Regierung in Bern:Schweizer Innenminister tritt zurück

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Tritt zu den Bundesratswahlen im Dezember nicht mehr an: Innenminister Alain Berset. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Der an Jahren jüngste und gleichzeitig dienstälteste Minister der Schweiz hört auf: Der Sozialdemokrat Alain Berset will sich Ende des Jahres nicht wieder zur Wahl stellen. Der einst beliebte Politiker war zuletzt immer wieder über Skandale gestolpert.

Von Isabel Pfaff, Bern

Alain Berset, der Schweizer Innen- und Gesundheitsminister, will nicht noch einmal antreten, wenn im Dezember die Regierung des Landes neu gewählt wird. Das teilte der 51-jährige Sozialdemokrat am Mittwoch mit. Berset ist seit 2011 Mitglied im Bundesrat, jenem siebenköpfigen Regierungsgremium, in dem alle wichtigen politischen Strömungen des Landes gemäß ihrer Stärke vertreten sind. Berset ist darin einer von zwei Ministern der Sozialdemokratischen Partei (SP). Inzwischen ist der aus dem Kanton Freiburg stammende Politiker der dienstälteste Bundesrat, obwohl er altersmäßig der jüngste ist.

In der Schweiz wählt das Parlament die Regierungsmitglieder im Grunde auf unbestimmte Zeit. Zwar finden alle vier Jahre Regierungswahlen statt, im gleichen Turnus wie Parlamentswahlen. Doch wenn die Bundesrätinnen und Bundesräte gerne weitermachen wollen, werden sie in der Regel im Amt bestätigt. Eine Abwahl kommt äußerst selten vor. Und so sind es üblicherweise die Minister selbst, die entscheiden, wann Schluss sein soll.

Der Proporz stimmt nicht: Berset macht wohl Platz für einen Deutschschweizer

Das haben im Herbst 2022 bereits zwei langjährige Bundesratsmitglieder getan: Ueli Maurer, Politiker der rechtskonservativen SVP und damals Finanzminister, sowie SP-Frau und Umweltministerin Simonetta Sommaruga. Ihre Nachfolger hat das Parlament im Dezember gewählt. Und weil auf Simonetta Sommaruga überraschend eine frankophone Politikerin aus dem Kanton Jura folgte, geriet plötzlich noch ein Minister unter Rücktrittsdruck: Alain Berset.

Gemäß Verfassung nämlich sollen die verschiedenen Sprachgruppen der Schweiz im Bundesrat angemessen vertreten sein. Doch mit der Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider waren mit einem Mal die franko- und italophonen Regierungsmitglieder in der Mehrheit. Im Parlament fanden einige Politikerinnen und Politiker, dass das kein Dauerzustand sein sollte. Als nächstes, so die Überlegung, müsse deshalb der frankophone Berset zurücktreten, um Platz für einen Deutschschweizer zu machen und damit die Verhältnisse wieder zurechtzurücken.

Berset, über Jahre einer der beliebtesten Bundesräte und zudem einer, der in der Pandemie sein Profil als verlässlicher Krisenmanager schärfen konnte, zeigte sich davon zunächst unbeeindruckt. Dafür geriet er im Januar an anderer Stelle unter Druck: Damals wurde bekannt, dass Bersets Kommunikationschef engen Kontakt zum Medienkonzern Ringier unterhalten und diesem während der Pandemie vertrauliche Informationen zum Corona-Kurs der Regierung zugespielt hatte. Ob Berset davon gewusst hat, ist bis heute unklar. Derzeit untersucht eine Parlamentskommission mögliches Fehlverhalten in der Sache.

Zuletzt verließ den Minister seine Stilsicherheit, er beklagte einen "Kriegsrausch"

Zuletzt war der eigentlich stilsichere Innenminister auch mit unglücklichen Formulierungen aufgefallen - und das, obwohl er in diesem Jahr das Amt des Schweizer Bundespräsidenten inne hat und deshalb über eine etwas herausgehobene Position verfügt. Im März, inmitten der Debatten über die Schweiz und ihre Rolle bei den Rüstungshilfen für die Ukraine, sagte Berset in einem Interview, er nehme bei "gewissen Kreisen" einen "Kriegsrausch" wahr. Die Formulierung schlug hohe Wellen, schließlich ist der Ruf der Schweiz seit Beginn des Ukraine-Krieges angeschlagen, weil das neutrale Land europäischen Staaten mehrmals verweigert hat, Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben. Dass nun ausgerechnet der Schweizer Bundespräsident von "Kriegsrausch" sprach, empörte viele, die in der Alpenrepublik ohnehin eine stille Nutznießerin westlicher Verteidigungspolitik sehen.

Dass derlei Vorfälle zu seinem Rücktritt geführt hätten, verneint Alain Berset bei der Pressekonferenz am Mittwoch. Es sei nun einfach der richtige Zeitpunkt, sagte er und betonte, dass es sich eigentlich nicht um einen Rücktritt handle, da er seine Legislatur ja zu Ende bringe. Er verwies darauf, dass es seine dritte Amtszeit sei, zudem sein zweites Präsidentschaftsjahr. Und: "Letzten Sonntag hat sich mit der dritten Covid-Abstimmung ein Zyklus geschlossen." Die Bevölkerung hatte nämlich zum dritten Mal über das Schweizer Covid-Gesetz abgestimmt und es zum dritten Mal abgesegnet. Das sei für ihn eine Art Abschluss seiner Arbeit als Gesundheitsminister gewesen, so Berset.

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Für seine Partei kommt der Rücktritt zwar überraschend, aber in einem Wahljahr ist er auch von Vorteil. Die Suche nach einem Nachfolger, einer Nachfolgerin, der oder die gemäß den Schweizer Regeln ja wieder aus der SP kommen sollte, dürfte der Partei viel Aufmerksamkeit bescheren.

Was er nach seiner Zeit als Bundesrat machen werde, wollte ein Journalist am Mittwoch noch wissen. Berset, mit 51 noch nicht im richtigen Alter für den Ruhestand, beließ es bei einem Witz. Jemand habe ihm gesagt, dass heute der Tag des Yoga sei. "Vielleicht fange damit an?"

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