Der letzte Akt der Kieler Versöhnung war eine Zeremonie, die wie eine Mischung aus feierlicher Andacht und Medien-Ereignis wirkte. Im Saal Maritim eines Hotels in Landtagsnähe nahmen die Spitzenkräfte von CDU, FDP und Grünen an einem Dreieck aus langen Tischen Platz, um ihre Unterschriften unter den gemeinsamen Koalitionsvertrag zu setzen. Durch die Panorama-Fenster konnte man die Schiffe auf der Förde sehen. Zu hören gab es Danksagungen der Verhandlungsführer Daniel Günther (CDU), Heiner Garg (FDP) und Monika Heinold (Grüne). Nach der Paraphierung tauschten die drei Verträge in den Farben der jeweils anderen Parteien aus. Sie lachten. Fotoblitze zuckten. Und anschließend hätte Monika Heinold sicher gerne etwas ausführlicher die Errungenschaften des Kontraktes gefeiert. Aber so einfach war das nicht.
Denn der Kampf um die Regierungsbeteiligung ist aus Sicht der Grünen noch nicht vorbei. Das Ja aus einer Online-Mitgliederbefragung ist bei ihnen die Voraussetzung dafür, dass sie mitmachen dürfen in der Jamaika-Koalition nach der Abwahl ihres Linksbündnisses mit SPD und SSW. Monika Heinold und ihr populärer Nebenmann Robert Habeck werden in den nächsten Tagen deshalb eine Art Sonder-Wahlkampf einlegen, damit sie tatsächlich ihre bisherigen Posten als Finanzministerin respektive Umweltminister wieder einnehmen können. Sie müssen grüne Zweifler davon überzeugen, dass der Koalitionsvertrag genügend grüne Inhalte trägt.
Unter der CDU werden nun die großen Verkehrsprojekte voll vorangetrieben
Die Zuversicht, dass das gelingt, ist groß. Allen ist klar, dass sich die Stärke einer Jamaika-Koalition so richtig erst im Regierungsalltag erweist; die erste auf Landesebene, 2009 in Saarland, scheiterte schon nach zwei Jahren an Querelen bei der FDP. Aber Heinold, Habeck und ihre Mitstreiter haben nicht das Gefühl, dass sie sich bei den Verhandlungen unter Wert verkauft haben. CDU und FDP wussten von Anfang an, dass sie die Grünen nicht als Anhängsel behandeln durften. Das zeigte schon die Besetzung der Verhandlungsteams: Der designierte Ministerpräsident Günther moderierte ohne falsche Machtansprüche. Als Arbeitsgruppenleiter Innenpolitik und designierten Innenminister bot seine CDU keinen Hardliner auf, sondern Hans-Joachim Grote, bisher Oberbürgermeister von Norderstedt in einem schwarz-grünen Bündnis. Und die FDP setzte auf die ausgleichenden Abgeordneten Garg (Soziales) und Christopher Vogt (Wirtschaft) als Wortführer, nicht auf Reizfiguren wie den Fraktionschef Wolfgang Kubicki oder den künftigen Wirtschaftsminister Bernd Buchholz.
Und die Ergebnisse? Auch die Grünen haben Kompromisse machen müssen. Gegen die Bundesprojekte A 20-Ausbau und Fehmarnbeltquerung können sie bei einer Regierungsbeteiligung nicht sein. Die Verlängerung des Abschiebestopps nach Afghanistan war mit den Konservativen nicht zu machen. Die CDU hat außerdem ihren Willen bekommen, das neunstufige Gymnasium wiedereinzuführen - wenn auch mit einer einmaligen Wahlmöglichkeit der Schulen für G 8. Aber schon bei den Infrastruktur-Investitionen in Höhe von 512 Millionen Euro finden sich Vorhaben für Nahverkehr, E-Mobilität und Digitalisierung, die ins grüne Weltbild passen. 10 Millionen sind bis 2022 allein für das Radwegenetz eingeplant. "Daran muss ich mich noch gewöhnen", sagte der FDP-Wirtschaftsexperte Vogt am Freitag in die Koalitionsharmonie hinein.
Monika Heinold behält das strategisch wichtige Finanzministerium. In der Flüchtlingspolitik sieht der Vertrag Einzelfallprüfungen bei Abschiebungen und "ein Landesaufnahmeprogramm für 500 besonders schutzbedürftige Geflüchtete" vor. Die 170 Millionen Euro für bessere Kitas muss der grünen Basis eigentlich auch gefallen. Und Robert Habeck ist so gut wie gar nicht geschwächt. Hätte die bauernverbandsnahe CDU die Landwirtschaft aus seinem Umweltministerium herausgebrochen, hätten die Grünen die Koalition platzen lassen. Jetzt kann Habeck weitergestalten im Sinne einer ökologisch geprägten Agrarwende. Selbst sein umstrittenes Landesnaturschutzgesetz hat er verteidigen können, das dem Land ein Vorkaufsrecht zubilligt, um landwirtschaftlich genutzte Flächen zu renaturieren. Die Gegner aus CDU und FDP haben sich ausbedungen, dass das Land pro Jahr nicht mehr als 100 Hektar renaturieren darf. "Aber das wird nicht passieren", sagt Habeck. Für ihn ist die Einigung ein gutes Beispiel dafür, wie man ökologische und wirtschaftliche Interessen sinnvoll aneinander anpasst.
Und dann sind da ja noch die Punkte im Vertrag, die mithilfe der FDP zustande kamen und die für die CDU einen Prinzipienwechsel bedeuten. Die Koalition bekennt sich zur Homo-Ehe mit "voller adoptionsrechtlicher Gleichstellung" und verspricht: "Die Möglichkeit zur kontrollierten Freigabe von Cannabis im Rahmen eines Modellprojektes werden wir prüfen." Grüne Jamaika-Verfechter müssen aufpassen, dass sie nicht zu triumphierend klingen, wenn sie über diese Punkte sprechen. Aus Respekt vor ihren neuen Partnern von der CDU.