Vereinigtes Königreich:Der Absturz der schottischen Überfliegerin

Lesezeit: 2 Min.

Nicola Sturgeon war Chefin der Scottish National Party. (Foto: ANDY BUCHANAN/AFP)

Es geht um Parteispenden: Nachdem die ehemalige schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon vorübergehend festgenommen wurde, fordern Parteikollegen ihre Suspendierung. Politisch profitiert vor allem einer.

Von Michael Neudecker, London

Vor dem Haus war ein weiß-blaues Zelt aufgebaut, daneben parkten mehrere große Polizeiwagen, an denen ein Absperrband mit der Aufschrift "Police" angebracht war, überall standen Polizisten in Signalwesten. Der Tatort war ein bieder aussehendes Haus in Glasgow, zwei Tage lang dauerte die Polizeiaktion. Die Bilder, die wirkten wie eine Szene aus "CSI Scotland", waren damals, vor zwei Monaten, überall im Vereinigten Königreich zu sehen, denn durchsucht wurde das Haus von Nicola Sturgeon.

Bis vor Kurzem war Sturgeon noch First Minister Schottlands und Chefin der Scottish National Party (SNP), neun Jahre lang war sie die Überfigur der schottischen Politik. Kurz vor der Durchsuchung damals war ihr Mann Peter Murrell verhaftet worden, als Verdächtiger. Jetzt, am vergangenen Sonntag, war Sturgeon selbst an der Reihe.

Um 10.09 Uhr am Sonntagvormittag meldete sich Sturgeon freiwillig an einer Polizeistation, wo sie festgenommen und zur Befragung gebracht wurde, siebeneinhalb Stunden später, um 17.24 Uhr, wurde sie wieder ohne Auflagen freigelassen. Schon eine Stunde nach ihrer Freilassung veröffentlichte die 52-Jährige ein Statement, in dem sie alle Anschuldigungen entschieden von sich wies. Sich selbst in so einer Situation vorzufinden, "obwohl ich sicher bin, kein Verbrechen begangen zu haben", schrieb Sturgeon, sei "sowohl ein Schock als auch zutiefst erschütternd". Sie, die seit ihrem Rücktritt im März noch Abgeordnete ist, werde "bald" ins schottische Parlament zurückkehren. Sie würde "niemals der Partei oder dem Land Schaden zufügen".

Auch ein Wohnmobil wurde beschlagnahmt

Die schottischen Ermittlungsbehörden verfolgen seit 2021 die "Operation Branchform", es geht dabei um die Finanzen der schottischen Regierungspartei; konkret um die Frage, was mit Spenden in Höhe von umgerechnet rund 700 000 Euro passierte, die die Partei für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum erhielt, das dann aber nie stattfand. Sturgeons Ehemann Murrell war bis vor Kurzem Geschäftsführer der SNP, die Polizei beschlagnahmte damals auch ein Wohnmobil im Wert von rund 130 000 Euro am Haus von Murrells Mutter in Dunfermline. Zwei Wochen nach Murrells Verhaftung, der wie nun auch Sturgeon damals ohne weitere Auflagen wieder freigelassen wurde, verhaftete die Polizei auch Colin Beattie, den ehemaligen Schatzmeister der Partei.

Die medienwirksame Durchsuchung von Sturgeons und Murrells Haus im April nannte der schottische Polizeichef Iain Livingstone in einem Interview mit der Sunday Times "angemessen und notwendig". Die gesamte "Operation Branchform" verschlinge viele Ressourcen, und natürlich sei sie keinesfalls politisch motiviert. Politische Folgen allerdings hat sie natürlich schon, nicht nur für Sturgeon selbst. Mehrere SNP-Abgeordnete forderten am Montag ihre zumindest vorübergehende Suspendierung. Für Sturgeons Nachfolger Humza Yousaf macht das die Sache noch komplizierter.

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Yousaf war Sturgeons Wunsch-Nachfolger. Dass er von der Partei nach einem innerparteilichen Wahlkampf zum neuen Regierungschef gewählt wurde, war auch in ihrem Sinn. Entsprechend mühsam ist es für Yousaf nun, sich gleichzeitig ausreichend von seiner Vorgängerin zu distanzieren - ohne sie dabei aber vorzuverurteilen. Das nämlich wäre in der strengen schottischen Gesetzgebung strafbar, nicht nur für das Umfeld eines Verdächtigen, sondern auch für die darüber berichtenden Medien.

Kaum einfacher wird die Angelegenheit für Yousaf durch den Umstand, dass ja auch einer davon profitiert: Keir Starmer, der britische Labour-Chef. Will Starmer die nächsten Unterhauswahlen im Vereinigten Königreich gewinnen, braucht er möglichst viele Sitze aus Schottland. Derzeit hält die SNP 45 Sitze im Unterhaus in Westminster, und nach aktuellen Umfragen deutet sich an, dass Labour mindestens die Hälfte davon gewinnen könnte, was eine geradezu dramatische Veränderung wäre. Bei den letzten Wahlen 2019 gewann Labour in Schottland gerade mal einen einzigen Unterhaus-Sitz.

Am Montagnachmittag sagte Yousaf, er werde Sturgeon nicht suspendieren, er sehe dazu keinen Grund, nachdem sie ohne weitere Anklagen wieder entlassen worden sei. Dass der Fall damit erledigt ist, damit ist allerdings nicht zu rechnen. Auch wenn Sturgeon noch am selben Tag wieder freigelassen wurde: Die Ermittlungen gehen weiter.

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