Rückzug von Simone Peter:Die Zeit der grünen Flügel-Arithmetik ist vorbei

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Grünen-Chefin Simone Peter will nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Der Rückzug Simone Peters macht den Weg frei für eine grundlegende Änderung in der Führungsstruktur der Grünen. Ein guter Schritt.

Kommentar von Matthias Drobinski

Simone Peter sagt, sie wolle nicht mehr Grünen-Chefin werden - das erinnert an den Fuchs, der hinauf zu den Trauben schielte, die jenseits seiner Sprungkraft hingen, und sagte: Sie sind mir zu sauer. Peter hat als Parteivorsitzende nicht nur glücklich agiert, und bei der Bundesdelegiertenkonferenz Ende Januar gibt es zwei klare Favoriten für das Amt: Robert Habeck, Schleswig-Holsteins Umweltminister, und die Wahl-Brandenburgerin Annalena Baerbock, zwei Realos. Anja Piel, die nun für den linken Flügel der Partei antritt, ist mehr eine Zählkandidatin als eine ernsthafte Gefahr für die beiden.

Das heißt: Bei den Grünen ist die Zeit der Flügel-Arithmetik vorbei. Das ist ein ziemlich großer Schritt für die Partei, wenn man bedenkt, mit welcher Feinstabstimmung einst Fundis und Realos tarierten und balancierten, damit niemand zu viel Macht oder zu wenig Amt abbekam, und wenn man bedenkt, wie viel Energie dies die Grünen kostete. Diese fehlte dann manchmal, wenn es um Inhalte oder ihre Vermittlung ins Wählervolk hinein ging.

Insgesamt ist dieser große Schritt ein guter Schritt. Die Grünen wählen damit diejenigen an die Spitze der Partei, die ihnen am geeignetsten erscheinen und die die gewünschten Inhalte vertreten. Sie wählen diejenigen, denen sie genügend Charisma zutrauen, um für die Energie-, Agrar- und Verkehrswende, für die Hilfe für Flüchtlinge und ein global faires Wirtschaften so zu werben, dass Bürger über den harten Kern der ohnehin Überzeugten hinaus sagen: interessant, die kriegen diesmal meine Stimme.

Die Bedeutung des einzelnen Politikers steigt

Die Grünen stehen mit dieser Entwicklung übrigens nicht alleine da. Auch bei SPD, CDU und CSU, selbst bei den Linken und erst recht bei der FDP nimmt die Macht der traditionellen Flügel, Landsmannschaften, Arbeitsgemeinschaften ab. Stattdessen steigt die Bedeutung des einzelnen Politikers, seines Persönlichkeitsprofils, der Verheißung, die in seiner Jugend und Strahlkraft oder eben seiner Erfahrung und Verlässlichkeit liegt.

Wie weit das gehen kann, zeigt sich bei Charismatikern wie Sebastian Kurz in Österreich oder Emmanuel Macron in Frankreich, die sich, geradezu in Verachtung alles Parteistrukturellen, als Spitze einer auf sie hin orientierten Bewegung sehen. Von dieser Strukturverachtung sind die Grünen zum Glück weit entfernt. Sie dürfen ruhig ein bisschen mehr Charisma wagen.

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