Schwarz-Grün:Der Risikofaktor Merkel

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Grün light als Nachfolgekandidat für die FDP und Abwehrschild gegen die SPD? Worüber die Grünen mal nachdenken sollten, bevor sie sich in ein Bündnis mit der Union stürzen.

Joachim Raschke

Joachim Raschke, Jahrgang 1938, lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Schwerpunkte sind die Parteien- und Strategieforschung.

Grenzüberschreitung ist immer sympathisch, aber nicht immer klug. Schwarz-Grün war bisher eine Frage des Preises. Das muss es bleiben, wenn die Grünen dabei überleben wollen. Ein Bündnis über das eigene Lager hinaus ist das Riskanteste, was eine Kleinpartei bundespolitisch unternehmen kann.

In 60 Jahren Bundesrepublik hat die FDP einmal das bürgerliche Lager verlassen (1969). Später ist sie zurückgekehrt (1982). Mehr war nicht. Und beides waren Zerreißproben für Partei und Wählerschaft. Dabei war die Distanz zwischen FDP und SPD damals geringer als heute zwischen Grünen, CDU und CSU.

Das ist etwas für große Steuerleute, mindestens vom Rang und der Advokatenschläue Hans-Dietrich Genschers. Haben die Grünen das? Sie brauchen diese Steuerungskunst schon intern, weil es nun doch wieder eine Spaltung bei den Grünen gibt: die Parteilinke will das Linksbündnis, die Realos wollen Schwarz-Grün. Die Realos, die sich heute Reformpolitiker nennen, sind geradezu in einem schwarz-grünen Taumel. Auch die Linken kennen nur eine Richtung: Rot-Rot-Grün. Für beide ist die Koalitionsfrage eine Art Ideologie-Ersatz. Die Grünen haben hier nur Überzeugungstäter. Gerade das kann man beim Koalieren am wenigsten gebrauchen.

Die Realos wollen Schwarz-Grün

Man muss unterscheiden: Kommune und Land - da ist fast alles möglich. Selbst in den Ländern ist die Ent-Ideologisierung so weit fortgeschritten, dass Bündnisfragen keine Grundsatzfragen mehr sind. Und selbst dort braucht es viel Klugheit für den Wechsel. In Nordrhein-Westfalen bereitet ein mehrheitlich linker Landesverband nun Partei und Wähler auf Schwarz-Grün vor.

Dort macht man vieles richtig. Man bekennt sich zur Priorität Rot-Grün und hält den Preis hoch, zu dem man der CDU die große Koalition erspart. Eine moderate Linke als Spitzen-Grüne erhöht die Glaubwürdigkeit des Lagerwechsels. In Hamburg forciert man das Aufbrechen des "ständischen Schulsystems", wie es der CDU-Bürgermeister Ole von Beust sagt - ein großes Projekt.

Im Bund ist alles unendlich viel schwieriger. Da gibt es viele große Themen und die anhaltende Wirkungskraft politischer Lager. Ausgerechnet dort drängen Realos zu Schwarz-Grün, als hätten sie gerade auf dieses Bündnis gewartet, emotional entschieden, bevor ein Diskurs begonnen hat.

Suche nach substantiellen Angeboten

Nixon goes to China, wie es seit den siebziger Jahren und dem damals sensationellen Besuch des konservativen US-Präsidenten in Peking heißt: Der ideologisch Unverdächtige muss überraschen. Vom entgegengesetzten Pol, nicht von der näherliegenden Position her den grundlegenden Kurswechsel vornehmen. Also müsste einer wie Jürgen Trittin es machen. Und die Spitzen-Realo Renate Künast müsste die Option zu einem Linksbündnis glaubwürdig offen halten.

Wo wären die substantiellen Angebote? Man kann sich doch nicht auf den Vorschlag des CDU-Umweltministers Norbert Röttgen einlassen, zwar aus der Atomenergie auszusteigen, aber acht Jahre später als von Rot-Grün beschlossen - und dann den "endgültigen" Atomausstieg noch einmal feiern. Oder soll vielleicht die Etat-Sanierung das grüne Projekt werden?

Hat sich Merkel, außer durch Worte, denn bisher hervorgetan bei der Schaffung wirklich neuer Regeln für das Finanzsystem - warum sollte sie sich in dieser grundlegenden Frage gerade mit der Weltmacht Grüne verbünden? Von allem ein bisschen, aber kein großes Projekt: Wäre das für die Grünen genug?

Nur wenn man ein paar Grundbedingungen grünen Erfolgs nicht aus dem Auge verliert, könnte man das völlig neue bundespolitische Spiel auch gewinnen, das nach einem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen losginge. Dazu gehören die Realitäten bei den Wählern.

Die grünen Wähler stufen sich und ihre Partei als links ein - zwischen SPD und Linkspartei. Die mehrheitliche Koalitionspräferenz heißt Rot-Grün. Es gibt im Bund keine Wählerwanderung zwischen den Grünen und dem bürgerlichen Lager. Für grüne Wähler zählen Inhalte.

Zu den Erfolgsbedingungen gehört auch eine geschlossene, handlungsfähige Partei. In der Partei wirft man sich heute wechselseitig "Anpassung" vor: den Realos die Abschwächung der Ziele, bis sie zur CDU passen, und der Parteilinken den Linksopportunismus. Wer hält die Partei zusammen, wenn die Scheinwerfer der Kritik, von denen die Grünen eine ganze Weile verschont waren, wieder auf sie gerichtet sind?

In schwarz-grünen Koalitionen steckt seitens der CDU immer auch ein machtpolitisches Moment, das gegen die SPD gerichtet ist - und so zusätzlich zu rot-grünem Unfrieden beiträgt. Die SPD fernhalten: Das kann für die CDU auch dann attraktiv sein, wenn die programmatischen Kosten einer großen Koalition geringer sind als die von Schwarz-Grün. Es muss die Grünen nicht stören, sie müssen es nur wissen, um über sozialdemokratische Reaktionen nicht erstaunt zu sein.

Wer wird Gewinner aus der Erosion des alten rot-grünen Lagers sein, eines Lagers, das sich gegen die Erweiterung um die Linkspartei sträubt? Sozialdemokraten und Linke werden die Grünen zum Objekt von Kampagnen machen, in denen ein Etikett wie "prinzipienlose Funktionspartei" noch zum beschreibenden Teil gehört.

Politische Steuerungskunst braucht auch Gefahrenbewusstsein. Die Grünen als Mehrheitsbeschaffer, als Nachfolgekandidat für die schon nach einem halben Jahr abgewirtschaftete FDP - so etwas beflügelt viele Medien, aber wen noch?

Merkels Strategie heißt, grüne Wähler mit Grün light zu gewinnen, damit sie sie im Kampf mit christlichen Konservativen, Atomlobbyisten und den marktschreierischen Liberalen unterstützen. Sie will zeigen, dass sie auch anders könnte. Diese Lockerungsübungen sind abgekoppelt vom Kern der CDU. Wenn Angela Merkel eines Tages aufhört, könnte sie nicht nur mit drei Parteien regiert, sondern auch drei Parteien ruiniert haben.

Nüchternheit und Kenntnis der eigenen Wirkungsbedingungen sind für eine Partei wichtig; gerade wenn ihr von überall diffuse Erwartungen zufliegen. Wir haben in Gestalt der FDP schon eine besoffene Oppositionspartei in der Ausnüchterungszelle der Regierung. In der Opposition hat man viel Zeit. Man kann sie ja auch mal zum Nachdenken über künftiges Regieren nutzen.

© SZ vom 15.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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