Schadensbilanz:Halb so schlimm?

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Der Hurrikan hat Florida schwer, aber nicht mit voller Wucht getroffen - und schon melden sich die ersten rechten Kommentatoren, die das als Beweis dafür sehen, dass die Klimaschützer maßlos übertreiben.

Von Hubert Wetzel

Irgendwann war der Strom weg. Hurrikan Irma schleuderte mit seinen Sturmböen Bäume auf die Leitungen, zersplitterte die Holzmasten, an denen die Kabel hingen, oder schüttete so viel Wasser auf die Umspannstationen, dass diese in einem blauen Blitz explodierten. Fünf bis sechs Millionen Haushalte waren am Montagmorgen in Florida ohne Elektrizität - das sind zwei Drittel aller Stromkunden in dem US-Bundesstaat. Es kann Tage, sogar Wochen dauern, bis die Leitungen repariert und für die Menschen wieder ein halbwegs normales Leben möglich ist.

Vorausgesetzt, sie haben etwas, worin sie leben können. Noch gibt es keinen genauen Überblick, wie groß die Zerstörung ist, die Irma in Florida angerichtet hat. Einiges spricht dafür, dass die Folgen des Hurrikans nicht so dramatisch sind wie zunächst angenommen. Dennoch werden die Schäden wohl immens sein. Denn zum einen war Irma extrem groß, der Sturm deckte praktisch ganz Florida ab. Noch 200 Kilometer von seinem Auge entfernt traktierte er das Land mit massiven Regenfällen, Sturmböen und Tornados. Zum anderen zog Irma über einige sehr dicht besiedelte Regionen an der Westküste Floridas hinweg, darunter die Stadt Tampa. Das heißt: Sowohl die Größe des betroffenen Gebiets als auch die Bebauung dort lassen erwarten, dass Irma, zumindest was den Sachschaden angeht, ein teurer Sturm werden wird.

Dabei hat Florida eigentlich Glück gehabt. Miami zum Beispiel kam mit einem blauen Auge davon. Vorige Woche hatten Meteorologen noch ein Desaster befürchtet, ihre Modelle von Irmas Zugbahn hatten eine direkte Kollision des Sturms mit der Metropole vorhergesagt. Am Samstag verschob sich die Bahn von Irma jedoch plötzlich. Statt in der Nähe von Miami anzulanden und dann die Ostküste Floridas hinaufzuziehen, sollte der Hurrikan nun zunächst die Florida Keys, eine Inselkette an der Südspitze des Bundesstaats, überqueren und dann die Westküste härter treffen.

Irma hat Florida mit zerstörerischer Kraft heimgesucht: eine zerschlagene Fertighaus-Siedlung in Palm Bay.

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(Foto: Joe Raedle/AFP)

Eine überflutete Straße in Miami.

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(Foto: Paul Chiasson/AP)

Eine umstürzende Palme in Fort Lauderdale.

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(Foto: Michael Sechler/dpa)

Eine vom zurückweichenden Wasser überraschte Seekuh an der Golfküste.

Und so kam es. Am Sonntagmorgen um 9.10 Uhr Ortszeit erreichte das Auge des Sturms die Insel Cudjoe Key - der erste sogenannte "Landgang". Die Windgeschwindigkeiten lag zum diesem Zeitpunkt bei knapp 210 Kilometer pro Stunde, das machte Irma zu einem Hurrikan der Kategorie 4. Das war ein Novum: Auch Hurrikan Harvey, der vor einigen Wochen in Texas getobt hatte, war bei seiner Anlandung ein Kategorie-4-Sturm. Dass die USA in einer Hurrikan-Saison von zwei Stürmen dieser Stärke getroffen werden, gab es noch nie.

Nachdem Irma die Keys hinter sich gelassen hatte, zog sie weiter über offenes Wasser Richtung Norden. Um 15.35 Uhr Ortszeit ging der Sturm bei Marco Island an der Westküste Floridas, knapp 300 Kilometer südlich von Tampa, erneut an Land, immerhin noch als Sturm der Kategorie 2. Dort blieb er dann - und vermutlich hat das Florida das Schlimmste erspart. Denn ein Tropensturm zieht seine Energie aus warmem Wasser. Über dem Festland fehlt ihm die Nahrung, er kann zwar noch einige Zeit wüten, aber irgendwann schwächt er sich ab und verfällt. Zunächst hatte es Vorhersagen gegeben, nach denen Irma über dem Wasser bleiben und dort die Westküste Floridas hinaufwandern würde - stets versorgt mit neuer zerstörerischer Kraft. Dazu kam es nicht: Sobald Irmas Auge über dem Festland stand, zerfaserte der Sturm, trockene, kühlere Luft mischte sich hinein und dämpfte die Wucht.

Am Montagmorgen war Irma auf die Kategorie 1 herabgestuft worden, im Laufe des Tages wurde eine weitere Herabstufung zu einem Tropensturm, später zu einem Tiefdruckgebiet erwartet. Kategorie 1 heißt freilich immer noch: Windgeschwindigkeiten von 120 Kilometern pro Stunde, genug um Bäume umzustürzen und Häuser abzudecken. Hinzu kommen erhebliche Mengen an Regen, mancherorts bis zu 38 Zentimeter. Und Irma ist noch nicht fertig. In den kommenden Tagen werden die Reste des Hurrikans Richtung Norden nach Georgia und in die Carolinas ziehen und dort starken Wind und heftigen Regen bringen. Für die Stadt Atlanta in Georgia - gut 1300 Kilometer von den Florida Keys entfernt, wo Irma am Sonntag auf US-Boden traf - wurde zum ersten Mal eine Tropensturm-Warnung ausgegeben.

Fünf bis sechs Millionen Menschen waren aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen

Insgesamt hatten die Behörden vorige Woche fünf bis sechs Millionen Menschen in Florida angewiesen - oder zumindest aufgefordert -, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. Wie viele Einwohner diesen Anordnungen nachgekommen sind, ist unbekannt. Sicher ist, dass Hunderttausende entweder in öffentlichen Schutzräumen Zuflucht gesucht oder sich privat ein sichereres Quartier genommen haben. Wann sie wieder heimkehren können und was sie dort vorfinden werden, weiß derzeit niemand. Viele Straßen sind derzeit durch Trümmer blockiert, unterspült oder überschwemmt, Tausende Häuser dürften von Wind, Regen oder den Sturmfluten, die Irma entlang der Küsten ausgelöst hat, zerstört oder vorübergehend unbewohnbar gemacht worden sein.

Dass Florida nicht mit voller Wucht von Irma getroffen wurde, hat der Bundesstaat dem benachbarten Kuba zu verdanken. An der Nordküste der Insel war der Hurrikan Ende voriger Woche angelandet und hatte sich einige Stunden über Land aufgehalten - genug, um ihn zu schwächen. Das war der Grund, warum Irma in Florida als extrem starker Kategorie-4-Sturm ankam, aber nicht als der alles verheerende Sturm der Kategorie 5, als der er zuvor in der Karibik einige Inseln regelrecht rasiert hatte.

Für die Menschen in Florida war das ein Segen. Politisch aber könnte es gefährliche Folgen haben. Rechte Kommentatoren, die überall verschwörerische Klimaschützer am Werk sehen, machen sich bereits über die Warnungen der Behörden und die Aufregung vieler Medien lustig, die Irma vorangegangen waren. Einige Fernsehsender - allen voran CNN - haben sich diesen Spott sicher verdient. Ihre "Berichterstattung" bestand darin, erst Hysterie zu schüren und dann willkürlich zwischen Reportern hin und her zu schalten, die in Wind und Regen standen und nichts zu sagen hatten, als dass sie in Wind und Regen standen. "Man fühlt förmlich den Ärger der Moderatoren darüber, dass ihr großartiger Hurrikan sich als Spätsommergewitter entpuppt hat", ätzte die konservative Publizistin Ann Coulter. Das ist angesichts der Schäden - und wahrscheinlich der Toten - schon eine zynische Sicht. Aber irgendwann wird der nächste Hurrikan Florida treffen. Vielleicht wird es dann schlimmer als befürchtet. Dann kann solch überheblicher Hohn Leben kosten.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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