Schuldenkrise in Europa:Spanien geht das Geld aus

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Die geplante Bankenrettung verschafft Spanien keine Atempause. Ministerpräsident Rajoy beschränkt sich darauf, seine aufgebrachten Landsleute zu beschwichtigen, dabei könnten die Finanzmärkte dem Land bald die Kredite verwehren.

Sebastian Schoepp

Maskierte Kämpfer, die vom Bergwald aus Feuerwerkskörper auf Polizisten schießen. Gesperrte Autobahnen, auf denen Demonstranten Leitplanken herausreißen und Molotowcocktails werfen. Die Bilder, die derzeit aus Asturien über die Fernsehschirme flimmern, werfen bei vielen Spaniern die Frage auf, in welchem Land sie eigentlich leben.

Eskalation: In der spanischen Bergarbeiterprovinz Asturien ist aus friedlichen Demonstrationen gewaltsamer Protest geworden. Dieser Bergarbeiter steht vor einer brennenden Straßenbarriere. (Foto: AP)

Seit fast zwei Wochen streiken in der Minenregion die Bergarbeiter gegen Subventionskürzungen, die die Regierung im Zuge der Sparmaßnahmen verhängt hat. Die Krawalle zeigen, dass zwischen den bisher friedlichen Protesten und Gewaltausbrüchen nur ein schmaler Grat liegt.

Dieser könnte bald überschritten sein, denn dem Land geht das Geld aus. Die geplante Bankenrettung mit maximal 100 Milliarden Euro hat Spanien nicht einmal eine Atempause verschafft. Die Rendite auf spanische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit stieg am Dienstag auf knapp unter sieben Prozent.

Spaniens Tür zum Kapitalmarkt ist zu

So teure Kredite kann ein Staat auf Dauer nicht bedienen. Bei der letzten Anleiheaktion Anfang Juni hatten die Anleger 6,044 Prozent Zinsen verlangt. Finanzminister Cristóbal Montoro räumte da schon ein, dass die Tür zum Kapitalmarkt für Spanien praktisch geschlossen sei.

Am Mittwoch entspannte sich die Lage nur leicht, alle warten gebannt auf den 18. Juni, wenn Madrid die nächsten Papiere ausgibt. Was aber, wenn Spanien sich nicht mehr finanzieren kann? Ökonomen der Citigroup kolportierten bereits, dann müsse das Land doch noch als Ganzes unter den Europäischen Rettungsschirm, um seine Ausgaben zu bezahlen - etwa für die Arbeitslosenversicherung, von der ein gutes Viertel der Bevölkerung lebt. Und Ministerpräsident Mariano Rajoy ließ am Wochenende keinen Zweifel daran, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird.

Auch die asturischen Bergarbeiter bangen um ihre Jobs. Am Mittwoch tauchten sie mit Transparenten im Parlament auf, wurden jedoch des Saals verwiesen. Rajoy erläuterte dort das 100-Milliarden-Paket, vermied allerdings erneut das Wort "Rettung". Es sei ein Kredit an die Banken, und die Banken müssten ihn zurückzahlen.

Dem widersprach EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia in einem Interview mit dem Sender Cadena Ser. "Die Anleihen als solche werden nicht auf das Defizit angerechnet, wohl aber die Zinsen, die dafür fällig werden", betonte der Vizepräsident der EU-Kommission. "Zinsen sind Ausgaben." Steigendes Defizit aber bedeutet letztlich steigende Schulden; Spanien wird durch das Hilfspaket bald an die kritische Marke des Schuldenstandes von 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stoßen. Das Geld aus Europa wird über den spanischen Bankenrettungsfonds Frob verteilt, und für den haftet der Staat.

Dieser Bergmann protestiert mit seinen Arbeitskollegen in der spanischen Stadt Leon gegen die Subventionskürzungen. (Foto: AFP)

Am Mittwoch wurde ein Brief bekannt, den Rajoy kurz vor der Rettung an den EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und an Kommissionschef José Manuel Barroso geschickt hatte. Darin fordert er Europa allgemein zu einer stärkeren Integration bei Steuern und Banken auf. Die EZB müsse stärker eingreifen. Der Angriff der Märkte gelte dem Euro, nicht einzelnen Ländern, schrieb Rajoy, deshalb müsse die EU sich beim nächsten Gipfel Ende Juni klar zur Währung bekennen.

Der Brief ist im Ton einer distanzierten Analyse formuliert, so als habe der spanische Premier mit den Problemen im Grunde wenig zu tun. Er gipfelt in der Aussage: "Es ist nicht nötig, jetzt schon zu entscheiden, wie wir das alles machen werden." Das Land fragt sich nun mit besorgtem Blick auf Rajoys Realitätssinn: Wann dann?

Von der sozialistischen Oppositionspartei PSOE kommt trotzdem nur milde Kritik. Sie hat noch immer ein schlechtes Gewissen, weil sie die Krise zu lange geleugnet hatte. Nur übt sich auch Rajoy seit seinem großen Wahlsieg im Dezember in Beschwichtigungen - Anfang des Jahres sogar noch mit gewissem Erfolg.

Der ist verpufft, seit auch im Ausland immer klarer wird, welch kollektivem Wahnsinn sich Spanien in der Spekulationsblase hingegeben hatte, als eine Verschuldung über 80 Prozent des Gehalts für einen Hauskauf bei 40 Jahren Laufzeit eher die Regel als die Ausnahme war. Für den Rest des Lebensunterhalts gab es von der Bank noch eine Kreditkarte dazu. Seit 5,6 Millionen Spanier arbeitslos sind, gelten solche Kredite als nicht rückzahlbar.

Die Banken lernen nichts

Viele befürchten, dass das Rettungsgeld in Pleite-Instituten wie Bankia verschwinden wird wie in einem schwarzen Loch, auch wenn der EU-Kommissar Almunia ankündigt, man werde den Banken auf die Finger sehen. Das scheint nötig zu sein. Eine arbeitslose Andalusierin berichtet der Süddeutschen Zeitung, dass sie eben erst von Banco Santander bei einer Kontoeröffnung nicht nur eine Kreditkarte, sondern auch noch gleich eine Wohnung zum Kauf angeboten bekam - bei knapp 1000 Euro Arbeitslosenhilfe im Monat.

Die Linke forderte im Parlament die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu Bankia, doch Rajoys regierende Volkspartei (PP) lehnte ab. Kein Wunder, galt Bankia doch als PP-Konstrukt. Als Retter setzte sie 2010 den früheren PP-Wirtschaftsminister Rodrigo Rato ein, er beförderte den Kollaps durch falsche Fusionsentscheidungen.

Rato ist zur Symbolgestalt der Krise geworden. Die Protestbewegung der Empörten rief im Internet zu Spenden auf, um eine fundierte Klage gegen Rato einreichen zu können. Das nötige Geld - 15 000 Euro - kam über Nacht zusammen, trotz Krise.

© SZ vom 14.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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