Krieg in der Ukraine:Russland greift West-Ukraine an

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Der Busfahrer Jurij (r.) und sein Sohn Ruslan, ein Arzt, stehen vor ihrem Bus, der am Sonntagmorgen bei einem russischen Raketenangriff auf einen west-ukrainischen Militärkomplex beschädigt wurde. (Foto: Dan Kitwood/Getty)

Zahlreiche Raketen treffen eine Militärbasis in unmittelbarer Nähe zu Nato-Gebiet, viele Menschen sterben. Moskau und Kiew melden Fortschritte bei direkten Verhandlungen.

Von Nico Fried, Berlin

Mit dem Raketenbeschuss einer Militärbasis im Westen der Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin erstmals ein Ziel in direkter Nähe zu Nato-Gebiet ins Visier nehmen lassen. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, bei dem Angriff am Sonntag seien "bis zu 180 ausländische Söldner" getötet worden. Das Verteidigungsministerium in Kiew verurteilte diese Darstellung als "pure russische Propaganda". Nach ukrainischen Angaben wurden mindestens 35 Menschen getötet und 134 verletzt. Russland habe rund 30 Raketen auf den Stützpunkt in Jaworiw abgefeuert, gab die regionale Militärverwaltung an. Einige davon seien abgefangen worden. Die Basis liegt etwa 15 Kilometer von der Grenze zum EU- und Nato-Land Polen entfernt.

Auf dem angegriffenen Stützpunkt nahe der Stadt Lwiw (Lemberg) hatte die ukrainische Armee in der Vergangenheit zusammen mit Nato-Soldaten Übungen veranstaltet. Ein Nato-Vertreter sagte, Personal der westlichen Verteidigungsallianz sei am Sonntag nicht vor Ort gewesen. Laut ukrainischen Medien sind alle ausländischen Militärausbilder Mitte Februar abgezogen worden, haben ihre Ausrüstung aber dagelassen. Die Nato ist darum bemüht, nicht direkt in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineingezogen zu werden. Der Westen unterstützt die Ukraine jedoch mit Waffen und milliardenschweren Finanzhilfen.

Während Russland die Angriffe auch in anderen Teilen des Landes fortsetzte, hielten die diplomatischen Bemühungen an. Die direkten Verhandlungen Russlands und der Ukraine kamen nach Angaben beider Seiten voran. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte in einem im Internet veröffentlichten Video, Russland verhandle konstruktiver als bisher und habe begriffen, dass die Ukraine keine grundsätzlichen Zugeständnisse mache. Er rechne mit ersten Ergebnissen in den kommenden Tagen. Der russische Unterhändler Leonid Sluzki erklärt der staatlichen Agentur RIA zufolge, die Delegationen könnten bald zu einer gemeinsamen Position kommen, es habe substanzielle Fortschritte gegeben. Kremlsprecher Dmitrij Peskow kündigte weitere Gespräche im Online-Format für diesen Montag an.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefonierten laut Bundesregierung am Samstag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und forderten einen sofortigen Waffenstillstand sowie eine Verhandlungslösung. Das Gespräch habe 75 Minuten gedauert. Über weitere Inhalte sei Stillschweigen vereinbart worden. Vor diesem Telefonat hätten Scholz und Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij gesprochen, hieß es.

Die USA schicken vor allem Luftabwehrsysteme in die Ukraine

Das russische Präsidialamt teilte mit, Putin habe Scholz und Macron über den Stand der Verhandlungen von Russland mit der Ukraine informiert. Auf Besorgnisse der beiden Spitzenpolitiker über die humanitäre Lage in der Ukraine habe Putin reagiert, indem er im Gegenzug auf Menschenrechtsverletzungen seitens des ukrainischen Militärs hingewiesen habe.

Die US-Regierung will den ukrainischen Streitkräften weiter Waffen liefern, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu erhalten. Dabei sollen vor allem Luftabwehrsysteme in die Ukraine gebracht werden. Das sei nun "der Fokus", sagte US-Präsident Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Sonntag. Biden hatte am Samstag weitere 200 Millionen US-Dollar für Waffenlieferungen bewilligt. Sullivan sagte, die USA und die Nato-Verbündeten würden der Ukraine weitere "bedeutende Mengen Militärhilfen" und "Waffen für die Front" zukommen zu lassen.

Papst Franziskus forderte am Sonntag in Rom vor Tausenden Gläubigen erneut ein Ende des Kriegs. Bombenangriffe auf Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen seien barbarisch. "Im Namen Gottes bitte ich euch: Stoppt dieses Massaker", sagte Franziskus. Für die "Barbareien, die Kinder, Unschuldige und unbewaffnete Zivilisten töten", gebe es keinerlei strategische Gründe. Am Mittwoch war bei einem russischen Angriff auf Mariupol nach ukrainischen Angaben ein Kinder- und Entbindungskrankenhaus getroffen worden. Die russische Seite behauptet, die Einrichtung sei auch militärisch genutzt worden.

Auch die Bemühungen, Menschen die Flucht zu ermöglichen, hielten an. Fast 125 000 Personen seien über humanitäre Korridore aus umkämpften Gebieten in der Ukraine evakuiert worden, sagte Präsident Wolodimir Selenskij in einer Videobotschaft. Ein Schwerpunkt sei Mariupol, wo 400 000 Menschen eingeschlossen seien.

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