Russland:Dieser unscheinbare Satz

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Das klare Machtzentrum Russlands: der Kreml in Moskau. (Foto: Michael Runkel/imago)

Die neue Verfassung lässt offen, wie viel Macht Putin bleibt: Der neue Staatsrat gibt Rätsel auf.

Von Frank Nienhuysen, München

Wo ist Platz für Wladimir Putin? Am Freitag fragten in Iwanowo Vertreter der russischen Gesellschaft den Präsidenten nach seiner Arbeit; und Putin antwortete, es sei nicht etwa so, dass er müde sei oder vorhabe, beiseite zu treten. "Jeder in seiner Lage würde das nicht nur als Job empfinden, sondern als Schicksal." 2024 läuft nun aber auch für Kremlchef Putin die letzte Amtszeit aus. Seitdem wird gerätselt, wo in der neuen Verfassung, die am Dienstag in der Duma gebilligt werden dürfte, sein künftiger Posten verortet ist.

Präsident wird er nach 2024 jedenfalls nicht mehr sein, denn keine Person darf künftig mehr als insgesamt zwei Amtszeiten regieren. Bisher galt dies nur für zwei Perioden in Folge, nach einer Pause durfte Putin also noch mal antreten. Das wird mit der Reform unmöglich. Als Putin in seiner Rede an die Nation im Januar eine grundlegende Verfassungsreform vorschlug, wurde deshalb sofort spekuliert, das Amt des Präsidenten könnte beschnitten, das des Ministerpräsidenten dagegen massiv aufgewertet werden, Putin demnach mächtiger Premier werden. Der künftigen Verfassung nach kann davon jedoch keine Rede sein. Schwer vorstellbar, dass er noch einmal ein Amt übernimmt, das vor allem dafür zuständig ist, die Wirtschafts- und Sozialpolitik im Land umzusetzen.

Der Präsident bleibt laut dem Entwurf in Russland trotz der begrenzten Amtszeiten die mächtigste Instanz - er ist Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, ernennt und entlässt den Ministerpräsidenten, bildet den einflussreichen Sicherheitsrat, kann die Duma auflösen und Neuwahlen ausrufen, falls sie dreimal den vorgeschlagenen Premier durchfallen lässt. Auch den Generalstaatsanwalt kann der Präsident ernennen und entlassen, wenngleich nach Beratung mit dem Föderationsrat - eher Formsache also. Der Kremlchef hat künftig auch das Recht, dem Föderationsrat den Vorsitzenden des Verfassungsgerichts vorzuschlagen. Putin hat wenigstens dies am Freitag in Iwanowo klar gesagt: Es wäre nicht gut, das Land in eine parlamentarische Republik zu verwandeln. Denn Russland brauche eine starke Führung durch den Präsidenten. Was aber, wenn er es selber nicht mehr ist?

Neu wird bei Annahme der Verfassungsreform, dass Putin und Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew nach dem Ende ihrer Amtszeit lebenslang einen Sitz im Föderationsrat erhalten, der oberen Parlamentskammer. Das ist neu, steht jedem ehemaligen Präsidenten zu und bedeutet lebenslange Immunität. Aber damit noch keine lebenslange Macht.

Verbirgt sich also ein verändertes Machtgefüge in Russland in jenem unscheinbar wirkenden Satz im Kapitel 83, der da bisher noch nicht stand? Der Präsident bildet demnach einen Staatsrat, der neu auftaucht in der russischen Verfassung. Dies soll offiziell bewirken, dass die staatlichen Organe bei der Innen- und Außenpolitik und der sozialwirtschaftlichen Entwicklung zusammenarbeiten. Das kann viel oder wenig heißen. Welche Befugnisse wird dieser Staatsrat haben, welche Aufgaben? Wird er mächtig sein, oder sehr mächtig, oder doch gar nicht so mächtig?

Zu den heißesten Vermutungen in Russland gehört seit Beginn der Verfassungsdebatte im Januar, dass Putin nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident diesen neuen Staatsrat leiten könnte und damit auch pro forma die Politik in Russland mitbestimmen wird. Gut möglich. Die genauen Aufgaben des Staatsrats sollen zu einem späteren Zeitpunkt in einem neuen Gesetz bestimmt werden. Das ist geschickt, denn es verschafft Zeit und könnte das Land noch ein paar Jahre weiter raten lassen, wie einflussreich er künftig denn sein wird - der Staatsrat, und auch Putin. Alle Optionen bleiben somit also denkbar. Außer, dass der jetzige Präsident zu einer "lame duck" werden könnte.

Alexander Dubowy vom Institut für Sicherheitspolitik in Wien glaubt allerdings nicht an ein völlig neues Machtzentrum. Er schreibt in den "Russland-Analysen", dass der Staatsrat wohl eher beraten als bestimmen wird. Jedenfalls offiziell. Er räumt ein, dass schon jetzt die Präsidialverwaltung sehr einflussreich sei, ohne dass sie in der Verfassung stehe. Und Kremlchef Putin selbst? Er sprach sich am Freitag in Iwanowo gegen eine doppelte Machtstruktur aus, mit einem geschwächten Präsidenten. So etwas "wäre für Russland zerstörerisch".

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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