Sauerland-Prozess:Von einem der auszog, das Töten zu lernen

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Der Angeklagte Fritz Gelowicz schildert seinen Weg aus einer bürgerlichen Familie in ein Terrorlager in Nord-Waziristan.

H. Leyendecker und J. Nitschmann

Die sorgfältig frisierten Brauen des Richters liegen wie graue Wolken über den Augen, immer bereit, im Aufwind von Ungeduld oder Ärger zu quellen und zu steigen. Aber an diesem Montag heben sie sich nicht. Ottmar Breidling schaut für seine Verhältnisse sogar ausgesprochen zufrieden drein.

"Klar, dass wir in den Dschihad ziehen wollten", sagt Fritz Gelowicz vor dem Düsseldorfer Landgericht in seinem umfassenden Geständnis. (Foto: Foto: Reuters)

Manchmal wirft der 62-Jährige ein knappes Lächeln in den Sitzungssaal, und einige der Angeklagten im "Sauerland-Prozess" scheinen regelrecht danach zu gieren. Es ist der 18. Verhandlungstag im großen Terrorprozess vor dem Düsseldorfer Landgericht, und was da hinter den drei Meter hohen Wänden aus Sicherheitsglas stattfindet, ist sehr ungewöhnlich: Es wird ausgepackt, gebeichtet und gestanden. "Pater peccavi" hießen solche Schuldbekenntnisse früher: "Vater, ich habe gesündigt".

Aber Geständnisse brauchen den richtigen Boden und auch ein bisschen Humus, um sich zu entwickeln. Bei geständigen Einlassungen sei "ein spürbarer Strafnachlass" möglich, hatte Breidling früh gelockt. Die Geständnisse liegen nun vor, und was für welche. Mit guter Vorbereitung des Hauptverfahrens, straffer und energischer Verhandlungsführung hat er die vier Angeklagten, zwischen 23 und 30 Jahren alt, zum Reden gebracht, und fast rührend hat er sich um Klimapflege bei den Verteidigern bemüht.

"Hochachtung und Dank"

Jetzt fährt er die Ernte ein. "Hochachtung und Dank" des 6. Senats überbringt er den Vernehmungsbeamten des Bundeskriminalamts, die "exzellente Arbeit geleistet" und selbst an den Wochenenden tüchtig vernommen hätten. Dank auch den acht Verteidigern, die "kräftig mitgearbeitet" hätten. Auch von den Angeklagten und ihrer "Offenheit bei geständigen Einlassungen" sei der Senat sehr angetan. Soviel Geständnisfreude in einem Terror-Prozess habe er in seiner langen Richterzeit "noch nicht erlebt". Weitgehend sei die Anklage, die sein Senat zugelassen hat, bestätigt worden, aber es gebe eine "ganz andere Präzision der Erkenntnisse über die Abläufe", sagt er, "danke".

Normalerweise ist der Vorsitzende Richter so etwas wie die Super-Nanny der Strafsenate, die sich mit Staatsschutzdelikten beschäftigen. "Ein richtiger Profi" sei der Richter, hat der Angeklagte Adem Yilmaz neulich einem Kriminalbeamten erzählt. Breidling hatte Yilmaz, der anfangs den Rebellen mimte, einige Male zusammengestaucht, weil er erklärt hatte, er stehe nur für Allah auf und nicht für das Gericht. Da purzelten die Ordnungsstrafen. Beim Einzug des Gerichts an diesem Montagmorgen gegen 11.55Uhr steht Yilmaz auf und bleibt sehr lange stehen. Er hat diesmal auch das weiße Häkelmützchen nicht getragen, das ihm schon ein paar Tage zusätzlich Haft eingebracht hat.

Der Vorsitzende Richter Ottmar Beidling: Er hatte die Angeklagten schon früh mit Strafnachlässen gelockt. (Foto: Foto: ddp)

Den Männern wird von der Bundesanwaltschaft Mitgliedschaft in einer in- und einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen; die Vorbereitung und Verabredung eines Sprengstoffverbrechens sowie Verabredung zum Mord, untechnisch formuliert: ein Stelldichein zum Massenmord. Über das Innenleben in Terrorcamps, Treueschwüre, Hass und die Sehnsucht nach dem Dschihad haben die jungen Männer viele Tage lang im Beisein ihrer Anwälte mit Beamten des Bundeskriminalamts geredet.

521 Stehordner hatten die Ermittler vor Prozessbeginn zusammengetragen, jetzt sind 15Ordner dazugekommen. Breidling hat die Seiten am Ende gar nicht mehr gezählt. Im Juli seien es samt Anlagen bereits 1584 Seiten gewesen, sagt er. Er wirkt sehr konzentriert. Aufmerksam mustert er den Angeklagten Fritz Gelowicz, den das BKA früh als "Koordinator und Logistiker" der Gruppe bezeichnet hat. Als "Rädelsführer" hat ihn die Bundesanwaltschaft angeklagt.

Gelowicz sitzt etwa drei Meter vor dem Richter und berichtet als erster Angeklagter, wie das mit dem Dschihad und den Anschlagsplänen war. Wenn man die Augen schließt, könnte man glauben, den Erzählungen eines jungen Mannes zuzuhören, dem die Phantasie durchgeht.

Anschläge in Discos und Pubs

Wenn man die Augen wieder öffnet, sieht man einen mittelgroßen Mann, der ein schwarzes sportliches Hemd über einer Jeans mit Aufschlag trägt und Ungeheuerliches sagt: dass er mit den anderen amerikanische Soldaten in Deutschland töten wollte, bei Anschlägen in Discos und Pubs. Dass ein Anschlag auf ein US-Konsulat geplant worden sei. Dass auch die Botschaft Usbekistans angegriffen werden sollte, doch "die war zu stark gesichert".

Und den Deutschen sollten die Anschläge eine "letzte Warnung" sein, die Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. Ganz beiläufig sagt er das. Sprengsätze wollten sie deponieren "in Parkhäusern und ein oder zwei deutschen Flughäfen". Eine "Prestigesache" wäre es gewesen, wenn für einen Tag alle Flüge ausgefallen wären. Jedenfalls sollten die Anschläge vor der Abstimmung im Bundestag im Oktober 2007 über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr erfolgen.

Der 29 Jahre alte Schwabe, der früher "Fritzi" gerufen wurde und sich dann unter anderem "Abdullah" nannte, ist in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater verkauft Solaranlagen, seine Mutter ist Ärztin. Er hat an der Fachhochschule studiert. Komisch war nur, dass der früh zum Islam konvertierte Schwabe seine Landsleute manchmal "Kuffar" nannte, Ungläubige: "Die denken ja nicht so wie wir, weisch?", hat er einem anderen gesagt, als er gemeinsam mit den Komplizen die Anschläge vorbereitete.

Der Wortlaut ist überliefert, weil er und die anderen Angeklagten damals rund um die Uhr abgehört wurden. Gelowicz nickt. Seine Einlassungen beginnen im Januar 2005, als er mit dem mit angeklagten Atila Selek nach Saudi-Arabien geflogen sei, um in Mekka zu beten. Er habe noch ein andere Kumpel getroffen und sich mit ihnen verstanden. "Alle dieselbe Einstellung, was den Dschihad betrifft. Klar, dass wir in den Dschihad ziehen wollten."

Als Jugendlicher hat Gelowicz Hip-Hop gehört, er hat American Football in der Mannschaft "Barracudas" gespielt, und dann wollte er "den Amerikanern was auf die Fresse" hauen, wie er gesagt hat. Den meisten sei doch "egal, dass die Amerikaner Dörfer in Afghanistan bombardieren", sagt er vor Gericht.

"Die waren sehr präsent, sehr gefährlich"

Alle vier wollten irgendetwas gegen die Amerikaner machen. Ein Verteidiger hat seinen Mandanten gefragt, ob das so sei wie mit den Internationalen Brigaden, die in den dreißiger Jahren in Spanien gegen Franco kämpften. Der junge Mann hatte zwar noch nie von diesen Brigaden gehört, aber der Vergleich soll ihm gefallen haben. Eigentlich wollten also Gelowicz und ein paar Kumpel in den Irak, um gegen Amerikaner zu kämpfen.

Um den Weg in den Krieg zu finden, ist Gelowicz erst mit Yilmaz nach Syrien gereist, sie wollten an einer Sprachschule die richtigen Schleuser finden. Das sei gar nicht so leicht gewesen. Es wimmelte von Spitzeln des syrischen Geheimdienstes. "Die waren sehr präsent, sehr gefährlich", sagt Gelowicz. In der Dschihadisten-Szene, fügt er an, würden keine richtigen Namen genannt und keine unnützen Fragen gestellt. Als er dies den BKA-Vernehmern geschildert habe, hätten die genickt. "Kenntnis nur, wenn nötig", habe ein Beamter gesagt.

Während Gelowicz eifrig erzählt, schaut Bundesanwalt Volker Brinkmann, der Veteran der drei Ankläger, mit Genugtuung drein, und Richter Breidling befeuchtet den Finger, um eine Seite umzublättern. Sein Gesichtsausdruck lässt ahnen, dass sich der Zeuge bei seiner Einlassung an die Vernehmungen hält und nichts Wichtiges verschweigt. In seiner langen Laufbahn hat es Breidling schon mit vielen Wirrköpfen zu tun gehabt, die sich als Bauern in einem größeren Spiel wähnten. Da waren die merkwürdigen Vertreter der Antiimperialistischen Zellen, die Fanatiker der kurdischen PKK, der "Kalif von Köln".

Immer war Breidling Herr des Verfahrens, aber manchmal war es schon sehr nervig. In einem Prozess fühlte er sich in ein "berufliches Straflager" versetzt. Wenn der Begriff stimmt, muss der Montag in Düsseldorf wegen der schrecklichen Schilderungen des Angeklagten Gelowicz für ihn so etwas wie ein Wohlfühltag gewesen sein. So einen Hauptangeklagten hat er noch nicht erlebt. Der redet und redet und erzählt seine Geschichte. Und das Beste - die anderen wollen in den kommenden Wochen ähnlich detailliert auspacken.

Aber zuerst ist der Schwabe an der Reihe: Also, die Teilnahme am Dschihad in Tschetschenien wäre für ihn auch in Ordnung gewesen. Aber irgendwie hat das nicht geklappt. Dann ist er mit Yilmaz mit einem Billigflug nach Teheran geflogen, um sich von Schleusern weiterbringen zu lassen. Als wäre er ein Reiseschriftsteller, beschreibt der Angeklagte seine Touren in Pick-Ups und Bussen an die Front.

Irgendwie sind die kampfbereiten Männer dann nach Waziristan gelangt. Verkürzt gesagt: Die jungen Männer sind nach manchen Wirren in einem sehr kleinen Terrorlager im pakistanischen Nord-Waziristan gelandet, das Fanatiker der Islamischen Dschihad Union (IJU) leiteten. Pakistanische Taliban und diverse Mudschaheddin sollen sie dorthin begleitet haben.

Im Lager trafen sie später die beiden weiteren Angeklagten Atila Selek und Daniel Schneider. Die jungen Männer wollten in Afghanistan gegen Amerikaner kämpfen, und sie sind dann so ausgebildet worden, wie früher die Terroristen der RAF im Jemen. Waffenkunde: Wie hält man eine Kalaschnikow. Wie baut man Bomben, wie geht man mit Minen um.

Wenn Fritz Gelowicz so redet, werden die Terrorcamps, die in den amtlichen Berichten immer so groß ausfallen, plötzlich sehr klein. Drei, vier Ausbilder. Ein paar Lehmhütten, mehr nicht. Oft fehlte es an Material, häufig fiel der Strom aus und manchmal der Unterricht, weil der Chefausbilder verschwunden war. Anfangs habe einer auch über die korrekte Vorbereitung eines Anschlags geredet, aber das sei ihm nicht so wichtig gewesen, sagt Gelowicz, es habe ihn ja an die Front gedrängt.

Ethnologen sprechen bei der Erforschung fremder Kulturen gern davon, dass diese Kulturen aus der Perspektive der Betroffenen selbst zu begreifen sind. Aber welcher Kultur gehört Gelowicz an oder sein Kumpel Daniel Schneider? Und was ist mit den in Deutschland geborenen Türken Yilmaz und Selek? Warum sollen sie mit Autobomben Anschläge auf Einrichtungen des Landes geplant haben, in dem sie aufgewachsen sind?

Wenn die Erzählungen von Gelowicz richtig sind, haben sie eigentlich zunächst gar nicht an Ziele in Deutschland gedacht. Ein Ausbilder habe gesagt, es wäre doch sinnvoll, in Europa Anschläge auf Amerikaner zu verüben. Al-Qaida, sagt Gelowicz, habe niemanden gehabt, der so leicht nach Deutschland einreisen konnte wie Deutsche. Also, eine "Gehirnwäsche war das mit den Anschlagsplänen nicht." Er habe eingesehen, dass Anschläge in Deutschland die Amerikaner weit heftiger treffen würden als Operationen in Afghanistan. "Es war unsere Pflicht, diese Möglichkeit zu nutzen", sagt er nicht ohne Pathos.

Am Ende, nach drei Monaten, habe die Gruppe noch versucht, mit US-Soldaten zu kämpfen, einige aus seiner Kampfgruppe hätten das nächstgelegene US-Basislager beschossen. "Präsenz zeigen", nennt er das. Der Krieg, den sie erklärten, war eine Tatsache. Auch habe er einen Treueid auf den Dschihad geleistet. "Wie ein Vertrag per Handschlag". Es ist eine dunkle und verworrene Geschichte, die Gelowicz erzählt. Hat das Pathos damit zu tun, dass er ein besonders eifriger Konvertit ist? "Pferde Allahs", hat Osama bin Laden Konvertiten einmal genannt.

"Ich denke, das war's", sagt Gelowicz gegen 16.33 Uhr. "Habe ich Wesentliches ausgelassen? Den Rest kennen Sie ja." Der Richter hat noch Fragen, eher grundsätzlicher Natur: "Ist die Parole, Ungläubige zu töten, ein Synonym für den Dschihad?", will Breidling wissen. Nein, sagt Gelowicz, "auf keinen Fall. Ziel war es vor allem, Amerikaner und die pakistanische Armee zu treffen.

Hass auf westliche Kultur

Das Hauptaugenmerk liegt auf den Amerikanern. Die sind der Kopf der Schlange. Ich habe das Leid der Muslime lindern wollen." Ob der Hass auf westliche Kultur der Impuls für Anschlägspläne gewesen sei, fragt der Richter. "Klar, wir haben Abneigung gegen manche Dinge, aber das ist kein Grund für irgendwelche Anschläge. Kernproblem ist Palästina.

Die Amerikaner sind die Schutztruppen Israels", erläutert der Angeklagte. Richter Breidling will noch weiter vordringen in die Gedankenwelt dieser jungen Männer: "Gibt es eigentlich die Vorstellung, als Märtyrer zu sterben, um dann ins Paradies zu gelangen?", fragt er. Gelowicz passt auch hier nicht. "Da hat jeder Dschihadist seine Auffassung. Der eine will gleich sterben, der andere nimmt den Tod in Kauf", sagt er.

Und dann stellt Breidling noch eine Frage, deren Antwort im Urteil vermutlich nicht unberücksichtigt bleiben wird. "War der Dschihad der falsche Weg?" Und der Angeklagte erwidert: "Rückblickend würde ich das nicht noch einmal tun." Nach seiner Überzeugung sei es Allahs Wille gewesen, dass die Operation nicht stattgefunden hat. "Aber heißt das, dass ich alles bereue? Heißt das, dass ich alles verurteile? Nein. Wenn ich etwas zu bereuen habe, ist es eine Sache zwischen Allah und mir."

Das Parallelogramm äußerer Anstöße und innerer Entwicklungen, die das Handeln der jungen Männer bestimmten, kann an diesem ersten Geständnistag nicht in allen Details erkennbar werden. Das braucht noch Zeit. Der Vorsitzende Richter Breidling lässt den Verfahrensbeteiligten diese Zeit und redet von "Wochen und Monaten", die eine Aufarbeitung der Geständnisse brauche.

© SZ vom 11.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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