Robert Habeck auf dem Grünen-Parteitag:"Das ist nicht links, das ist notwendig"

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Robert Habeck, Spitzenkandidat der Grünen in Schleswig-Holstein, spricht über die Steuererhöhungspläne der Grünen, warnt vor eitlen und überhitzen Debatten um die Macht im Land - und erklärt, warum die Piraten-Partei kaum mehr zu bieten habe als einen coolen Namen.

Thorsten Denkler

sueddeutsche.de: Sie leben Dank ihrer Kinder in einer handballverrückten Familie. Was lernt man im Handball-Sport für die Politik?

Robert Habeck redet auf dem Bundesparteitag der Grünen in Kiel. (Foto: dapd)

Habeck: Dass ein Rückstand schnell aufgeholt werden und ein Vorsprung ebenso schnell weg sein kann. Man lernt, dass die richtige Mischung aus Kampfeslust und Cleverness zu Erfolg führt.

sueddeutsche.de: Das brauchen Sie vielleicht, wenn sich die Ex-Handballer Jürgen Trittin und Cem Özdemir im Kampf um die Spitzendkandidatur 2013 zermalmen. Dann kämen Sie ins Spiel.

Habeck: Nein, nein, die machen dann Siebenmeter-Werfen und wer gewinnt, wird Spitzenkandidat.

sueddeutsche.de: Herr Habeck, warum wollen Sie dann nicht wenigstens Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden?

Habeck: (Lacht) Wie soll ich denn darauf antworten jetzt!? Nein, die Frage ist doch: An welchen Ansprüchen will sich die Partei messen? Die Debatten um Kanzlerkandidaten, Ministerpräsidenten, grüne Volkspartei, das hilft uns alles nicht. Das ist eine eitle und überhitzte Debatte. Sie führt uns weg von dem, was uns stark gemacht hat. Und damit meine ich nicht unsere Umfragewerte, sondern unsere Programmatik.

sueddeutsche.de: Hat Renate Künast in Berlin eitel und überhitzt agiert?

Habeck: Renate Künast ist mit sehr hohen Erwartungen konfrontiert gewesen. Im Nachhinein ist da sicher einiges falsch gelaufen. Im dem Moment, in dem es entscheiden wurde, war das nicht unbedingt abzusehen.

sueddeutsche.de: Dann ist es eine Lehre aus dem Berlin-Wahlkampf, nicht mehr eitel und überhitzt aufzutreten?

Habeck: Das sehe ich nicht erst seit der Berlin-Wahl so. Ich konzentriere mich auf die programmatische Arbeit. Daraus ergibt sich etwas oder eben nicht.

sueddeutsche.de: Also lieber in Schönheit untergehen als mit Macht Inhalte umsetzen?

Habeck: Klar geht es leichter, Inhalte umzusetzen, wenn wir die nötigen Mehrheiten haben. Für die Grünen darf es aber keinen Unterschied machen, ob wir den Ministerpräsidenten stellen, mitregieren oder in der Opposition sind. Wir sollten überall die gleichen Antworten geben. Mich nervt, wenn nach der Wahl Versprechen einkassiert werden müssen, weil plötzlich alle überrascht sind, dass die Kassen leer sind. Es ist besser mehr zu halten, als zu versprechen.

sueddeutsche.de: In Berlin ist Rot-Grün an der Autobahn 100 gescheitert. Die Grünen wollten sie nicht. Jetzt regiert die SPD mit der CDU und die Autobahn wird gleich noch länger gebaut. Haben Sie auch solche Festlegungen?

Habeck: Ich halte Ausschließeritis für falsch, wenn es um konkrete Projekte geht. Es sei denn, jemand ist so bescheuert und will ein neues Atomkraftwerk bauen. Unser Wahlprogramm ist allerdings dennoch eng gestrickt, wenn es um Finanzen geht. Wir geben kein Geld aus, das wir nicht haben, machen aber möglich, was möglich ist. Da ist die Luft für Koalitionsverhandlungen in der Tat sehr dünn. Verhandlungen können sehr schnell zu Ende sein, wenn der Boden der Realität verlassen wird.

sueddeutsche.de: Herr Habeck, Sie wollen in Schleswig-Holstein Ihre Wahl gewinnen. Und jetzt müssen Sie nach diesem Parteitag massive Steuererhöhungen verteidigen. Schon eine Idee, wie das gehen soll?

Habeck: Das kann ich gut vertreten. Wir schließen damit große Gerechtigkeitslücken. Wenn die Armen nicht immer ärmer werden sollen, wenn die Kommunen und Länder noch Geld für Theater und Schulen haben sollen, dann müssen wir die Einnahmen verbessern.

sueddeutsche.de: Die Grünen rücken nach links.

Habeck: Das ist nicht links, das ist notwendig. Für einen Landespolitiker, der aus einem Land kommt, das wie Schleswig-Holstein unter einem erheblichen Konsolidierungsdruck steht, ist das ein Gebot der Vernunft. Mir werden die Beschlüsse im Wahlkampf helfen.

sueddeutsche.de: Die Grünen erhöhen den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent, wollen eine Vermögensabgabe, später vielleicht eine Vermögensteuer, sie wollen das Ehegattensplitting abschmelzen, einige ermäßigte Mehrwertsteuersätze von sieben auf 19 heraufsetzen. Die Grünen wollen Einnahmen steigern. Aber wo ist die Ausgabenkritik?

Habeck: Nur mit dem Wegstreichen von Ausgaben lässt sich kein Haushalt sanieren. In den Ländern ist Konsolidierung seit Jahren ein Thema. Da ist die meiste Luft schon raus. In der Substanz noch mehr zu sparen hieße weniger Lehrer, weniger Polizisten, weniger Finanzbeamte. Da schneiden wir uns ins eigene Fleisch.

sueddeutsche.de: Und im Bund?

Habeck: Da ist die Lage eine andere. Aber ich will auch eines sagen: Das Ehegattensplitting ist nicht Einnahmesteigerung, sondern Ausgabenkritik. Es ist eine Subvention, die nicht mehr in die Zeit passt.

sueddeutsche.de: Vielen ist die Schuldenbremse ein Dorn im Auge, weil damit die Handlungsfähigkeit vor allem in den Ländern massiv eingeschränkt wird. Ist die Schuldenbremse sakrosankt?

Habeck: Sie wird ja vor allem von links kritisch gesehen. Dabei befördert sie linke Politik. Die Schuldenbremse hat dazu geführt, dass die Schwarzen und Gelben ausgelacht werden, wenn sie von Steuersenkungen reden. Sie zwingt alle auf den Weg der Vernunft. Das hat nichts mit links oder rechts zu tun. Mit der Schuldenbremse werden nur einfache Grundrechenarten eingehalten.

sueddeutsche.de: Dem rot-grün regierten NRW scheint die Schuldenbremse nicht so wichtig zu sein. Da heißt es Investitionen vor Schuldenabbau. Ein Vorbild?

Habeck: Unser Problem ist nicht die Schuldenbremse. Wir müssen föderale Strukturen ändern. Wir können in Schleswig-Holstein nicht aus eigener Kraft die Bildungsstrukturen aufbauen, die wir bräuchten. Das gilt für andere Länder auch. Darum muss das Kooperationsverbot zwischen Bund und Kommunen weg, der Lastenausgleich zwischen den Ländern funktioniert nicht mehr. Es gibt für reiche Länder keinen Anreiz, ihre Einnahmen stabil hoch zu halten und für arme Länder keinen Anreiz, Einnahmen zu steigern. Das führt zu einem strukturellen Einnahmedefizit des Staates. Da müssen wir ran.

sueddeutsche.de: Angst vor den Piraten?

Habeck: Nein.

sueddeutsche.de: Warum nicht? Weil die Grünen jetzt auch Netzpolitik machen?

Habeck: Die machen wir schon länger als es die Piraten gibt. Es ist aber eine Fehleinschätzung zu sagen, je mehr Netzpolitik wir machen, desto besser halten wir die Piraten klein.

sueddeutsche.de: Was haben die Piraten, was die Grünen nicht haben?

Habeck: Einen coolen Namen. Vor allem in Schleswig-Holstein passt das ja. Und sie wirken natürlich erstmal neu und anders. Inhaltlich aber lassen wir den Piraten wenig Luft.

sueddeutsche.de: Lässt sich damit schon das Umfragehoch und der Wahlerfolg der Piraten in Berlin erklären?

Habeck: Es gibt einen Widerspruch zwischen "denen da oben" und "denen da unten", den im Moment keiner auflösen kann. Es gibt einen Hunger in der Gesellschaft nach einem anderen politischen Selbstverständnis. Dafür sind die Piraten eine Projektionsfläche. Die falsche, wie ich finde. Mehr Geld ausgeben für kostenlose Busse und Bahnen kann jeder. Die Piraten sagen, wir müssen alles wissen, dann haben wir die Antworten. Das reicht nicht. Es braucht eine politische Grundhaltung.

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