Schwan im Interview:"Mit der Linken auseinandersetzen"

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Gesine Schwan über ihre Chancen bei der Bundespräsidentenwahl und warum die SPD die Linke nicht tabuisieren sollte.

P. Fahrenholz, N. Fried und H. Prantl

SZ: Haben Sie in den letzten Wochen einmal daran gedacht, Ihre Kandidatur zurückzuziehen?

Will im Amt des Bundespräsidenten die Probleme angehen, die die Linken ansprechen: Die SPD-Kandidatin für die Bundespräsidenten-Wahl, Gesine Schwan, äußert sich im SZ-Gespräch zum ersten Mal seit dem Führungswechsel in der SPD und der Landtagswahl in Bayern. (Foto: Foto: AP)

Gesine Schwan: Nein.

SZ: Aber Ihre Chancen sind nach der Bayernwahl schlechter geworden, die Hoffnung auf einen Zugewinn der SPD hat sich nicht erfüllt.

Schwan: Sie sind nicht besser, aber auch nicht schlechter geworden, das stimmt. Ich habe meine Entscheidung nicht mit Blick auf zukünftige Zuwächse getroffen. Es ging darum, dass ich eine reelle Chance habe. Und die habe ich nach wie vor.

SZ: Haben Sie in der SPD die Unterstützung der neuen Parteiführung?

Schwan: Ja.

SZ: Mit Kurt Beck ist Ihr wichtigster Fürsprecher weg. Ist Ihr Vertrauensverhältnis zu Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier stabil genug?

Schwan: Ich weiß nicht, ob Ihre Diagnose richtig ist. Kurt Beck hat die Sitzung geleitet, in der in Potsdam über die Frage der Kandidatur gesprochen wurde. Ich kenne ihn persönlich gar nicht so gut, aber ich halte ihn für integer und fair. Frank-Walter Steinmeier kenne ich viel besser und viel länger. Und zu Franz Müntefering habe ich insofern eine engere Beziehung, als wir ein gemeinsames Politikverständnis haben. Das hängt wahrscheinlich mit dem Linkskatholizismus zusammen, aus dem wir beide kommen.

SZ: Hat sich die Richtung der SPD mit dem Wechsel an der Spitze verändert?

Schwan: Nein. Ich fand schon das Gerede von einem Linksruck falsch. Und auch jetzt wird das vollkommen überbewertet. Die Partei hat sich inhaltlich und programmatisch nicht geändert. Im Übrigen wird die Richtung der SPD von der SPD festgelegt, und nicht von der Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin.

SZ: Kanzlerkandidat Steinmeier hat über Sie gesagt: Sie bleibt die Kandidatin. Besonders euphorisch klang das nicht. Und in Potsdam soll Steinmeier aus strategischen Gründen gegen Ihre Kandidatur gewesen sein. Haben Sie mit ihm mal darüber gesprochen?

Schwan: Ja, das habe ich. Seine Bedenken waren nicht gegen mich als Person gerichtet. Wir haben uns darüber unterhalten, ob man die Kandidatur eher als Chance oder als Risiko sehen sollte.

SZ: Was entgegnen Sie denjenigen, die das wegen Ihrer Abhängigkeit von den Stimmen der Linken als Risiko sehen?

Schwan: Ich habe ausführlich mit Frank-Walter Steinmeier und auch mit Franz Müntefering gesprochen. Sie waren immer der Meinung, dass meine Kandidatur eine Chance bietet, wichtige Themen wie den Fortbestand der sozialen Demokratie öffentlich zu diskutieren - und auch dafür, dass wieder ein umfassenderes Politikverständnis in die Debatte eingebracht werden kann. Bisher ist die Bundespräsidentendebatte sehr instrumentell geführt worden: Was bedeutet das für die politische Konstellation im Jahr 2009? Aber das unterschätzt das Potential dieses Amtes. Es geht doch darum, wichtige Debatten anzustoßen, voranzutreiben und damit auch für Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen. Das ist die Aufgabe des Bundespräsidenten. Die Wahl des Bundespräsidenten im Mai ist keine Weichenstellung für die Bundestagswahl 2009.

SZ: Das Ziel der SPD bei der Bundestagswahl ist eine Ampel-Koalition mit der FDP und den Grünen. Wäre es da so ungeschickt, Herrn Westerwelle ein Einstiegsgeschenk zu machen und seinen Kandidaten Köhler mitzuwählen?

Schwan: Ich sehe keinen Grund, Herrn Westerwelle Geschenke zu machen.

SZ: Sie glauben, es wird ihm, wenn 2009 eine Koalition gebildet wird, egal sein, ob Sie zuvor mit Stimmen der Linken gewählt wurden?

Schwan: Herr Westerwelle sagt ja selbst, dass seine Wunschkoalition Schwarz-Gelb ist. Und wenn das nicht geht, bin ich überzeugt davon, dass er die Koalition eingehen wird, in der er am meisten liberale Politik durchsetzen kann. Ich glaube nicht, dass die FDP in die Opposition gehen möchte.

SZ: Den Skeptikern in Ihrer Partei geht es vor allem um das Signal, das Ihre Kandidatur bedeutet. Die SPD versucht mit allen Kräften den Verdacht zu zerstreuen, sie werde nach der Wahl doch Rot-Rot-Grün machen, wenn es rechnerisch reicht. Aber vorher soll eine Präsidentin mit den Stimmen der Linken gewählt werden. Das ist doch ein Glaubwürdigkeitsproblem für die SPD.

Schwan: Glaubwürdigkeit ist sehr wichtig. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich kohärent und glaubwürdig bin.

SZ: Der Vorwurf hatte sich auch nicht gegen Sie persönlich gerichtet.

Schwan: Das weiß ich. Ich sage, glaubwürdig kann man nur sein, wenn man eine kohärente Linie vertritt. Andrea Ypsilanti hat nicht deswegen Glaubwürdigkeitsprobleme gekriegt, weil sie mit den Linken kooperiert, sondern weil sie vorher vehement bestritten hat, mit der Linkspartei kooperieren zu wollen.

Auf Seite Zwei: Gesine Schwan über die Linke in Hessen und die Parlamentarisierung der Grünen.

SZ: Daraus folgt?

Schwan: Wenn die Sozialdemokratie ihre Politik für die nächsten acht Jahre vorausdenkt, muss sie wissen, wie sie sich in dieser Zeit glaubwürdig gegenüber der Linken positioniert. Und ich denke, glaubwürdig kann man da nur sein, wenn man diesen Herausforderer nicht tabuisiert oder ignoriert, sondern sich mit ihm auseinandersetzt. Die SPD hat in den letzten Monaten immer wieder inhaltliche Gründe genannt, warum sie eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nach 2009 auf Bundesebene ausschließt. Diese konkrete Auseinandersetzung ist der richtige Weg, davon bin ich überzeugt.

SZ: In Hessen steht jetzt eine, nun ja, kastrierte Regierungsbeteiligung an: die Duldung. Wie beurteilen Sie das Projekt?

Schwan: Als Bundespräsidenten-Kandidatin will ich mich nicht zu bestimmten Koalitionsverhandlungen äußern. Sie würden Herrn Köhler ja auch nicht danach fragen.

SZ: Doch.

Schwan: Ich kann langfristige Überlegungen anstellen, das habe ich getan. Politik ist für mich die Kunst des Möglichen nach normativen Prinzipien. Und die normativen Prinzipien müssen sein: eine demokratisch einwandfreie und eine sozial möglichst gerechte Politik zu machen. Wenn Andrea Ypsilanti dann auch im Lichte der öffentlichen Kritik in so einer Situation den Eindruck hat, sie kann eine solche Politik in Hessen nicht aus der Opposition heraus machen, dann ist das ihre Sache und ihre Aufgabe. Dazu habe ich keinen Kommentar abzugeben.

SZ: Das ist auch ein Kommentar.

Schwan: Die Linke ist eine neue Strömung, und mit dieser neuen Strömung muss man jetzt umgehen. Da muss man das kritisieren, was mit der Demokratie nicht vereinbar ist und was man politisch nicht richtig findet. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, dann wird man sehen, wie sie sich entwickeln. Erinnern Sie sich an die Debatten damals bei den Grünen. Mein Gott, was hat es alles für Weltuntergangsvoraussagen gegeben bei den ersten Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Heute koaliert auch die Union mit den Grünen in einem Bundesland.

SZ: Die Parlamentarisierung der Grünen war ein sehr langer Prozess. Wie lange wird es diesmal dauern?

Schwan: Nicht so lange, weil die Probleme viel zu dringlich sind. Die Umweltprobleme waren in den achtziger Jahren auch dringlich, aber sie waren für viele noch nicht so unmittelbar sichtbar. Was heute mit der globalisierten Wirtschaft passiert, das trifft jeden ganz hart. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Da geht es nicht um Parteitaktik, nicht darum, wie wir jetzt diesen oder jenen behandeln. Wir müssen uns um diese Probleme kümmern. Aber wir müssen dabei auf unsere Prinzipien achten. Für mich heißt das: Sicherung von Freiheit, Recht und Demokratie.

SZ: Sie wollen sich offensiv mit der Linken auseinandersetzen. Ist die Strategie der SPD, die Linke möglichst lange zu ignorieren, gescheitert?

Schwan: Zunächst einmal: Ich kann mich als Bundespräsidenten-Kandidatin nicht mit einer Partei auseinandersetzen. Mein eigener Ansatz ist, die Probleme anzugehen, die auch die Linken ansprechen und für die ihnen in der Bevölkerung eine gewisse Kompetenz zugesprochen wird, nämlich Gerechtigkeit und wirtschaftliche Fragen. Dazu muss man dann auch öffentliche Vorschläge machen. Dem kann sich die Linke dann nähern oder nicht. Eine solche Strategie halte ich dem Amt für angemessen.

SZ: Wie viele Jahre wird es dauern, bis es formelle Koalitionen mit der Linken im Westen Deutschlands geben wird?

Schwan: Das ist doch Spekulation. Man muss sehen, wie es personell und inhaltlich bei der Linken weitergeht. Da ist noch viel zu klären. Wichtig wird sein, welche Antworten die Sozialdemokratie auf die Fragen der Globalisierung findet. Es ist ja spannend, dass jetzt in der Finanzkrise auf einmal alle den Staat für den größten Vertrauensträger halten. Gleichzeitig wird aber von manchen weiter abgewehrt, dass der Staat, genauer, dass öffentlich verantwortliche Politik auf der globalen, der europäischen und der nationalen Ebene als Konsequenz aus der Krise auch neue Regeln verlangt.

Auf Seite Drei erklärt Gesine Schwan, welche Rolle der Bundespräsident in einer solchen Krise übernehmen sollte.

SZ: Welche Aufgaben hat der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin in dieser Situation?

Schwan: Ich denke, er sollte alles tun, damit die Gesellschaft sich klar werden kann darüber, wo sie hin will. Er soll nicht konkrete Ziele vorgeben. Er ist qua Verfassung keine Autorität, die sagt, wo es langgeht, welche Einzelmaßnahmen zu ergreifen sind.

SZ: Was denn sonst? Soll er nur beschreiben, wo man steht, soll er sich darauf beschränken, Zustandsbeschreibungen zu liefern?

Schwan: Er ist eine Autorität, die kompetent Gerechtigkeit und damit Vertrauenswürdigkeit ausstrahlt, indem sie sagt: "Das und das sind die Probleme, das und das sind die Handlungsalternativen." Es ist eine analytische Aufgabe.

SZ: Muss der Bundespräsident die soziale Marktwirtschaft erneuern?

Schwan: Ich würde es als meine Aufgabe in dem Amt ansehen, dazu etwas zu sagen, ja. Ich bringe selber etwas Sachverstand mit, weil ich mich viel mit ordnungspolitischen Fragen auch in der Wirtschaft befasst habe, und darüber werde ich demnächst auch öffentlich sprechen. Ein Bundespräsident hat ja im Übrigen auch die Chance, sich jeden denkbaren Sachverstand heranzuholen. Der Bundespräsident kann zur Selbstaufklärung der Gesellschaft beitragen. Ich bin eine Aufklärungsanhängerin.

SZ: Sie wollen eine Demokratiedebatte in Gang setzen und führen. Ist es nicht beschämend für Ihre Partei, die SPD, wenn nach deren zehn Regierungsjahren eine Demokratiedebatte in Gang gesetzt werden muss?

Schwan: Nein, das ist nicht beschämend. Ich bin seit 30 Jahren in Kommissionen der SPD. Ich bin in der Partei, aber nicht von der Partei. So wie ich in der Kirche bin, aber nicht von der Kirche. Man kennt die Sache von innen, man hat Vertrauensverhältnisse - aber man hängt nicht davon ab. Das ist ganz wichtig. Ich habe beobachtet, dass Politiker allenfalls zehn Prozent Zeit haben, sich um das Grundsätzliche zu kümmern. Und zwar nicht, weil sie bösen Willens, sondern weil sie vom Alltagsgeschäft völlig absorbiert sind. Hier muss die Gesellschaft selber etwas liefern, übrigens auch die Wissenschaft. Ich bin da ein großer Kritiker meiner eigenen Zunft. Es ist nicht beschämend für die praktische Politik, dass sie das nicht kann.

SZ: In der Finanzkrise erleben wir die Stärkung des Staates, aber nicht die Stärkung der Demokratie. Was die Bundesregierung im Moment macht, ist getrieben von Not, aber für demokratische Legitimierung bleibt eigentlich keine Zeit.

Schwan: Es ist das alte Lied von Platon, dass das Staatsschiff auf hoher See einen Kapitän braucht, der schnell agiert. Dieser Kapitän ist der Prototyp einer nicht demokratischen Regierung. Aktionen in Notsituationen befördern selten die Demokratie. Aber die jetzige Krise hat zu einer neuen Aufmerksamkeit dafür geführt, wie wir solche Krisen in Zukunft vermeiden können.

Ich will diese Aufmerksamkeit weiterentwickeln, hin zu einem demokratischen Verständnis der Bürger, die sich ihrer eigenen Verantwortung wieder bewusst werden müssen. Sie dürfen Politik nicht als ein bloßes Angebot auf dem Markt betrachten, aus dem man auswählt, so wie man neue Schuhe auswählt. Demokratische Verantwortung muss wieder viel breiter wahrgenommen werden. Demokratie ist eine heikle Sache. Jeder soll sein Leben leben können. Aber wir können nicht so tun, als seien wir nicht verantwortlich. Nicht nur die Politiker machen Politik, wir alle müssen es tun, zum Beispiel in Bürgerinitiativen. Das ist meine Botschaft.

SZ: Was gefällt Ihnen an Ihrem Konkurrenten Horst Köhler?

Schwan: Ich habe ihn gerade im deutsch-polnischen Verhältnis erlebt, weil ich mit ihm nach Polen gefahren bin. Ich finde, dass er sehr sympathisch und unprätentiös aufgetreten ist. Ich glaube auch, dass er ein sehr aufmerksamer Zuhörer ist. Auch sein Engagement für Afrika basiert auf einer ehrlichen moralischen Überzeugung.

© SZ vom 11.10.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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