Schleswig-Holstein:Von kleinen Rädern ans große Rad

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Der, der kommt, und der, der geht: Jan Philipp Albrecht (links) wird neuer Umweltminister in Kiel und verabschiedet seinen Vorgänger Robert Habeck. (Foto: Frank Molter/dpa)

Robert Habeck will seinen Grünen zur Macht im Bund verhelfen und hört als Agrar- und Umweltminister in Kiel auf. Doch was hinterlässt er dort?

Von Thomas Hahn, Rendsburg

Es sind die letzten Stunden vor dem großen Abenteuer, und der junge Grüne Jan Philipp Albrecht schaut sich neugierig um. Sein Rundgang auf der Landwirtschaftsmesse Norla in Rendsburg ist so etwas wie der Antrittsbesuch des 35-jährigen Albrecht, ehe er in Schleswig-Holstein das Agrar- und Umweltministerium von Robert Habeck übernimmt. An den Messeständen sind erste publikumswirksame Einsätze möglich: Ergometer-Rudern bei der Landwirtschaftskammer, Kickern bei den Landfrauen. Aber noch ist das hier Habecks Reich, so viel ist klar. Habeck hat bei der Eröffnung gesprochen, jetzt flaniert er mit verbindlicher Freundlichkeit über die Messe, hier ein Händeschütteln, dort eine Plauderei. Man kennt sich, man mag sich. Nachfolger Albrecht marschiert mit und spricht über seine neue Aufgabe. "Ich denke, dass es schnell gehen wird, damit wir die Arbeit fortsetzen können, die Robert Habeck hinterlässt."

Doch was hinterlässt Habeck seinem Nachfolger Albrecht, der in dieser Woche die Amtsgeschäfte für Schleswig-Holstein in Kiel übernimmt? Diese Frage verschwindet leicht hinter der Hoffnung, welche die Berliner Hauptstadt-Grünen in ihren vielgelobten Sympathieträger setzen. Seit Habeck, 48, im Januar neben Annalena Baerbock zum Bundesvorsitzenden gewählt wurde, ist er zu einem Politiker von nationalem Rang aufgestiegen, der die Erneuerung seiner Partei als Machtfaktor im Bund maßgeblich mitgestalten soll. Die Aufgabe wirkt mächtig im Vergleich zur Ressortarbeit im Nord-Bundesland. Wen in Berlin interessiert schon, wie es um den Schweinswalschutz in Eckernförde steht?

Robert Habeck selbst interessiert so etwas sehr. In den letzten Wochen seines Kieler Schaffens hat er nicht den Eindruck gemacht, als wäre er in Gedanken nur noch beim Bund. Acht Monate in Doppelfunktion hatte er sich von seiner Partei genehmigen lassen, um sein großes Landesministerium und die schleswig-holsteinische Jamaika-Koalition nicht ohne geordneten Übergang verlassen zu müssen. Die Zeit mit Amt und Mandat war dann sicher anstrengend für Habeck, in Kiel konnte er nicht mehr so schnell Gesprächstermine einrichten wie vor seinem parteiinternen Aufstieg. Aber wenn er da war, schenkte er der regionalen Sache ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Blöße wollte er sich nicht geben, wie ein abgehobener Hauptstädter zu wirken. Abgesehen davon: Auch wenn der Flensburger Habeck ein konstruktiver Zweifler und Nicht-Nationalist ist - die tiefe Liebe zu seinem Heimatbundesland hat er immer ausgestrahlt. Er nannte seinen Job gerne "Draußen-Minister".

Jan Philipp Albrecht ist ein halber Franzose aus Niedersachsen, der sich in den vergangenen neun Jahren im Europa-Parlament profilierte. Die Aura des Schleswig-Holsteiners für Schleswig-Holsteiner wird er so leicht nicht herstellen können. Und als die Kieler Grünen ihn im März als Habeck-Nachfolger vorstellten, fragten sich viele, ob ein ausgewiesener Datenschutzexperte wirklich die richtige Wahl sei für die eher erdigen Fächer Umwelt, Landwirtschaft, Energiewende. Aber erstens beansprucht Albrecht für sich, als einstiges Kreisvorstandsmitglied in Wolfenbüttel nicht unbeleckt in den grünen Kernthemen zu sein. Zweitens ist sein neues Ministerium in der Jamaika-Koalition auch für Digitalisierung zuständig. Und drittens: Konnte man sich vor sechs Jahren sicher sein, dass Habeck mit seinem Hintergrund als Schriftsteller und Doktor der Philosophie einen so nachhaltigen Zugang zum Landvolk bekommt, dass der Bauernverbandspräsident Werner Schwarz heute sagt: "Auf den Menschen Robert Habeck lasse ich nichts kommen"?

Habeck selbst ist gespalten, wenn er über seine Bilanz spricht. Viele erbitterte Konflikte hat er in den vergangenen Jahren moderieren müssen, in denen es meistens darum ging, ökonomische und ökologische Interessen auszuloten. Besagter Schweinswalschutz war so ein Thema, bei dem es anfangs unversöhnliche Lager gab. Die Ostseefischer wehrten sich gegen Beschränkungen, durch die sich nicht mehr so viele der delfinähnlichen Meeressäuger in ihren Stellnetzen verfangen sollten. Mittlerweile gibt es eine freiwillige Vereinbarung, auf die sich die meisten der 300 Stellnetz-Fischer einlassen. Kürzlich verlängerte Habeck sie mit den Lobby-Verbänden, und Wolfgang Albrecht, Vorsitzender des Fischereischutzverbandes, dankte dem scheidenden Minister dafür, "dass Sie sich immer informiert haben und nichts aus der Hüfte geschossen haben".

Habeck wollte grüne Politik nicht verordnen. Also hat er um Kompromisse gerungen

Habeck will grüne Politik nicht einfach nur verordnen. Er hat Landwirten und anderen Naturnutzern viele Kompromisse für ein umweltfreundlicheres Schleswig-Holstein abgerungen. "Gute Sachen", sagt Bauernverbands-Präsident Schwarz. Und Juliane Rumpf, CDU, Habecks Vorgängerin, lobt: "Er hat in der Begegnung mit den Landwirten alle Themen verstanden und seine Meinung auch mal verändert."

Habeck selbst verweist auf zählbare Errungenschaften nach seiner sechsjährigen Regentschaft: mehr Ökolandbau, mehr Dauergrünland, mehr Gewässerrandstreifen, mehr Wildnis, Umverteilung des europäischen Fördergeldes für mehr tierwohlgerechte Ställe und nachhaltigen Ackerbau. "Wir haben im Land versucht zu verändern, was wir verändern können", sagt Habeck. Mehr allerdings nicht, das beschäftigt ihn. "Wir arbeiten mit kleinen Rädern gegen das große Rad der agrarökonomischen Ausrichtung an."

Die Leitlinien der Agrar- und Umweltpolitik werden in der EU und im Bund entschieden. Dagegen kann kein Landesminister etwas machen. Vielleicht fällt einem Bauernvertreter wie Schwarz das Habeck-Lob auch deshalb so leicht: Weil Habeck die Macht fehlte, um das grüne Vorhaben einer Agrarwende mit letzter Konsequenz zu betreiben. "Häufig genug hat man sich die Zähne daran ausgebissen, dass in Berlin so eine Verhaltensstarre ist", sagt Habeck. "Wir haben es nicht geschafft, die Prinzipien der Landwirtschaft zu ändern. Das muss man einräumen."

Deshalb ist er nach Berlin gegangen. Weil er die Macht will, die man für echte Veränderung braucht. In Schleswig-Holstein hat Habeck die Debatte über ein schonenderes Wirtschaften mit Tier und Land vorangetrieben und gezeigt, wie weit man kommt, wenn man mit Einsicht und klaren Zielen Politik macht. Jetzt hat er dem jungen Albrecht das wichtige Klein-Klein im Norden übergeben. Habeck muss weiter. Es reicht ihm nicht, nur Schleswig-Holstein zu verändern.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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