Sachsen:Es knirscht

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Ministerpräsident Michael Kretschmer regiert derzeit von zu Hause aus, er ist in Corona-Quarantäne. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Eine Sondersitzung im Landtag sollte Aufklärung bringen zur eskalierten Großdemonstration in Leipzig und die Koalitionskrise beenden. Stattdessen sind die Gräben tiefer als zuvor.

Von Ulrike Nimz und Antonie Rietzschel, Leipzig

Albrecht Pallas sitzt seit sechs Jahren für die SPD im Sächsischen Landtag. In seiner Rolle als innenpolitischer Sprecher gilt er als eher ausgleichender Charakter. Wenn einer wie Pallas sauer wird, dann muss die Lage ernst sein. Und als er am Donnerstagabend in Dresden vor die Presse tritt, ist er stinksauer. "Sie erleben mich hier einigermaßen fassungslos", sagt Pallas. Dann dröhnt seine Stimme regelrecht durch den Saal: "Wenn ein Innenminister die Verantwortung so weit von sich schiebt, dann muss er sich die Frage gefallen lassen, ob er die Verantwortung noch will."

Albrecht Pallas hat zu diesem Zeitpunkt eine sechsstündige Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses hinter sich. Ziel war es, das Versagen von Sicherheits- und Versammlungsbehörden im Umgang mit der "Querdenken"-Demonstration am vergangenen Wochenende in Leipzig aufzuarbeiten und Lösungen im Umgang mit ähnlichen Protesten zu finden.

Die möglichst nüchterne Auseinandersetzung sollte auch die Vertrauenskrise innerhalb der schwarz-rot-grünen Koalition auflösen. Denn während die CDU und deren Innenminister Roland Wöller in den vergangenen Tagen an der Einschätzung festhielten, es hätte sich in Leipzig um eine "überwiegend friedliche" Versammlung gehandelt, verwiesen SPD und Grüne auf die Rechtsextremen und Hooligans, die am Rande der Demonstration Journalisten und Polizeibeamte angegriffen hatten, letztlich einen illegalen Marsch auf dem geschichtsträchtigen Leipziger Innenstadtring erzwangen.

Die nicht öffentliche Sitzung im Landtag wird von Teilnehmern durchaus wohlwollend als "differenzierte Problemanalyse" beschrieben. Die Polizeiführung habe zugegeben, die Lage unterschätzt und zu wenige Kräfte vor Ort gehabt zu haben, um Gewalttäter zu isolieren und festsetzen zu können. Aber auch Vertreter der Stadt Leipzig räumten ein, mit der Auflösung der Versammlung zu lange gewartet zu haben.

Die CDU ist zufrieden, die Rücktrittsforderung sei vom Tisch

Es war Innenminister Roland Wöller, der in einer Statement-Runde nach der Sitzung die zuvor gelobte Ausgewogenheit vermissen ließ, sich in einseitige Schuldzuweisungen gegen die Stadt Leipzig verstieg. "Die Versammlung auf dem Augustusplatz hätte gar nicht beginnen dürfen", sagte Wöller. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Rico Anton, ergänzte: Die Rücktrittsgesuche von Linken und Grünen gegen den Minister seien "vom Tisch".

Das breitbeinige Auftreten der Christdemokraten im Landtag - es hat die Koalitionspartner, vorsichtig ausgedrückt, irritiert. "Wir brauchen einen offenen Umgang mit Fehlern statt Wagenburgmentalitäten", sagt Valentin Lippmann, Innenpolitiker der Grünen und bei der Sondersitzung dabei. "Es geht nicht um die Deutungshoheit, sondern um die grundsätzliche Frage, wie der Rechtsstaat in Krisensituationen auf Angriffe wie die in Leipzig reagiert."

Auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) äußerte deutlich, was er von der Darstellung des Innenministers hält. Am späten Donnerstagabend schrieb Jung auf seiner Facebookseite: "Pfui, Herr Wöller, das sagen Sie, nachdem Sie live im Lagezentrum zugeschaut haben, wie Hooligans, Nazis u. a. Polizeikräfte überrennen und über den Ring in Leipzig ungehindert marschieren..."

Eine Regierungskrise mitten in der Pandemie - der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein. Einige wünschen sich nun, dass der Ministerpräsident ein Zeichen der Versöhnung sendet. Wegen eines an Covid-19 erkrankten Staatsministers befindet Michael Kretschmer (CDU) sich derzeit in häuslicher Quarantäne, regiert vom Kinderzimmer aus. Bereits am Donnerstag fand eine Videokonferenz der Koalitionsspitzen statt, über deren Verlauf es ebenfalls unterschiedliche Ansichten gibt. Die Atmosphäre sei "anständig" gewesen, heißt es aus der CDU. Jeder habe seinen Standpunkt noch einmal klarmachen können. Das Vertrauensproblem sei noch nicht gelöst, verlautet es hingegen aus den Reihen der Koalitionspartner. Der Ministerpräsident soll das Gespräch eher abrupt beendet haben.

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