Sachsen:"Wir hatten kein DDR-Ergebnis"

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Stanislaw Tillich (rechts) geht, Michael Kretschmer soll im Dezember in die Staatskanzlei ziehen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die CDU-Fraktion in Sachsen spricht sich nach "harten" Fragen mehrheitlich für Michael Kretschmer als neuen Ministerpräsidenten aus. Dieser muss jetzt nicht nur den Koalitionspartner von sich überzeugen.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Wie die sächsische CDU auf den auch für sie überraschenden Rückzug von Stanislaw Tillich reagieren würde, war am Donnerstag zunächst selbst mit guten Ohren und guten Augen nicht in Erfahrung zu bringen. Am Morgen traf sich die Fraktion im Landtagsraum A600 hinter einer milchigen Glastür, um über Tillichs Vorschlag zu beraten, Michael Kretschmer, 42, zu seinem Nachfolger als Parteichef und Ministerpräsident zu bestimmen. Lautes und leises Klopfen war zu hören, langer Applaus und kurzer. Mittags schließlich sagte Fraktionschef Frank Kupfer, nach dem Landesvorstand habe sich auch die Fraktion entschieden, den Vorschlag zu unterstützen.

Ob dies alle Abgeordneten so sähen? "Wir hatten kein DDR-Ergebnis", sagte Kupfer, es habe auch Gegenstimmen und Enthaltungen gegeben. Auch habe man den Kandidaten "hart befragt", nach seinen eigenen Verfehlungen wie nach seinen Plänen für die knapp zwei Jahre bis zur nächsten Landtagswahl in Sachsen. Am Ende verringerten sich aber nicht nur in der CDU-Fraktion die Zweifel daran, dass Kretschmer im Dezember in beiden Ämtern auf Tillich folgen wird.

Die äußerliche Zuversicht Kupfers, der für eine hart konservative Ausrichtung der sächsischen CDU steht, dürfte sich auch aus den ersten Aussagen Kretschmers an diesem Tag speisen. Dieser kündigte an, bei den Themen Asyl und Integration "den Rechtsstaat durchsetzen" zu wollen und plädierte für "deutsche Werte". Das Grundgesetz sei "nicht infrage zu stellen". Diese Haltung solle man allerdings nicht in den Kategorien rechts und links zu begreifen versuchen. Kretschmer sagte, er stehe "mit beiden Beinen fest in der Mitte unseres politischen Systems."

Angesichts solcher Aussagen ist noch offen, ob Kretschmer sich künftig mehr als der liberale Politiker zeigen wird, als der er im Bund bekannt ist - oder ob er jenen zarten Populismus weiter pflegen will, den er als Generalsekretär der sächsischen CDU oft zeigte. Eine erste Hürde hat er mit der mehrheitlichen Zustimmung der Fraktion so oder so genommen. Nun will Kretschmer in der Partei für sich werben. In dieser gibt es Kritik am Procedere, einige fühlen sich von dem Vorschlag Tillichs überrumpelt. An der Zustimmung des Koalitionspartners wird Kretschmers Wahl zwar aller Voraussicht nach nicht scheitern. Doch gibt es auch dort Vorbehalte. Martin Dulig, Landeschef der SPD und stellvertretender Ministerpräsident, sagte, es gebe "keinen Automatismus bei der SPD für die Wahl des Ministerpräsidenten". Man werde "den Wechsel nicht einfach abnicken. Wir wollen erst die Themen besprechen, die es zu lösen gibt, dann die Personalien".

Kretschmer benannte als solche am Donnerstag die Digitalisierung und den demografischen Wandel. Zudem sei es wichtig, dass der ländliche Raum dieselbe Beachtung verdiene wie die drei großen sächsischen Städte. Man müsse dabei im Blick haben, wo das Land vor 27 Jahren gestanden habe, wo es jetzt stehe und sich dann die Frage stellen: "Können wir das noch mal toppen?" Entscheidend dürfte aber auch sein, ob die Koalitionspartner eine gemeinsame Linie finden, um den Umgang mit Ressentiments und Rassismus in Sachsen zu adressieren. Dulig sagte, ein Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten dürfe nicht dazu führen, dass solche Debatten ein weiteres Mal verschleppt würden.

Ebenfalls eine Rolle spielen dürfte bald die Frage, in welcher Weise der scheidende Ministerpräsident Sachsen bei den Sondierungen im Bund wird vertreten können. Tillich hatte angekündigt, bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember diese Rolle wahrnehmen zu wollen. Er gilt in Berlin als guter und harter Verhandler, im politischen Sachsen gibt es jedoch die Sorge, Tillich könnte es nach seiner Rücktrittsankündigung an Stimmgewicht fehlen.

Noch unklar ist indes, wann und welche Umbildungen des Kabinetts auf den vorgesehen Wechsel an der Spitze der Regierung folgen. Am Donnerstag immerhin wurde der Nachfolger für die bereits zurückgetretene Kultusministerin Brunhild Kurth benannt. Auf sie wird in Abstimmung mit Kretschmer der bisherige Gymnasialdirektor und Chef des Philologenverbandes Sachsen folgen, Frank Haubitz. Der Lehrermangel zählt in Sachsen neben der inneren Sicherheit zu den drängendsten Aufgaben.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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