Russland:Taktisch wählen gegen Putin

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Auch Wladimir Putin ging zu der Wahl, die wegen des Ausschlusses von Oppositionskandidaten zum Symbol seiner autokratischen Herrschaft wurde. (Foto: Alexey Nikolsky/AFP)

Die Regionalwahl ist zum Symbol für ein grundsätzliches Problem geworden: Sie führt den Russen deutlicher als sonst vor Augen, dass sie keine echte Wahl haben.

Von Silke Bigalke, Moskau

Am Sonntag haben Bürger in den 85 russischen Regionen lokale Vertreter gewählt. An manchen Orten ging es um Bezirksabgeordnete, anderswo um regionale Parlamente. Die höchsten Ämter, die vergeben wurden, waren die von 16 Gouverneuren, etwa in der zweitgrößten Stadt Sankt Petersburg. Mit zuverlässigen Ergebnissen wurde erst am Montag gerechnet, doch bereits am Wahltag zeichnete sich eine niedrige Beteiligung ab. In Moskau stimmten bis zum frühen Abend nur etwa 17 Prozent der Wähler ab. Zumindest ein Resultat stand schon lange vor den Wahlen fest: Diese sollten nicht so lautlos verlaufen, wie es sich der Kreml gewünscht hatte.

Die Abstimmung führt den Russen deutlicher als sonst vor Augen, dass sie keine echte Wahl haben

Meist erregt der jährlichen Sammelwahltag wenig Aufmerksamkeit. Die Gewinner sind oft absehbar, der Kreml bringt seine Wunschkandidaten für Gouverneursposten frühzeitig in Stellung. Die kommunalen Räte und Parlamente haben ohnehin beschränkten Einfluss, auch in Moskau. Trotzdem hatte die Wahlkommission dort prominente Oppositionspolitiker wegen angeblicher Formfehler ausgeschlossen. Vielen Moskauern führte das deutlicher als sonst vor Augen, dass sie keine echte Wahl haben. Zehntausende gingen in den folgenden Wochen auf die Straße.

Einige der Politiker, die nun nicht antreten durften, riefen am Sonntag trotzdem zur Wahl auf und empfahlen, taktisch abzustimmen. Kremlkritiker Alexej Nawalny, der selbst keine Kandidatur angestrebt hatte, veröffentlichte dazu eine Liste: Für jeden Wahlkreis nannte er den Kandidaten, der die größten Chancen gegen den Vertreter der Regierungspartei "Einiges Russland" hatte. Weil jedoch unabhängige Oppositionelle auf den Stimmzetteln fehlten, standen auf Nawalnys Wahlliste viele Kandidaten der Kommunistischen Partei, also der vom Kreml geduldeten Opposition. Deren Programm ist weit entfernt von dem liberaler Kritiker. Dennoch forderten auch Lokalpolitiker wie Ilja Jaschin dazu auf, "klug abzustimmen". Jaschin war nicht zur Wahl zugelassen worden. Weil er deshalb zum Protest rief, hat er die vergangenen Wochen im Gefängnis verbracht.

Für Präsident Wladimir Putin war der Sonntag auch ein Stimmungstest. Es sei nicht wichtig, wie viele Kandidaten antreten, sagte er während seiner Stimmabgabe im Moskauer Zentrum, vielmehr zähle die Qualität ihrer Arbeit. Das Innenministerium meldete bis zum Abend 300 Verstöße bei der Wahl, die Bürgerrechtsorganisation Golos zählte Hunderte Meldungen über Manipulationsversuche. Laut dem Portal OWD-Info sind zudem mindestens 16 Menschen am Wahltag festgenommen worden. Einige von ihnen wollten jene Moskauer unterstützen, die wegen der Demos der vergangenen Wochen in Haft sitzen und kurz vor der Wahl drakonische Strafen erhielten. Besonders verstörend war das Urteil gegen einen Aktivisten, der vier Jahre ins Gefängnis muss, weil er wiederholt an ungenehmigten Protesten teilgenommen hat.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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