Sachsen-Anhalt:In Magdeburg nach Kenia

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In Magdeburg hat man Erfahrung mit hochkomplizierten Wahlergebnissen - die dürfte auch jetzt gefragt sein. Und die SPD könnte dabei als traurige Docking-Station für die anderen Parteien enden.

Von Cornelius Pollmer

Für die möglicherweise neuartige Koalitionsbildung nach dem Wahlsonntag müsste man sich auf Verdacht eigentlich den Begriff "Magdeburger Modell" schützen lassen, wäre dieser nicht längst vergeben. 22 Jahre ist es her, dass Sachsen-Anhalt dem politischen Wer-mit-wem dieses Landes zum ersten Mal neue Farben hinzufügte. SPD und Grüne fanden zu einer Minderheitsregierung zusammen, ermöglicht wurde diese durch eine sie tolerierende PDS. Vier Jahre später glitten die Grünen aus dem Landtag, die PDS tolerierte munter weiter, Reinhard Höppner blieb vier weitere Jahre Ministerpräsident. Und nun? Wird alles womöglich noch komplizierter, viel komplizierter.

Der Bundestrend der AfD kennt eine klare Richtung nach oben, nirgendwo schlägt sich das so heftig nieder wie in Sachsen-Anhalt. Der von André Poggenburg geführte Landesverband liegt in den Umfragen zwischen 17 und 19 Prozent. Klar ist, dass niemand mit der AfD koalieren möchte - unklar ist, was ohne sie möglich ist. Die AfD selbst hat schon Stellen für jene Fraktion ausgeschrieben, die zu bilden sie vom Wähler noch gar nicht beauftragt worden ist. Das kann man hochmütig nennen, voreilig ist es angesichts der Umfragewerte eigentlich nicht.

Während es bei der AfD letztlich um die Frage geht, mit welcher Zweistelligkeit sie am Ende einläuft und ob sie womöglich zweitstärkste Kraft wird, stellen sich allen anderen Parteien kniffligere Fragen. Es gibt eine regelrechte Galaxie an möglichen Wahlergebnissen und Folgen - inklusive der nicht ganz unwahrscheinlichen Möglichkeit eines völlig neuen Magdeburger Modells.

Von klein nach groß: Auf Kipp stehen sowohl Grüne als auch die FDP, die einen oberhalb der Hürde, die anderen darunter. Was für die im Landtag sitzenden Grünen Grund zur Sorge gibt, ist für die Liberalen Anlass zur Hoffnung. Frank Sitta führt seine "kleine optimistische Nischenpartei" mit Zuversicht durch die Wochen der Ungewissheit. Wenn sich die Lage als knapp erweise und um etwas gehe, sagt er, dann sei auf die Wähler der FDP Verlass. Schaffen es Grüne und-oder FDP in den Landtag, dürfte die SPD einmal mehr die Funktion einer traurigen Docking-Station annehmen, die zugleich Verlierer und Kristallisationspunkt aller Bündnisvarianten sein könnte.

Noch einmal zurück, noch einmal zurück ins Jahr 1998. Die SPD legte nach vier Jahren Rot-Grün noch einmal zu und wurde mit 35,9 Prozent stärkste Kraft. Jetzt droht der Sturz auf Platz 4, die Umfragen deuten auf etwa 15 Prozent. Kommen Grüne und FDP nicht in den Landtag, wäre eine Fortsetzung der Koalition von CDU und SPD unter Ministerpräsident Reiner Haseloff vermutlich möglich. Kommen die Grünen rein, könnten CDU und SPD mit ihnen das Dreierbündnis "Kenia" gründen, schafft es die FDP, wäre eine sogenannte Deutschland-Koalition (schwarz, rot, gelb) eine Option. Seitens der CDU werden solche Konstellationen gedanklich bereits erörtert, die möglicherweise zweitstärkste Kraft im Landtag, die Linke, wäre außen vor.

SZ-Grafik; Landtagswahlen Quelle: ZDF-Politbarometer Umfragen vom 10.3. (Foto: SZ-Grafik)

Diese hatte mit ihrem Spitzenkandidaten Wulf Gallert ein rot-rot-grünes Bündnis angestrebt, noch im Herbst schien es möglich zu sein, dass Deutschland nach Bodo Ramelow in Thüringen einen zweiten linken Ministerpräsidenten bekommen könnte. Dann schmierte die SPD ab, dann verloren die Grünen, dann legte die AfD zu. Nun scheint der Linken rechnerisch nur ein Bündnis mit der CDU zu bleiben: eine formal-mathematische Erregung, die es wohl nicht einmal auf die Entwicklungsstufe "Sondierung" schaffen wird.

Schon jetzt bilanzieren lässt sich, dass die Parteien selbst wenig zur Klärung der komplizierten Verhältnisse beigetragen haben. Ministerpräsident Haseloff mied so gut es ging Auftritte mit anderen Spitzenkandidaten. Katrin Budde von der mitregierenden SPD setzte auf einen Wechsel-Wahlkampf. Die Linke drang trotz Konjunktur des Themas Asyl nicht so recht durch; daran konnte auch Gallert nichts ändern, der nun wohl ein drittes Mal nicht Ministerpräsident werden wird. Klar waren die drei Parteien zwar in ihrer Gegnerschaft zur AfD - profitieren werden sie davon aller Voraussicht aber nach nicht.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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