Russland:Lauter ausländische Agenten

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Bilder, die sich auch wegen der neuen Gesetze so bald nicht wiederholen in Russland: Bei einer Demonstration gegen die Rentenpolitik 2018 traten die Teilnehmer das Konterfei des Präsidenten mit Füßen. (Foto: Pavel Golovkin/AP)

Es war schon vorher schwierig, nun wird es durch an die 100 neue Gesetze in Wladimir Putins Reich fast unmöglich, Kritik zu äußern. Der Kremlherr will im Wahljahr jede Opposition mundtot und handlungsunfähig machen.

Von Silke Bigalke, München

Jahreswechsel sind die Zeit, Bilanz zu ziehen, was ist gut gelaufen, was muss besser werden. Darüber mag Wladimir Putin gegrübelt haben, als er kurz vor Jahresende schnell noch etwa einhundert neue Gesetze unterschrieb. Sie geben seinem ohnehin riesigen Kontrollapparat noch mehr Kontrolle. Mit ihnen kann der Kreml Oppositionelle noch leichter handlungsunfähig machen, Medien besser gängeln, das Internet stärker kontrollieren, selbst kleine Proteste verhindern.

Der Präsident bereitet sich mit dieser Feinjustierung offenbar auf ein schwieriges Wahljahr 2021 vor. Das Vertrauen in ihn ist gesunken, die wirtschaftlichen Sorgen der Russen wachsen, die Pandemie verschlimmert ihre Lage. Putins Bilanz zum Jahresende mag so ausgefallen sein: Die regionalen Wahlen 2020 sind ganz gut, aber nicht perfekt gelaufen für den Kreml. Schuld daran ist auch der Oppositionelle Alexej Nawalny, der im ganzen Land dazu aufgerufen hatte, gezielt gegen die Regierungspartei zu stimmen. Für die Wahl der Staatsduma, die spätestens im Herbst ansteht, möchte Putin nun nichts mehr dem Zufall überlassen.

Jeder, der sich politisch engagiert, ist nun bedroht

Das umstrittenste Gesetz zielt deswegen wohl vor allem auf unabhängige Oppositionelle: Ihnen droht, dass sie auf dem nächsten Stimmzettel den Zusatz "Ausländischer Agent" hinter ihren Namen schreiben müssen - falls sie überhaupt antreten dürfen. Das Agenten-Gesetz ist seit Jahren ein Allzweckwerkzeug des Kremls und immer wieder erweitert worden. Es stigmatisiert nicht nur jeden, dem das Agenten-Label aufgedrückt wird, bei dem die Russen zuerst an Spione, Volksfeinde und Verräter denken. Wer auf die Agenten-Liste gerät, schwebt zudem in einer permanent prekären juristischen Lage: Er muss sich bei jeder öffentlichen Äußerung selbst als ausländischer Agent zu erkennen geben, andernfalls drohen Geldstrafen und neuerdings auch Gefängnis.

Bisher traf das Gesetz Nichtregierungsorganisationen und aus dem Ausland unterstützte Medien. Auch Blogger und Journalisten mit Verbindung ins Ausland können als "ausländische Agenten" praktisch mundtot gemacht. Denn jeder, der ihre Beiträge weiterverbreitet, riskiert, selbst als Agent diffamiert zu werden. Mit der neuen Regel droht das nun praktisch jedem Einzelnen, denn als Agent gilt künftig, wer sich politisch engagiert - und aus dem Ausland unterstützt wird. Das Gesetz grenzt dabei nicht ein, was als politische Aktivität zählt. Es sind auch schon Gruppen, die für Menschenrechte, bessere HIV-Prävention oder gegen häusliche Gewalt kämpfen, zu "ausländischen Agenten" erklärt worden.

Was die Unterstützung aus dem Ausland betrifft, bleibt das Gesetz ähnlich schwammig. Ein Blogger, der sich durch Crowdfunding finanziert, ist womöglich ebenso gefährdet wie ein Lokalpolitiker, der einen internationalen Kongress besucht, oder ein Student, dessen Tante aus Übersee ihm unter die Arme greift. Neu ist auch, dass sich Betroffene nun eigenständig beim Justizministerium als "ausländische Agenten" melden müssen - trotz aller Unklarheiten.

Das "Stigma" färbt leicht ab, das könnte vor allem für Netzwerke ein großes Problem werden

Besonders angreifbar macht sich dabei, wer mit einer Organisation kooperiert, die bereits auf der Agenten-Liste steht - wie beispielsweise der Antikorruptionsfonds von Alexej Nawalny. Der gilt seit 2019 als "ausländischer Agent". Das Gesetz ist so konstruiert worden, dass das Stigma abfärben kann. Es soll "ausländische Agenten" - also Kremlkritiker, Menschenrechtler, Oppositionelle - isolieren. Mit den Neuerungen könnte es vor allem für politische Netzwerke wie das von Nawalny zum Problem werden. Der hatte vor den vergangenen beiden Regionalwahlen für eine besondere Strategie geworben: Durch "kluges Abstimmen" sollten Wähler demjenigen Kandidaten ihre Stimme geben, der die besten Chancen gegen den der Regierungspartei hatte - egal, woher er kam.

Unabhängige Oppositionelle werden häufig gar nicht mehr zur Wahl zugelassen, Nawalny nutzte mit seiner Strategie eine letzte Lücke: Durch sie verlieren die Kreml-Kandidaten nun immer wieder auch gegen Scheinoppositionelle. 2019 kostete dieses "kluge Abstimmen" die Regierungspartei ein Drittel ihrer Sitze im Moskauer Stadtrat. 2020 verlor sie dadurch die Mehrheit im Stadtrat der sibirischen Großstadt Nowosibirsk. Dort und in Tomsk gewannen Mitstreiter Nawalnys eigene Mandate.

Sich von Nawalny unterstützen zu lassen, könnte für Kandidaten gefährlich werden

Nawalny hatte sie noch kurz vor der Wahl besucht, auf dem Rückflug nach Moskau brach er im Flugzeug vergiftet zusammen, erholt sich derzeit in Deutschland von dem Anschlag. Sollte er nach Russland zurückkehren, droht ihm dort unter anderem ein Strafverfahren wegen Betrugs, er soll angeblich Spendengelder veruntreut haben. Er habe gleich gesagt, schrieb Nawalny Ende des Jahres auf Twitter, "sie werden versuchen, mich ins Gefängnis zu bringen, weil ich nicht gestorben bin". Durch das neue Agenten-Gesetz wird es nun auch für seine Mitarbeiter schwerer. Kandidaten der Opposition werden es sich nun womöglich zweimal überlegen, ob sie sich von Nawalnys Team unterstützen lassen.

Auch für den Fall, dass Wähler wie 2019 gegen Wahlmanipulation auf die Straße gehen, hat der Kreml vorgesorgt. Demonstrationen müssen in Russland genehmigt werden, stets erlaubt waren bisher nur Einzelproteste. Zu denen haben sich Kritiker dann in Warteschlangen angestellt, um nacheinander einzeln ihr Protestschild hochzuhalten. Nun können Gerichte auch diese Einzelproteste zur illegalen Massenveranstaltung erklären.

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