Sicherheitspolitik:Groko will Dschihadisten ausbürgern

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  • Union und SPD wollen Islamisten die Staatsangehörigkeit entziehen, wenn "die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann".
  • Voraussetzung ist, dass die Betroffenen noch einen zweiten Pass besitzen und nicht staatenlos werden.
  • Die Maßnahme soll die Rückkehr von ausgereisten Islamisten verhindern.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

In Artikel 16 Absatz 1 des Grundgesetzes steht ein Bekenntnis. Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Hintergrund ist die Erfahrung der NS-Zeit, damals hatten jüdische Emigranten im Ausland die Nachricht erhalten, dass ihre deutschen Pässe annulliert worden seien. Gleichzeitig hat das Grundgesetz aber eine Hintertür offengelassen. Solange die Menschen nicht staatenlos werden, sprich: solange sie noch einen zweiten Pass aus einem anderen Land besitzen, darf ein Verlust des deutschen Passes "gegen den Willen des Betroffenen" unter Umständen durchaus "eintreten".

Darauf setzen nun die Parteien der großen Koalition. Um deutsche Dschihadisten, die ins syrisch-irakische Bürgerkriegsgebiet ausgereist sind, von einer Rückkehr abzuhalten, wollen sie diese ausbürgern. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf geeinigt, das Staatsangehörigkeitsgesetz dahingehend zu ändern, dass der Pass künftig kassiert werden kann, wenn einem Bürger "die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann" und er nicht staatenlos wird. Die Union wollte die jetzige Regelung, die SPD hat sich ihr nicht mehr entgegengestellt.

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Damit endet offenbar eine jahrelange Debatte. Vor allem das Bundesjustizministerium hatte stets gebremst, auch in SPD-geführten Ländern gab es Widerstand. Zuletzt hatte auch aufseiten der Union niemand mehr das Projekt mit großer Begeisterung vorangetrieben, auch weil die Zahl der Personen, die aus dem Kampfgebiet des sogenannten Islamischen Staates zurückgekehrt waren, sehr gering war. 2016 schrieb das Bundesinnenministerium, es sei ohnehin nur "von Fallzahlen im einstelligen bis niedrigen zweistelligen Bereich auszugehen". Nun ist dies aber anders, der IS ist militärisch besiegt, die Behörden befürchten eine Welle von IS-Rückkehrern.

Unter den etwa 960 Personen aus Deutschland, die sich im Nahen Osten dem IS angeschlossen haben, stellen deutsche Doppelstaatler die größte Gruppe. Es soll sich um fast die Hälfte dieser 960 handeln. Vor allem seien es Deutsch-Türken, Deutsch-Marokkaner, Deutsch-Tunesier, Deutsch-Afghanen und Deutsch-Syrer.

Einige EU-Staaten hatten zuletzt bereits Regeln zur Ausbürgerung von IS-Kämpfern beschlossen. Die meisten übten aber insofern Zurückhaltung, als ein Entzug des Passes wegen Terrorismus nur bei Neubürgern und nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich ist, meist sind dies zehn Jahre nach dem Erwerb der Staatsangehörigkeit. Danach gilt Bestandsschutz. Der Pass wird unangreifbar. Ein Gesetzentwurf der französischen Regierung, der den Entzug der Staatsangehörigkeit auch bei gebürtigen Franzosen ermöglichen sollte, scheiterte 2016 am Widerstand des Senats.

Bewusst kein Unterschied zwischen eingebürgerten und deutsch geborenen Islamisten

Der Plan von Union und SPD geht insofern nun weiter. In der Koalitionsvereinbarung werde bewusst "kein Unterschied gemacht" zwischen eingebürgerten und als Deutsche geborenen Islamisten, sagt der zuständige SPD-Unterhändler, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Die allermeisten IS-Kämpfer aus Deutschland sind gebürtige Deutsche (mit einem womöglich zweiten Pass), wie eine interne Analyse des Bundeskriminalamts, des Bundesamts für Verfassungsschutz und des hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus jedenfalls im Jahr 2016 ergab.

In Unionskreisen heißt es, man habe eigentlich noch weitergehen und schon die bloße Mitgliedschaft beim IS für eine Ausbürgerung genügen lassen wollen, also ohne dass die Betroffenen tatsächlich auch gekämpft haben müssen. Damit wären auch viele der inzwischen Dutzenden Frauen betroffen, die in syrischen und irakischen Gefängnissen einsitzen. Schließlich, so argumentiert die Union, gebe es eine ähnliche Regel schon, wenn Doppelstaatler sich regulären Armeen anschlössen. Seit 1999 werden sie dann automatisch mit Passentzug bestraft, wenn sie ohne Erlaubnis des deutschen Verteidigungsministeriums "in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband" eines anderen Staates eintreten. So steht es in Paragraf 28 des Staatsangehörigkeitsgesetzes.

Von einem Wertungswiderspruch ist in der Union deshalb die Rede. Bei staatlichen Armeen könne der Pass sofort entzogen werden; bei einer Terrormiliz wie dem IS gälten nun auf Drängen der SPD höhere Hürden. Das sei nicht stimmig. Noch eine weitere Einschränkung haben die potenziellen Koalitionäre vereinbart: Anders als beim Eintritt in eine staatliche Armee soll der Entzug des Passes auch nicht automatisch geschehen, sondern erst nach einer Ermessensentscheidung der deutschen Seite im Einzelfall. Insofern bliebe Deutschland vorsichtiger als etwa Österreich: Dort wird seit 2014 mit zwingendem Passentzug bestraft, wer als Doppelstaatler "freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt", ohne Ermessen.

In der Vergangenheit hatte es in deutschen Sicherheitskreisen immer wieder auch Überlegungen gegeben, den deutschen Zweitpass nicht nur zur Strafe nach begangener Terrortat zu entziehen. Man könne dies auch vorbeugend tun - bei sogenannten Gefährdern, denen die Polizei Anschläge zutraut. Solche Personen sind bislang oft nur durch Internethetze aufgefallen. So könnte man sie ausbürgern und abschieben, auch wenn ihnen noch keine Straftat nachzuweisen ist.

In Großbritannien ist bereits die Gefährdung des Gemeinwohls ein Kriterium für den Passentzug

Die Befürworter dieser Idee konnten auf Beispiele aus Europa verweisen. In Belgien kann die Staatsangehörigkeit bereits dann entzogen werden, wenn ein Betroffener seine "staatsbürgerlichen Pflichten" schwerwiegend verletzt, was auch schon durch bestimmte Propaganda erfüllt sein kann. In Großbritannien hat der Innenminister sogar die Freiheit, einen Pass zu entziehen, wenn dies nach seiner Auffassung "dem Gemeinwohl dient". Aber diesen Schritt wollte die SPD nicht mitgehen.

Die Befugnis, deutschen Dschihadisten den Pass zu entziehen, solle der jeweilige Landesinnenminister haben, hatte zuletzt das Bundesinnenministerium von Thomas de Maizière in einem Gesetzentwurf 2016 vorgeschlagen. Ob es dabei bleibt oder ob die heikle Entscheidung nicht eher Gerichten vorbehalten wird wie in den meisten anderen EU-Staaten, ist Pistorius zufolge bei den schwarz-roten Verhandlungen noch offengeblieben.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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