Russland:Die Opposition ist am Zug

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Um den ehemaligen Schach-Weltmeister Garri Kasparow gruppieren sich Regime-Gegner, die die Demokratie retten wollen.

Von Frank Nienhuysen

In anderen Ländern spielen sich bisweilen erregte Szenen ab - in Japan zum Beispiel. Dort riskieren Abgeordnete oft Kopf und Krawatte, wenn sie im Parlament um wichtige Gesetze streiten und aufeinander losgehen.

Der ehemalige russische Schachweltmeister ist Chef des "Komitees 2008: Freie Wahl" (Foto: Foto: AP)

Politiker rangeln, klettern über Kollegen hinweg und werfen sich aufeinander, man erkennt schmerzverzerrte Gesichter, eingeklemmte Köpfe und angezogene Ellbogen.

In Russland ist das anders. Als Präsident Wladimir Putin in der Folge des Geiseldramas von Beslan die Ausweitung seiner Machtbefugnisse ankündigte, blieb es in der Duma ruhig.

Es ist ja auch kaum jemand da, der seine Stimme lautstark gegen den Kreml erheben würde: Die Parteien der Demokraten, wie sie im Westen definiert würden, sind bei der jüngsten Parlamentswahl Ende 2003 an der Fünf-Prozent-Marke gescheitert.

Und so dringt lediglich aus den Reihen der 15 unabhängigen Duma-Abgeordneten bisweilen scharfe Kritik nach außen.

Der Begriff Demokratie ist seit den Radikalreformen des einstigen Ministerpräsidenten Jegor Gajdar in weiten Teilen der Bevölkerung diskreditiert.

Für sie ist er eng verknüpft mit der Machtakkumulation der Oligarchen, die gewaltigen Reichtum aufhäuften, während das Volk verarmte. Das Scheitern der Liberalen war daher nicht einmal überraschend.

Hinter der Partei "Union der rechten Kräfte" (SPS) stand der verhasste Anatolij Tschubajs, und die liberale Partei Jabloko wurde vom Yukos-Konzern des Oligarchen Michail Chodorkowskij finanziert.

Lediglich aus den Städten, bevorzugt bei den Intellektuellen, schöpfen die oppositionellen Demokraten derzeit ihr Potenzial für einen neuen Anlauf.

Die nächste Chance, die ungleichen Machtverhältnisse wenigstens geringfügig zu verändern, ergibt sich 2007, wenn die Duma, die untere Parlamentskammer, neu gewählt wird.

Ein Jahr später steht dann die Präsidentenwahl an. Doch die Perspektiven sind nicht allzu günstig. Alexander Nikitin, Leiter des Moskauer Zentrums für politische und internationale Studien, sagt, "nur wenn SPS und Jabloko ihre Kräfte bündeln, können sie sicher ins Parlament einziehen".

Selbst dann würde der rechte Flügel zwar wohl nur eine Minderheit in der Duma bilden, "aber die neuerliche Präsenz allein hätte symbolische Wirkung".

Klaus Segbers vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin sagt, "die Rivalitäten zwischen den demokratischen Parteien sind nicht förderlich. Aber unter den neuen Bedingungen bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich zusammenzuschließen".

Die nächsten Monate und Jahre könnten also auch die Zeit sein, in der Garri Kasparow zum Zuge kommt. Der ehemalige russische Schachweltmeister ist Chef des "Komitees 2008: Freie Wahl", dem sich eine Reihe bekannter Politiker, Journalisten und Menschenrechtler angeschlossen haben, darunter die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow, Jelena Bonner.

Alle sind ausgewiesene Putin-Gegner. Das Komitee will dabei helfen, eine Art Allianz der Demokraten zu schmieden.

Alexej Simonow, Mitglied des Komitees, sagt, die Parteien allein hätten nach jetzigem Stand bei der nächsten Wahl keine Chance. Wichtig wären neue Führungsfiguren, "doch im Moment sehe ich keine".

Simonow beklagt, dass es für seine Plattform kaum Chancen gebe, in den staatlich kontrollierten Sendern aufzutreten. Aber das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten.

Die Menschen in Russland seien zur Zeit mehr am Konsum interessiert als an einer erstarkenden Zivilgesellschaft, sagt der Politologe Segbers. "Ikea ist wichtiger als Kasparow."

© SZ vom 28.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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