Sachsen:Im Land der toten Augen

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Sanierte Innenstädte, oft geringe Arbeitslosigkeit – die Herausforderungen für Kommunen wie Pulsnitz in der Oberlausitz sind komplexer geworden. (Foto: imago)

Probleme durch Landflucht und eine immer ältere Bevölkerung plagen ostdeutsche Kommunen schon länger - in Sachsen keimt nun Hoffnung.

Von Cornelius Pollmer, Limbach

Dämmerung senkt sich über Limbach, im alten Rittergut aber brennt noch Licht. Aus zwölf sächsischen Kommunen sind Delegierte angereist, sie stellen sich und ihre Orte zu Beginn dieses Abends kurz vor und - wüsste man es nicht besser, man glaubte, in eine sonderbar gut gelaunte Selbsthilfegruppe geraten zu sein.

Bürgermeister oder ihre Stellvertreter aus Stollberg und Pulsnitz, aus Hirschstein, Meerane und Neukirch berichten, wie Industrien und Arbeitsplätze in ihren Orten nach der Wende weggebrochen seien, wie hoch zweistellig sie prozentual in der Folge Einwohner verloren hätten und mit welchen Kniffen sie trotz solch dramatischer Rückgänge die öffentliche Daseinsfürsorge zu sichern versuchten.

Ein dramaturgischer Höhepunkt scheint erreicht zu sein, als ein Diakon eines Städtchens in der Oberlausitz erzählt, die vielen leeren Geschäfte am Markt würden bei ihm daheim nur "die toten Augen von Rothenburg" genannt. Auf ihn aber folgt der Bürgermeister von Johanngeorgenstadt, Erzgebirge. Er sagt in einer Hoffnung stiftenden Finte, Probleme mit leeren Ladenzeilen am Markt gebe es in seiner Stadt nun wirklich nicht. Denn: "Wir haben nämlich gar keinen Markt mehr".

Da lacht der Saal kurz auf und das liegt auch daran, dass Landflucht und Alterungsprozesse in der Bevölkerung die Sachsen schon länger beschäftigen als es im bundesweiten Problembewusstsein der Fall ist. Das Landesprogramm Demografie läuft seit zehn Jahren, 171 Projekte wurden seitdem mit 7,3 Millionen Euro gefördert, vom Bürgerbus über Kleingartenprojekte bis zur "Analyse von Bleibefaktoren junger Frauen in der Oberlausitz".

Sachsen hat als erstes Bundesland ein solches Förderprogramm ermöglicht, auch weil es bis 2006 den höchsten Altersdurchschnitt im bundesweiten Vergleich aufgewiesen hatte. Inzwischen liegt dieses Durchschnittsalter bei leicht unter 47 Jahren. Noch immer aber gilt trotz einer sich stabilisierenden Entwicklung für die Zukunft: "Wir werden etwas weniger und wir werden etwas älter sein", so formuliert es Fritz Jaeckel, Chef der Staatskanzlei in Sachsen. Welche Konsequenzen dies hat, versucht die Staatskanzlei in einer Veranstaltungsreihe herauszufinden, zu der auch der Abend im Rittergut gehört. Und gerade dies ist ein guter Beleg dafür, dass es bei der politischen Steuerung von Demografie zwar weiter viel um Ärzte, Pflege, Infrastruktur geht, aber eben lange nicht nur. Mithilfe einer Stiftung wird das Gut zu einer Begegnungsstätte umgebaut, in der benachteiligte Jugendliche Demokratiebildung erfahren.

Sanierte Innenstädte, oft geringe Arbeitslosigkeit - die Herausforderungen der Kommunen sind komplexer geworden. So berichtet die Bürgermeisterin von Pulsnitz, dass sich der Ort gut als Zentrum der Pflege entwickelt habe - dass aber auch seit Monaten ein weiteres Pflegeheim bereitstehe, ohne bislang in Betrieb gegangen zu sein. "Bis zur letzten Tasse" sei alles da, aber es sei kein Personal zu bekommen.

So sehr sich die Bürgermeister darauf eingerichtet zu haben scheinen, Schrumpfungsprozesse zu moderieren und auszuhalten, so sehr keimt mancherorts auch Hoffnung. Auf die eher allgemeine Aussage der Moderatorin in Limbach, jedem Trend folge irgendwann einen Gegentrend und sei es bei der Globalisierung, folgt die Beobachtung einer Umkehr von Bürgermeister Conrad Seifert aus Hirschstein. Man habe es "seit ein paar Jahren mit der Enkel-Generation zu tun und die wollen wieder in der Heimat leben".

Mit dem "Rückkehrertelefon" hilft die Stadt bei der Suche nach Job und Eigenheim

Der Bezugspunkt ist auch in dieser Formulierung die Wende und so schön der Gedanke auch klingt, die Realität vielerorts dürfte zum Beispiel von der Stadt Weißwasser etwas repräsentativer abgebildet werden. Zwar ist Weißwasser selbst ein Sonderfall, weil es Einwohnerverluste von mehr als 50 Prozent zu verkraften hatte. Auch da aber ist die Frage dieselbe, wie mit solch einer Entwicklung umzugehen sei. Er habe sich mit dem Schrumpfen zwar "abgefunden, ja, aber nicht den Kopf in den Sand gesteckt", sagt Oberbürgermeister Torsten Pötzsch.

Er baggert über Facebook an Abgewanderten, seit drei Jahren gibt es ein "Rückkehrertelefon". Von der Jobsuche bis zum Eigenheimplatz - die Stadt hilft, wo sie kann "und wir kämpfen um jeden Einzelnen", sagt Pötzsch, der wegen der Schrumpfung ein fast gleichbleibendes Aufgabenvolumen mit immer weniger Personal zu erledigen hat.

Im Ergebnis jedenfalls steht ein Mischgefühl mit rückschlagenden Magenschwingern wie neulich, als eine überheftige Gewerbesteuerrückzahlung ins Rathaus flatterte. "Wir waren eigentlich schuldenfrei, jetzt überlegen wir, wann wir den Tierpark schließen müssen", sagt Pötzsch.

Und dann gibt es wieder Erlebnisse, die Hoffnung schenken, auch wenn sie zunächst wie ein Problem aussehen. Pötzsch ist vor wenigen Tagen Vater geworden, in den ersten beiden Kitas wurde er gleich wieder weggeschickt - wegen erfreulicher Geburtenraten sind diese bereits voll belegt. Der Oberbürgermeister sucht in seiner eigenen Stadt nun weiter nach einem Platz für sein Kind.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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