Schweiz:Gleiche Rechte, keine Sonderrechte

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Wer Homosexuelle an sich beleidigt, bleibt in der Schweiz bisher straffrei. (Foto: Melanie Duchene/dpa)

Eine Reform soll in der Schweiz künftig homophobe Äußerungen unter Strafe stellen - doch ausgerechnet ein schwuler Konservativer kämpft dagegen.

Von Isabel Pfaff, Baden

Michael Frauchiger sitzt vor seinem Mittagessen im Migros-Restaurant in Baden und wirkt ein bisschen wehmütig. Sechs Wochen Urlaub in Australien liegen hinter dem 29-Jährigen. Heute ist sein erster Arbeitstag, draußen regnet es in Strömen. Und auch sonst kommt die Schweiz im Vergleich nicht so gut weg. "Gesellschaftsliberal", schwärmt Frauchiger, "Australien ist einfach wirklich gesellschaftsliberal." Überall sehe man schwule und lesbische Elternpaare, Homosexualität sei dort pure Normalität.

Michael Frauchiger, kurzes Haar, Dreitagebart, schwarze Brille, ist bekennend schwul. Er lebt mit seinem Partner in einem kleinen Dorf im Kanton Zürich, zur Arbeit pendelt er nach Baden, wo er als Ingenieur für Gebäudetechnik arbeitet. Frauchiger setzt sich für die rechtliche Gleichstellung Homosexueller ein, er befürwortet die Ehe für alle und das volle Adoptionsrecht für schwule und lesbische Eltern. Und: Er tut das alles als Mitglied der rechtskonservativen SVP.

"Ich weiß, die SVP ist nicht bekannt dafür, sich für LGBTI-Anliegen einzusetzen", räumt Frauchiger ein. Trotzdem: Er bezeichnet die Partei, die mit rassistischen Plakaten und erzkonservativen Ansichten erfolgreich geworden ist, als seine politische Heimat. "Ich bin konservativ", sagt Frauchiger, "mit keiner Partei habe ich so viele Gemeinsamkeiten." Und: "Wahrscheinlich ist die SVP am Ende die am wenigsten homophobe Partei der Schweiz." Wie bitte? Frauchiger beharrt darauf. "Bei uns gilt einfach: Was im Schlafzimmer passiert, ist Privatsache."

Dass Michael Frauchiger im Moment trotzdem sehr oft über seine sexuelle Orientierung und seine Parteizugehörigkeit sprechen muss, hat mit dem kommenden Sonntag zu tun. Dann nämlich werden die Schweizer darüber abstimmen, ob die sogenannte Anti-Rassismus-Strafnorm ausgeweitet werden soll und damit künftig auch bei Homophobie greift. Kommt diese Reform des Strafgesetzbuches durch, würden künftig alle bestraft, die öffentlich zu Hass oder Diskriminierung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung aufrufen. Bisher sind homophobe Äußerungen in der Schweiz nur strafbar, wenn sie sich gegen eine konkrete Person oder Personengruppe richten. Wenn Beleidigungen auf die Gesamtheit der Homo- oder Bisexuellen zielen, können sie im Moment nicht strafverfolgt werden - im Gegensatz zu rassistischen Beleidigungen oder solchen, die sich gegen Mitglieder einer bestimmten Ethnie oder Religion richten.

Es war ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2010, das die nun zur Debatte stehende Reform angestoßen hat: Die Junge SVP des Kantons Wallis hatte Homosexualität in einer Medienmitteilung als "abnormales Verhalten" bezeichnet. Schwulen- und Lesbenorganisationen reichten daraufhin Klage ein, scheiterten aber in mehreren Instanzen. Am Ende bescheinigte ihnen auch das Bundesgericht in Lausanne, dass die angegriffene Personengruppe zu unbestimmt sei, um ein Urteil wegen Ehrverletzung zu fällen - und dass die Anti-Rassismus-Strafnorm eben nicht bei Fällen von Homophobie greife.

Nach diesem Urteil ergriffen linke Parlamentarier die Initiative. Beide Kammern stimmten schließlich einer Erweiterung der Rassismus-Strafnorm zu, und auch die Regierung befürwortet die Reform. Doch rechtskonservative Kreise sammelten Unterschriften und setzten so eine Abstimmung über das Vorhaben durch. Nun hat, wie so oft, das Volk das letzte Wort.

Früher arbeitete Frauchiger auf dem Bau. Wenn er dort Rohre schleppte, kamen blöde Sprüche

Michael Frauchiger hat kein bedeutendes Parteiamt inne, ist zuletzt jedoch zum prominentesten Gegner der Reform geworden. Der Homosexuelle, der sich gegen mehr Schutz vor Hass und Diskriminierung wehrt - wie passt das zusammen? Frauchiger ist es inzwischen gewöhnt, sich zu erklären. Und beginnt von seiner Lehrzeit zu erzählen. Er war 16 und arbeitete als angehender Sanitärmonteur auf Baustellen, als er sich outete. Traumatische Erinnerungen hat er keine daran, obwohl er sich wegen der großen Rohre, die er herumschleppen musste, einiges anhören musste. "Auf dem Bau kriegt eben jeder einen blöden Spruch, egal ob man dick, doof, Ausländer oder eben schwul ist", sagt er. Für Frauchiger gehören solche Auseinandersetzungen in einer offenen, liberalen Gesellschaft dazu. Er glaubt nicht an einen verbesserten Schutz vor Hetze durch die Reform. "Viel wichtiger ist eine Normalisierung von Homosexualität", sagt er. "Ich will gleiche Rechte statt Sonderrechte."

Und so hat der Jungpolitiker ein schwul-lesbisches Komitee namens "Sonderrechte NEIN" gegründet - überparteilich, wie er betont. Mit anderen Homo- und Bisexuellen bekämpft Frauchiger nun die Strafrechtsreform, allerdings in klarer Abgrenzung zum offiziellen Referendumskomitee, das unter anderem von Abtreibungsgegnern, stramm konservativen und evangelikalen Gruppen getragen wird. Sein Ziel: Zeigen, dass nicht nur unverbesserlich Gestrige, sondern auch Mitglieder der Schweizer LGBTI-Gemeinschaft die geplante Reform kritisch sehen.

Dass er am Sonntag einen Erfolg verbuchen kann, glaubt Frauchiger allerdings nicht - zu eindeutig sprechen die Umfragen für eine Annahme der Reform. Für ihn ist es trotzdem wichtig, die Debatte mitzugestalten. Und er will weitermachen: in seiner Partei. Wenn es demnächst in der Schweizer Politik um die Öffnung der Ehe für alle gehen wird, möchte er die SVP dazu bringen, sich zumindest nicht auf die Gegenseite zu schlagen. Sogar ein Ja hält er für möglich. "Die SVP hat sich in dieser Hinsicht wirklich verändert."

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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