Russland und der Westen:"Die romantische Phase ist vorbei"

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Moskau hat Südossetien und Abchasien als unabhängig anerkannt. Russland-Kenner Alexander Rahr vergleicht die Situation mit der Kuba-Krise - und erwartet eine deutliche Antwort des Westens. Staaten, die dem russischen Beispiel folgen, müssen mit Wirtschaftssanktionen rechnen.

Matthias Kolb

Alexander Rahr ist Programmdirektor Russland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Sein Buch "Russland gibt Gas. Die Rückkehr einer Weltmacht" ist kürzlich bei Hanser erschienen.

Russland-Experte Alexander Rahr: "Moskau hat lange auf diesen Schritt gewartet" (Foto: Foto: DGAP)

sueddeutsche.de: Russlands Präsident Medwedjew hat die Unabhängigkeit der georgischen Regionen Südossetien und Abchasien anerkannt. Was für ein Kalkül steckt dahinter?

Alexander Rahr: Ich glaube, Russland hat von langer Hand auf dieses Ziel hingearbeitet und nur darauf gewartet, dass Georgiens Präsident Saakaschwili den ersten Fehler macht. Moskau brauchte einen Auslöser. Es bedeutet, dass Russland auf dem Kaukasus wieder präsent ist und seine Position in dieser rohstoffreichen Region stärken will. Ministerpräsident Putin macht ernst und dem Westen soll eine Grenze aufgezeigt werden. Mich erinnert die Situation stark an die Kuba-Krise: Damals hat Präsident Kennedy der Sowjetunion gezeigt: "Keinen Millimeter weiter". Das Gleiche macht Russland jetzt mit dem Westen.

sueddeutsche.de: Die Entscheidung fällt mit dem Besuch von Bundeskanzlerin Merkel im Baltikum zusammen. Ist das ein Zufall oder nicht?

Rahr: Es ist ein unglücklicher Zufall, der die Sache erschwert. Deutschland hatte immer eine Sonderrolle gegenüber Russland und hat auch in Zeiten des Tschetschenienkriegs alle Kanäle offen gehalten. Nun ist Frau Merkel im Baltikum bei den härtesten Russlandkritikern und kann eigentlich nichts anderes tun als deren Meinung zu bestätigen. Bisher hat sich die Kanzlerin nicht von Medwedjews Argumenten überzeugen lassen, sondern ist Georgien sehr entgegen gekommen.

sueddeutsche.de: Kann die Bundesregierung als Vermittlerin auftreten, nachdem Frau Merkel Medewdjews Entscheidung als "absolut nicht akzeptabel" bezeichnet hat?

Rahr: Ich fürchte, Deutschland könnte seine Mittlerrolle gefährden oder gar verlieren. Die Situation ist deswegen so verfahren, weil sich die Eliten in Europa und den USA in den letzten Jahren eine falsche Vorstellung von Russland gemacht haben. Sie dachten, der Großmachtanspruch sei nur Rhetorik und die Eliten ließen sich durch die Mitgliedschaft in der G8 und die mögliche Zusammenarbeit in der WTO einbinden und dadurch korrumpieren. Natürlich wird eine harsche Antwort aus Washington kommen, aber nun muss vor allem das Verhältnis zu Moskau überdacht werden.

sueddeutsche.de: Werden andere Staaten nachziehen und Südossetien und Abchasien ebenfalls anerkennen, wie von Medwedjew gefordert?

Rahr: Das ist eine der spannendsten Fragen. Ich rechne damit, dass der Westen ähnlich reagieren wird wie im Kalten Krieg mit der Hallstein-Doktrin. Alle Regierungen, die Südossetien und Abchasien anerkennen, müssen mit wirtschaftlichen Sanktionen oder gar Abbruch der diplomatische Beziehungen rechnen. Es gibt aber einige spannende Fälle ...

sueddeutsche.de: ... wie etwa China.

Rahr: Genau, die Chinesen haben die Olympischen Spiele hinter sich gebracht und sind nicht mehr so stark auf den Westen angewiesen. Aber ich rechne nicht damit, dass sie den Russen folgen wollen. Interessant ist die Türkei, weil es inoffizielle Wirtschaftsbeziehungen mit Abchasien gab. Vor kurzem war der jordanische König in Russland und Gerüchten zufolge wurde ihm zugesichert, Moscheen im Kaukasus bauen zu dürfen. Moskau spielt hier die anti-israelische Karte: Man weiß von den entsprechenden Waffenlieferungen an Georgien und hat auch wahrgenommen, dass Saakaschwili im Spiegel-Interview gesagt hat, dass sein Verteidigungsminister ein israelischer Jude sei. Die arabische Welt könnte in Aufruhr geraten, vielleicht solidarisieren sich einige Staaten.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das für den Staat Georgien und Saakaschwili?

Rahr: Saakaschwili ist erst einmal gestärkt. Natürlich ist den Russen bewusst, dass die bilateralen Beziehungen nun massiv gestört sind. Es könnte sein, dass die Nato-Mitglieder nun überreagieren und Georgien sofort aufnehmen, wie dies mit Westdeutschland der Fall war. Das wäre ein Fehler. Es wird wieder Diskussionen um die verschiedenen Interpretationen geben: Mich hat Medwedjews Rede sehr an die Vorwürfe des Westens gegen Serbiens Präsident Milosevic in Bezug auf das Kosovo erinnert, doch dieser Sicht werden nicht alle folgen.

sueddeutsche.de: Es war zuletzt immer wieder von der drohenden Eiszeit zu lesen - ist sie endgültig da?

Rahr: Ich würde überspitzt sagen: Die romantische Phase ist vorbei, der Wunsch, dass sich Russland immer weiter Europa annähern werde und wegen seiner Größe nur länger brauche, ist vorbei. Das heißt aber nicht, dass man alle Kontakte abbrechen muss. Es wird Diskussionen geben, wie EU und Nato reagieren - und wir werden auch eine Debatte darüber bekommen, ob man einen Krieg mit der Atommacht Russland riskieren würde, wenn Moskau sein Imperium erneuert. Sicherlich kann man Russland nun aus der G8-Gruppe ausschließen, aber dann wird Moskau im Gegenzug ein Gaskartell gründen.

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