Russland und der MH17-Absturz:Im Propaganda-Nebel

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Die Absturzstelle der Boeing 777 der Malaysia Airlines in der Ostukraine. (Foto: REUTERS)
  • Moskau verbreitet derzeit zwei Versionen des Abschusses von MH17 über der Ostukraine.
  • Eine besagt, dass ein ukrainisches Kampfflugzeug die Maschine aus der Luft abschoss. Die andere, dass die Boeing 777 von einer Boden-Luft Rakete getroffen worden sei - abgefeuert von einem Gebiet aus, dass angeblich die ukrainische Armee kontrollierte.
  • Ein russischer Militärexperte glaubt, dass die Verbreitung widersprüchlicher Theorien Teil einer Strategie ist.

Von Julian Hans, Moskau

"Überstürzt und kontraproduktiv" sei es, jetzt ein internationales Tribunal einzuberufen, um die Schuldigen am Abschuss der Boeing 777 über der Ukraine zu finden, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin dem niederländischen Premier Mark Rutte am Donnerstag am Telefon. Stattdessen sollte "aktiv" und "gründlich" daran gearbeitet werden, die Ermittlungen zu Ende zu bringen. Diese müssten aber unbedingt "objektiv" und "unabhängig" sein, alle Seiten müssten einbezogen werden.

Weil kein anderer der beteiligten Staaten die Gründlichkeit und die Objektivität der Ermittler ernsthaft in Zweifel zieht, übernimmt Moskau diese Rolle umso leidenschaftlicher. Vom ersten Tag an werden Zweifel geschürt, indem immer neue Gegenentwürfe verbreitet werden. Dass sich diese gegenseitig widersprechen, ist zweitrangig. Kurz vor dem Jahrestag vollzog Moskau wieder eine überraschende Wende. Man habe begründete Hinweise darauf, dass die Maschine der Malaysian Airlines von einer Luft-Luft-Rakete abgeschossen worden sei, sagte Mitte der Woche der Sprecher des russischen Ermittlungskomitees, Wladimir Markin. "Außerdem gehen die Experten davon aus, dass die Rakete nicht aus russischer Produktion stammt".

Russlands UN-Botschafter klagt, russische Experten würden von den Ermittlungen ausgeschlossen

Damit wird eine Version wiederbelebt, die Moskau zwischenzeitlich aufgegeben hatte: Dass ein Kampfflugzeug der ukrainischen Armee vom Typ SU-25 die Passagiermaschine abgeschossen habe. Sie stützt sich vor allem auf die Aussagen eines Mannes, den eine Kreml-treue Boulevardzeitung Ende Dezember zuerst in einem anonymen Interview zu Wort kommen ließ. Später bekam er den Namen Jewgenij Agapow. Er habe als Mechaniker der ukrainischen Luftwaffe gearbeitet und am 17. Juli 2014 gesehen, dass eine SU-25 ohne Raketen von einem Flug zurückgekehrt sei. Agapow will dann noch gehört haben, wie der Pilot sagte: "Das Flugzeug war zur falschen Zeit am falschen Ort."

Ein halbes Jahr später wurde in Moskau eine andere Expertise vorgestellt, die der Agapow-Erzählung komplett widersprach. Dafür berücksichtigte sie den ersten Vorabbericht der internationalen Ermittler, wonach die Boeing allen Erkenntnissen nach von vorn von einer Boden-Luft-Rakete zerstört wurde, wie sie unter dem Namen Buk in Russland hergestellt wird.

Es sei tatsächlich eine Buk gewesen, bestätigte Michail Malyscheskij, Berater des Generalkonstrukteurs bei Almas-Antei, dem größten Hersteller von Flugabwehrsystemen, Anfang Juni. Allerdings sei sie von einem Ort abgefeuert worden, der nach Erkenntnissen des russischen Verteidigungsministeriums zu diesem Zeitpunkt unter Kontrolle der ukrainischen Armee gewesen sei. Dass Moskau zwei widersprüchliche Versionen vertrete, diene offenbar dem Zweck, "Propaganda-Nebel" zu verbreiten, urteilt der russische Militärexperte Alexander Golz: "Auf diese Weise haben sie die Möglichkeit, nach der Veröffentlichung des Ermittlungsergebnisses laut zu rufen, dass weder die Meinung der Almas-Antei-Experten berücksichtigt wurde, noch die Ergebnisse des so objektiven Ermittlungskomitees." Russlands UN-Botschafter klagt denn auch regelmäßig, dass "unsere Experten von den Ermittlungen ausgeschlossen" würden.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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