Republik Moldau:Hin- und hergerissen

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In einer Kleinstadt im Südosten Moldaus verkaufen Bauern ihre Waren an der Landstraße. Im Grenzgebiet zu Transnistrien war das viele Jahre lang sehr kompliziert, dort waren Bauern von einem großen Teil ihrer Felder getrennt. Erst seit vergangenen August haben sie wieder Zugang. (Foto: Andreas Bastian/ullstein bild/CARO)

Moldau will in die EU, hat aber noch den Konflikt um das abtrünnige Transnistrien im Gepäck. Im Grenzort Doroţcaia sehen die Bewohner die Altlasten täglich - und freuen sich über erste Fortschritte.

Von Frank Nienhuysen, Doroţcaia

Gerade eben war noch ein geparkter russischer Panzer am Wegesrand zu sehen, jetzt steht man vor einem Kulturhaus, das aus dem Topf der Europäischen Union verschönert wurde. So schnell ändern sich die Eindrücke, wo Ost und West aufeinandertreffen, oder - ganz wie man es nimmt - ein Land zerrissen ist. Der Weg in den moldauischen Ort Doroţcaia führt an einem Kontrollpunkt vorbei und für wenige Hundert Meter über transnistrisches Gebiet, danach sind es noch ein paar Minuten Fahrt in sanfthügeliger Umgebung und der Ortskern ist erreicht. Das rote Ziegeldach des Kulturhauses glänzt neu, die Fassade leuchtet in frischem Ocker, die Balkone sind strahlend weiß, die Fenster modern und gepflegt - alles mit freundlicher Unterstützung der EU. Boris Ctitor ist Vizebürgermeister von Doroţcaia, er sagt, "es ist wichtig, dass die Menschen in Transnistrien sehen, dass das Leben hier bei uns besser ist als drüben bei ihnen". Drüben heißt gleich um die Ecke.

Der Grenzort Doroţcaia gehört zur Republik Moldau, die in die EU will und mit ihr ein Assoziierungsabkommen geschlossen hat. Nur etwa 500 Meter entfernt beginnt Transnistrien, ein separatistischer Landstrich, der mit russischer Unterstützung ein Eigenleben führt und auch auf das Leben in Doroţcaia großen Einfluss hat. Es geht um einen subtilen Wettbewerb, um die Deutungshoheit, wo es den Menschen besser geht, ob in Doroţcaia oder im abtrünnigen Transnistrien.

In den Neunzigerjahren, nach dem Ende der Sowjetunion, als es plötzlich 15 neue Staaten gab, wütete hier der Krieg. Transnistrien wollte sich abtrennen von Moldau, jetzt gilt das Gebiet als Zone eines eingefrorenen Konflikts. Völkerrechtlich gehört es zur Republik Moldau, faktisch wird es mit russischer Hilfe aufgepäppelt, hat eine eigene Rubel-Währung, eine eigene Regierung und Verwaltung, es gibt russische Soldaten und eine Friedenstruppe unter der Führung Russlands. Aber ganz trennscharf ist nicht alles zwischen Doroţcaia und Transnistrien, das von niemandem als unabhängiger Staat anerkannt wird.

Der Krieg hat landwirtschaftliche Felder zerschnitten - 3000 Hektar ganz nah und unerreichbar fern

Der Krieg hat landwirtschaftliche Felder zerschnitten, und so kam es, dass viele Bauern in Doroţcaia zwar fruchtbaren Boden hatten mit Mais, Weizen, Sonnenblumen, ihr größter Teil lag allerdings auf transnistrischer Seite - 3000 Hektar, ganz nah und doch unerreichbar fern. So war das jahrelang. Für die Bauern hat das viel Kummer bedeutet, Verzicht und verlorene Ernten. Seit dem vergangenen August aber gibt es Fortschritte.

Die Regierung und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben sich mit der transnistrischen Führung darauf geeinigt, dass die Bauern wieder Zugang zu ihren Feldern erhalten. Für den Ort Doroţcaia bedeutet dies auch wieder mehr Steuern. "Die Einigung ist sehr wichtig für uns", sagt Vizebürgermeister Ctitor. Jetzt will Doroţcaia dafür kämpfen, dass auch die übrigen 750 Hektar, die auf transnistrischem Gebiet liegen und der Gemeinde gehören, wieder unter deren Kontrolle kommt.

Ctitor stammt selber aus Doroţcaia, er hofft, dass "es eines Tages wieder ein einziges Land gibt, ohne Zoll, ohne Grenze". Zwei Kriege hat der Ort erlebt, zweimal war er Frontgebiet. Das kleine historische Museum, gleich gegenüber vom Kulturhaus und dem Rathaus, ist gefüllt mit Schwarz-Weiß-Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg, mit Heldenorden, Lenin-Porträt, alter Munition. "Es reicht jetzt mit Krieg", sagt die Museumsmitarbeiterin. Krieg gibt es zwar gerade nicht, aber die Folgen des Kriegs, die Trennung, eine Friedenstruppe, den ungelösten Konflikt.

Immerhin, Lichtblicke gibt es auch. Denn möglichst gut nebeneinander leben wollen die Menschen natürlich schon, Brücken bauen durch kulturellen Austausch und gemeinsame Projekte. Im Kulturhaus von Doroţcaia hängen Fotos von Fußballteams, beim Ortsorchester machen Kinder aus Transnistrien mit, der Mädchenchor von Doroţcaia wiederum tritt ab und zu im Separatistengebiet auf. Und dann gibt es noch die sehr ungewöhnliche Schule, die eigentlich aus zwei völlig verschiedenen Schulen besteht. Ein erstaunliches Schichtenmodell ist das: Morgens gehen 370 Kinder aus Doroţcaia in den Unterricht, aber mittags müssen sie zeitig raus, denn um 13.30 Uhr kommen mit Bussen 130 Schüler aus dem transnistrischen Ort Grigoriopol. Sie bringen ihren eigenen Schuldirektor mit, ihre eigenen Lehrer; am Abend um sieben fahren sie alle wieder zurück.

Nelea Sajin, Vizedirektorin der Gastgeberseite, sagt, "alles, auch das Gehalt der Lehrer, bezahlt die Republik Moldau". Sie erklärt, dass in den Schulen Transnistriens hauptsächlich Russisch gesprochen wird, in Doroţcaia hingegen Rumänisch, die Landessprache in der Republik Moldau. Und genau das will auch die Schule von Grigoriopol, Rumänisch statt Russisch. Es helfe den Schülern, etwa einen Platz an der Universität in der Hauptstadt Chișinău zu bekommen, sagt die Direktorin.

Auf transnistrischer Seite gebe es mehr Licht, sagt eine Bewohnerin. Das Gas liefert ja auch Russland

Moldau ist im europäischen Vergleich ein armes Land, Lehrer verdienen 250 bis 300 Euro. Sajin sagt, in Transnistrien seien es nur etwa 150 Euro. Ihre Schule ist gut ausgestattet, die Methoden sind modern, es gibt interaktive Tafelbilder, Computer, Lehrstoff wird oft in Gruppen erarbeitet und nicht vom Lehrer eingeimpft. "Es gibt hier viele Investitionsprojekte, bei denen die EU hilft", sagt die Vizedirektorin, "die Bedingungen sind besser". Nachdem im Krieg eine Schule zerstört wurde und zunächst kein Geld da war, um sie wieder aufzubauen, verließen Familien den Grenzort. Allmählich steigt die Zahl der Schüler wieder. Doroţcaia wächst. Und um verarmte Waisenkinder, von denen es einige gibt in Moldau, auch in Doroţcaia, kümmert sich das Sozialzentrum von Concordia, das in einem lichtdurchfluteten Haus gutes Essen und pädagogische Betreuung bietet.

Alles besser also, wenn man auf der richtigen Seite lebt? Selbst in Doroţcaia sind sich da nicht alle so sicher. Eine Frau sagt, mit Jobs sei es zwar in Moldau besser und auch die Renten seien höher, aber auf transnistrischer Seite gebe es mehr Licht, die Gas- und Strompreise seien billiger und auch sonst das Leben. Denn das Gas wird von Russland geliefert und subventioniert.

Auch wenn der Konflikt eingefroren ist, so ist die Lage doch auch nicht mehr gar so starr. Viele Menschen arbeiten im moldauischen Kerngebiet, transnistrische Unternehmen machen Geschäfte mit der EU, "30 Prozent wird nach Russland und in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) exportiert, 30 Prozent in die EU und der Rest ans andere Ufer des Dnjestr nach Moldau und ein Teil von hier aus weiter in die EU", sagt Aureliu Ciocoi der Süddeutschen Zeitung. Ciocoi ist außenpolitischer Berater des moldauischen Präsidenten Igor Dodon. Der gilt als russlandfreundlich, und er glaubt zu wissen, unter welchen Bedingungen die russischen Truppen Transnistrien verlassen könnten. Mit einer Garantie, dass Moldau niemals Nato-Mitglied wird. "In einem neutralen Land gibt es keine fremden Truppen", sagt Berater Ciocoi. "Russland hat den Konflikt ausgelöst, es kann auch das Problem lösen."

Nur, Moldau macht bei Einsätzen der Nato mit, andererseits sieht die Verfassung ohnehin bündnispolitische Neutralität vor. So einfach ist es also nicht. Doroţcaia wird wohl noch lange ein Grenzort bleiben.

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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