Schweiz:Mit Wucht

Der schlanke Staat geht auf Kosten von Frauen, die als Mütter oder Pflegekräfte die Lücken füllen.

Von Isabel Pfaff

In der Schweiz wurden die Frauen spät als politisch mündig erachtet: 1971 kam das Frauenwahlrecht auf Bundesebene, im Kanton Appenzell Innerrhoden mussten die Frauen sogar bis 1990 warten. Dafür hat die Schweizer Frauenbewegung heute eine Wucht, von der andere europäische Länder nur träumen können. Zum zweiten Mal in der Schweizer Geschichte streiken die Eidgenössinnen nun für die Durchsetzung ihrer Rechte. Gewerkschafterinnen, Punks, Mütter mit Kindern, Bäuerinnen: Der Schweizer Feminismus, das zeigte sich an diesem Freitag, ist vielfältig, lebendig und kraftvoll.

Schlagkraft ist notwendig, denn es gibt viel zu tun. In der Schweiz gilt: Ein schlanker Staat ist ein guter Staat, er soll sich möglichst wenig einmischen. Die Politik hält sich also weitgehend aus Familienorganisation, Kinderbetreuung und Pflege heraus. Getan werden muss die Arbeit aber - und so federn vor allem Frauen diesen politischen Kurs ab, als Mütter, Großmütter, schlecht bezahlte Erzieherinnen und Pflegekräfte. Dass die Regierung darin kein Problem sieht, hat sie erst vor wenigen Wochen wieder bewiesen: Selbst zwei Wochen bezahlte Elternzeit für Väter hält sie für zu teuer und will das Thema den Arbeitgebern überlassen.

Die streikenden Frauen wollen diese Politik nicht länger hinnehmen. Sie fordern die Anerkennung unbezahlter Familienarbeit, gerechte Löhne, existenzsichernde Renten. Eigentlich nicht besonders radikal - umso schlimmer, dass ein reiches Land wie die Schweiz sich so schwer damit tut.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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