Vor einem Jahr hat Wolfgang Thierse provokant von der "sächsischen Demokratie" gesprochen. Damals hatte es schwere Ausschreitungen bei einem Aufmarsch von Rechtsextremen in Dresden gegeben. Der Bundestags-Vizepräsident kritisierte die Polizei, der es vor allem darum gegangen sei, "Neonazis zu schützen", statt friedliche Proteste gegen die Rechtsextremen zuzulassen. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich dagegen. Doch heute ist das Wort von der "sächsische Demokratie" aktueller denn je. Seit Thierses Worten ist einiges vorgefallen, was Anlass zum Nachdenken gibt.
So haben die sächsischen Behörden bislang praktisch nichts unternommen, um die Horden von Neonazis zu bremsen, die alljährlich zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 in der Elbestadt einfallen, auch blieben sächsische Überwachungsstellen über viele Jahre hinweg völlig untätig in Bezug auf die rechtsterroristische Zelle aus Zwickau, die allein in und um Chemnitz zehn Banküberfälle begehen konnte, ohne je ausfindig gemacht zu werden. Hingegen werden bis heute Bürger und Politiker hartnäckig verfolgt, die sich den in Dresden marschierenden Neonazis entgegenstellen.
Staatsanwälte eröffneten eine Flut von Verfahren gegen Bundes- und Landespolitiker von SPD, Grünen und Linkspartei, die nun allenthalben dazu führen, dass im Bundestag wie auch in anderen Bundesländern die Immunität der betroffenen Volksvertreter zur Disposition steht. Überdies fragten die Ermittler rund eine Million Handy-Daten ab, die zumeist völlig unbeteiligte Bürger betrafen. Zwar ist die Menge der erhobenen Daten vermutlich kaum zu bearbeiten, weshalb der ermittlungstechnische Nutzen begrenzt sein dürfte. Dafür wurde jedoch der Eingriff in die Privatsphäre von Tausenden Unbeteiligten in Kauf genommen.
Das scheint ein Kern des Problems zu sein: Die Verhältnismäßigkeit der Mittel stimmt oftmals nicht. Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen, und wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass eine Maßnahme rechtswidrig war, wie es im Fall einer Durchsuchung mit der Kettensäge kürzlich sogar gerichtlich festgestellt wurde, dann zahlt der Freistaat zwar zähneknirschend die Entschädigung - ein Wort der Erklärung oder gar der Entschuldigung dürfen die Opfer aber nicht erwarten.
All dies offenbart eine erschreckende Einseitigkeit der sächsischen Behörden. Anscheinend ist da mancher auf dem rechten Auge blind. Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, wieso die Beobachtung und Verfolgung von Rechtsextremen bislang derart lax betrieben wurde, während Menschen, die gegen Rechtsdemonstranten auf die Straße gingen, mit solch ungebremster Wut verfolgt werden. An diesem Montag droht nun wieder ein rechter Aufmarsch in Dresden. Es wäre eine Gelegenheit für Sachsen und seine Landesregierung, diese unselige Strategie endlich zu ändern.