen Interessenausgleich zu finden.

SZ: Gerade beim Thema Kernkraft haben Sie schnell in der Ecke gestanden.

Gabriel: Erstens ist meine Ablehnung der Atomenergie nicht neu. Zweitens haben offenbar die Interessenvertreter der Atomwirtschaft nicht zur Kenntnis genommen, dass sich in der SPD in den letzten 25 Jahren ein Wandel vollzogen hat. Ich bin als Kernkraftgegner in eine SPD eingetreten, die damals für Atomenergie war. Und wir haben für eine Veränderung dieser Haltung in der SPD gekämpft. Heute muss man nicht mehr Grüner sein, wenn man gegen Kernkraft ist.

SZ: Die Atomlobby traktiert Sie mit dem Argument, die Kernenergie sei praktizierter Klimaschutz. Schließlich würden keine Treibhausgase produziert.

Gabriel: Ich kann ja rational nachvollziehen, dass ein Stromkonzern möglichst viel Gewinn machen will und möchte, dass seine Kraftwerke lange laufen. Mich interessiert in dieser Frage aber nicht die Unternehmensbilanz in fünf Jahren, sondern, ob die Menschen in 500 und mehr Jahren noch auf der Erde leben können. Es darf doch keine Entscheidung zwischen Pest und Cholera werden, welches Risiko wir der Menschheit ersparen möchten: das der Klimakatastrophe oder das von radioaktiven Abfällen.

SZ: Das Klima-Argument zählt für Sie also nicht?

Gabriel: Das Argument stimmt ja nicht mal. Denn Atomkraftwerke produzieren nur Strom, keine Wärme. Die muss extra erzeugt werden und führt natürlich zu Emissionen. Ein modernes Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung ist in der Bilanz nicht schlechter. Es ist aber klar, dass wir ohne fossile Brennstoffe erst mal nicht auskommen. Für den Einsatz der fossilen Energieträger müssen wir aber Zukunftstechnologien entwickeln, die viel effizienter und damit klimafreundlicher sind. Wenn man bedenkt, dass die Uranvorräte gerade mal noch 60 Jahre reichen, ist die Kernkraft nun wirklich keine Zukunftstechnologie. Wir müssen alles daran setzen, alternative Wege wie den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben und vor allem effizienter mit Energie umgehen.

SZ: Die Stromversorger sehen das anders. In der Hoffnung auf die nächste, vielleicht atomfreundlichere Regierung wollen sie ältere Reaktoren länger am Netz lassen, dafür neuere früher abschalten. Werden Sie da mitmachen?

Gabriel: So etwas sieht der Atomkonsens und das Atomgesetz nur als Ausnahme vor. Wenn ich jetzt lese, dass manche daraus eine Regel machen wollen, verstößt das gegen Wort und Geist der Vereinbarung. Ich kenne kein Argument, warum man ein älteres, unsichereres Kraftwerk länger laufen lassen sollte als ein jüngeres und sicheres.

SZ: Nächste Woche reisen Sie zur Klima-Konferenz nach Montreal. Dort geht es um die Zukunft des Kyoto-Protokolls. Was sind Ihre Erwartungen?

Gabriel: Wir hoffen, dass es gelingt, Brücken zu bauen zwischen dem amerikanischen Weg, der auf die Verbreitung von Technologie setzt, und dem Weg von Kyoto. Die Bundesregierung will ein Folgeabkommen mit anspruchsvollen und verbindlichen Zielen. Den Prozess dahin wollen wir in Montreal einleiten. Ohne klare Zielvorgaben für die Minderung der Treibhausgase, wie sie im Kyoto-Protokoll stehen, wird es auch künftig nicht gehen; sonst investiert niemand.

SZ: Wie soll das gelingen, wenn der Klimasünder USA nicht mitzieht?

Gabriel: Gemach. Niemand gibt sein Kind zur Adoption frei, weil es am Anfang nur krabbeln und noch keinen Hundertmeterlauf kann. Man muss dem Kind namens Kyoto das Laufen beibringen. Dieser Prozess findet gerade statt. Auch in den USA wächst bei Bürgermeistern, Gouverneuren und Kongressabgeordneten die Erkenntnis, dass ein Umdenken nötig ist und gehandelt werden muss.

SZ: Muss erst der Präsident wechseln, damit die USA umschwenken?

Gabriel: Ich glaube an die Lernfähigkeit aller Menschen.

SZ: George W. Bush aber zeigt mit dem Finger auf Europa. Kaum ein EU-Land erfüllt derzeit seine Kyoto-Ziele.

Gabriel: Es ist richtig, dass Deutschland wesentlich dazu beigetragen hat, dass die EU vorzeigbare Schritte bei der Emissionsminderung aufweisen kann. Wer das Kyoto-Protokoll ratifiziert hat, ist einen völkerrechtlich bindenden Vertrag eingegangen. Wir müssen den Luftverkehr in den Emissionshandel einbeziehen, mehr tun beim Verkehr und bei privaten Haushalten, wir müssen Technologiepartnerschaften mit Entwicklungsländern eingehen. Von klaren Zielvorgaben für die Industrie dürfen wir nicht abrücken.

SZ: Im Koalitionsvertrag gehen Union und SPD noch weiter: Wenn die EU bis 2020 ihre CO2-Emissionen um 30 Prozent senkt, geht Deutschland noch darüber hinaus. Ist das Ihr Angebot für Montreal?

Gabriel: Wir werden dort erklären, dass wir bereit sind, weiter Vorleistungen zu bringen, wenn andere mitmachen. Wir müssen aber aufpassen: Im internationalen Wettbewerb gibt es Grenzen der Belastbarkeit. Wir sind ein Hochlohnland und wollen es bleiben, wir haben eine hohe soziale Sicherung und wollen sie auch behalten. Wir verfolgen eine Strategie, bei der wir die Produktivität von Energie- und Rohstoffeinsatz verbessern. Wir dürfen den dritten internationalen Wettbewerbsfaktor, die Energiepreise, nicht überdehnen. Deshalb geht es vor allem um Energiesparen und Energieeffizienz. Wir wollen Megawattstunden arbeitslos machen - und nicht Menschen.

SZ: Die Industrie fällt Ihnen jetzt schon in den Rücken - der BDI etwa wirbt für Amerikas Weg im Klimaschutz.

Gabriel: Der BDI muss wissen, auf welche Weise er seinen Ruf bessern oder gefährden will. Es gibt in der Industrie eine Menge Leute, die ganz andere Positionen vertreten. Aber es ist interessant: Wenn wir sonst Debatten haben über Wirtschaftspolitik, wird die reine Lehre der Marktwirtschaft gepriesen. Dabei heißt es immer, auch der Verbrauch von Umwelt muss in die Preise einkalkuliert werden. Wenn wir das dann umsetzen, sogar im internationalen Maßstab, ist es plötzlich des Teufels.

SZ: Es geht eben um viel Geld - zum Beispiel bei der Neuverteilung der Emissionsrechte, die bald ansteht. Bei der letzten Verteilung hieß der Buhmann Jürgen Trittin - heißt er nun Sigmar Gabriel?

Gabriel: Wer jedermanns Liebling sein will, darf nicht Umweltminister werden. Ich verstehe die stromintensive Industrie, die vor zu großen Lasten warnt. Ich verstehe auch, dass uns die Strompreisdebatte nicht kalt lassen darf. Aber ich kann nicht die Minderungsziele der Industrie einfach auf Verkehr und Haushalte verlagern und so anderen die Kosten aufbürden. Dass die Diskussion über die künftigen Verpflichtungen der Industrie nicht einfach wird, ist mir klar.

SZ: Und Ihr natürlicher Gegner in der Regierung ist dann Wirtschaftsminister Michael Glos?

Gabriel: Mein natürlicher Gegner ist der Klimawandel, nicht Michael Glos.

© SZ vom 03.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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