Russland:Das System geht zu weit

Die Behörden haben überdosiert und das Gegenteil erreicht: mehr Protest.

Von Silke Bigalke

Man muss in Moskau nicht mal mehr zum Protest gehen, sondern nur zufällig in der Nähe stehen, um unter die Räder der Richter zu geraten. Die Behörden wollen die Leute offenbar so verunsichern, dass diese auf ihren Sofas bleiben und Staatsfernsehen schauen. Es scheint, als testeten sie dafür die passende Dosis an Polizeigewalt und Strafen. Nun haben die Behörden überdosiert, und das Gegenteil erreicht: mehr Protest.

Sie sind zu weit gegangen bei Pawel Ustinow, der ins Gefängnis muss, nachdem er grundlos geschlagen wurde. Wenn jemand so unschuldig ist wie Ustinow, kippt die Stimmung von Frustration in Solidarität um. Dabei haben auch Schauspielerkollegen Ustinows geholfen, die die Öffentlichkeit suchten. Nun wirft dieses Beispiel mehr Licht auf Ungerechtigkeiten, wie sie in den Moskauer Prozessen auch mehrere Demonstranten erleiden mussten.

Die Menschen unterschreiben offene Briefe, halten Schilder hoch. Die Behörden können dagegen schlecht die Polizei schicken. Die stellt sich ohnehin als Mittel mit Nebenwirkungen heraus. Niemand nimmt es ernst, wenn ein Nationalgardist Schmerzen empfinden will, weil jemand eine leere Plastikflasche nach ihm wirft. Damit will man nur Demonstrierende als gewalttätig hinstellen. Wenn Richter das nicht mehr ernst nehmen würden, fiele das System zusammen.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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