Sachsen:Hooligans und viele Fragen

Lesezeit: 2 min

Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU, rechts) und Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar kommen am Donnerstag in den Landtag. (Foto: Robert Michael/dpa)

Nach Ausschreitungen am Rande einer Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Leipzig steht die Polizeiführung in der Kritik. Eine Sondersitzung im Landtag sollte Aufklärung bringen - und führte doch nur zu neuem Streit.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Nach der eskalierten "Querdenken"-Demonstration in der Leipziger Innenstadt, hat die Aufarbeitung der Ereignisse die Parlamente erreicht. Wie schwer sind die Versäumnisse der politischen Führung einzuschätzen? Wie genau sah die Gefahrenprognose der Polizei aus? Was wussten die Sicherheitsbehörden über die Durchsetzung der Teilnehmer mit Rechtsradikalen? Wie wurde die Zahl der eingesetzten Beamten kalkuliert?

Das sind nur einige der Fragen, auf die der Innen- und Rechtsausschuss des sächsischen Landtages am Donnerstag Antworten forderte und nur unzureichend bekam, vor allem aus Sicht der Linken. "Außer Ausreden und gegenseitigen Schuldzuweisungen der Kenia-Koalition haben wir wenig gehört", erklärte deren Innenpolitikerin Kerstin Köditz im Anschluss an die Ausschutzsitzung. Nur durch die Entlassung des Innenministers könne die Staatsregierung ihre Glaubwürdigkeit bei der Pandemiebekämpfung wiederherstellen.

Am vergangenen Samstag hatten sich auf dem Leipziger Augustusplatz Zehntausende Menschen aus ganz Deutschland versammelt, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, darunter zahlreiche gewaltbereite Hooligans. Nach Auflösung der Versammlung kam es zu Angriffen auf Journalisten und Polizisten und letztlich zu einem illegalen Marsch über den Leipziger Innenstadtring. Der Rückzug der Beamten, die Bilder von Pyrotechnik und Polonaise, hatten bundesweit Empörung und in Sachsen eine veritable Regierungskrise ausgelöst.

Auch die an der Regierung beteiligten Grünen fordern den Rücktritt des Innenministers

Die Linke, AfD, aber auch Vertreter der an der Kenia-Koalition beteiligten Grünen forderten den Rücktritt von Innenminister Roland Wöller (CDU). Dieser verteidigte die Zurückhaltung der Polizei mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit. Das Versammlungsgeschehen sei als "überwiegend friedlich" einzuschätzen. Die massive Kritik am Einsatz wies Wöller zwischenzeitlich als "völlig abwegig und unsachlich" zurück. Später räumte er ein, dass auch Rechtsextreme unter den Demonstranten gewesen seien, darüber hätten ihm jedoch zunächst Informationen gefehlt.

Dass die Demonstration trotz zahlreicher Auflagenverstöße erst nach zweieinhalb Stunden aufgelöst worden sei, liege in der Verantwortung der Leipziger Stadtverwaltung, sagte Wöller am Donnerstagabend nach der Sondersitzung. Albrecht Pallas, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, zeigte sich "einigermaßen fassungslos" und konstatierte eine fehlende Kritikfähigkeit des Ministers. Valentin Lippmann, Innenpolitiker der Grünen, sprach von einem "Planungsdesaster" im Vorfeld der Leipziger Demonstration.

Auch in Leipzigs Stadtrat werden die Sicherheitsbehörden fraktionsübergreifend kritisiert

Bereits am Mittwoch waren die Ausschreitungen Thema im Leipziger Stadtrat. Sicherheitsbehörden und Innenminister wurden auch dort fraktionsübergreifend kritisiert. So habe keine konkrete Gefahrenprognose der Polizei vorgelegen. Hinweise, dass deutlich mehr Teilnehmer als angekündigt nach Leipzig reisen würden, seien ignoriert worden und grundsätzlich zu wenige Beamte vor Ort gewesen, um Zustrom und Auflagen zu kontrollieren.

Inzwischen hat der Freistaat die Regeln für Versammlungen verschärft. Die Zahl der Teilnehmer soll künftig auf 1000 begrenzt werden, nur im Ausnahmefall höher sein. Die Corona-Schutzverordnung soll noch in dieser Woche angepasst werden. Bei der Opposition stößt auch diese Maßnahme auf Ablehnung. "Das Problem ist nicht der Mangel an Auflagen im Rahmen des Infektionsschutzes, sondern die fehlende Durchsetzung durch die Polizei", sagte Rico Gebhardt, rechtspolitischer Sprecher und Chef der Linken-Fraktion. Als Reaktion auf die jüngsten Demonstrationen das Versammlungsrecht zu beschränken, sei ein Skandal.

© SZ/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: