Reportage:Vereint im Bunker

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Israel und der Geruch des Krieges: Gekämpft wird an zwei Fronten, doch für Jerusalems Regierung geht es um noch mehr.

Thorsten Schmitz und Tomas Avenarius

Wenige Minuten vor dem Angriff der Hisbollah-Milizionäre auf israelische Grenzsoldaten hält sich Israels Premierminister am Mittwochmorgen im Wohnzimmer der Familie Schalit auf. Es ist kurz vor neun Uhr morgens.

Letzter Gruß: Die Mutter des Soldaten Nimrod Cohen trauert bei der Beerdigung in Jerusalem. Der 19-jährige Israeli war nahe der libanesischen Grenze getötet worden. (Foto: Foto: Reuters)

Fast drei Wochen nach der Entführung ihres 19 Jahre alten Sohnes Gilad in den Gaza-Streifen hat Olmert auf dem Besuch im Norden Israels bestanden, obwohl sein Terminkalender ohnehin schon voll ist.

Japans Premierminister Junichiro Koizumi soll um 10 Uhr in Jerusalem empfangen werden. Doch das Treffen mit der Familie Schalit verläuft nach Angaben eines Mitarbeiters Olmerts "sehr unerfreulich". Die Atmosphäre ist angespannt.

Olmert wiederholt, Israel werde sich von den Entführern nicht erpressen lassen und Gefangene austauschen. Gilads Vater Noam erklärt dem Premier, er wisse nicht, worauf Israel warte: "Am Ende vom Tage hat alles seinen Preis. Ich glaube nicht, dass Gilad befreit wird, ohne dass Israel einen Preis zahlt. Das passt nicht zum Nahen Osten."

Mitten in das Treffen platzt die Nachricht vom Angriff auf die israelischen Soldaten an der Grenze zum Libanon. Hastig bricht die Eskorte des Regierungschefs auf und fliegt nach Jerusalem.

Noch im Helikopter werden hektische Telefonate geführt. Erst wird eine Absage des Gesprächs mit dem japanischen Premier erwogen, dann aber von Olmert fallen gelassen.

Man will der Hisbollah nicht auch noch die Genugtuung verschaffen, den Terminkalender des Premierministers durcheinander bringen zu können.

Raketen-Regen im Norden

Dennoch hat die Tötung von acht israelischen Soldaten und die Entführung zweier weiterer durch die Hisbollah Israel in seinen Grundfesten erschüttert.

Die Nation verfolgt fassungslos, wie es der Hisbollah gelingen konnte, nach dem Krieg im Gaza-Streifen nun eine zweite Front im Norden zu eröffnen. Alle Zeitungen titeln in großen Lettern den "Zwei-Fronten-Krieg", das Fernsehen bringt auch tagsüber Sondersendungen, der zweite Kanal hat sein Studio sogar in die von Katjuscha-Raketen beschossene nördliche Grenzstadt Kiriat Schmona verlegt.

Vor wenigen Wochen noch hatte Israel einem Jahrhundert-Sommer entgegengeblickt mit so vielen Touristen wie noch nie in der Geschichte des Landes und einem wirtschaftlichen Aufschwung, der die düsteren Jahre der Intifada vergessen machen sollte. Der Traum ist nun geplatzt.

Im Norden des Landes an der Grenze zum Libanon herrschen kriegsähnliche Zustände. Israels Luftwaffe fliegt Angriff um Angriff im Süden des Nachbarlandes, auch der Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut wird am Donnerstag mit Raketen beschossen.

Nach libanesischen Angaben sind bereits 50 Menschen ums Leben gekommen. Und die Hisbollah erwidert den Beschuss. Den ganzen Donnerstag über werden die Städte Naharija und Kiriat Schmona mit Katjuscha-Raketen beschossen, eine 40 Jahre alte Israelin wird bei einem Einschlag in ihrem Schlafzimmer getötet, zwölf Menschen werden verletzt.

Am Abend schlagen sogar Raketen in Haifa ein, die Hisbollah hatte damit schon vorher gedroht. Aus Naharija in Richtung Süden bilden sich Staus, Die Bewohner fliehen und die älteren Menschen aus der Küstenstadt sowie aus Kiriat Schmona werden in einer groß angelegten Aktion in Sicherheit gebracht.

Der Bahnhof von Naharija und mehrere Regionalflughäfen im Norden Israels werden geschlossen, die Menschen in den umliegenden Dörfern von der Armee aufgefordert, sich in unterirdische Bunker zu begeben.

Bei allen werden traumatische Erinnerungen wach an jene Zeiten, als der Norden Israels täglich dem Raketen-Regen der Hisbollah ausgesetzt war.

Mit den ersten Kämpfen haben viele Israelis ihren geplanten Urlaub storniert, stündlich werden es mehr. Im Tourismusministerium in Jerusalem fürchtet man nun, dass viele internationale Sommergäste angesichts der weltweit verbreiteten Bilder vom Krieg in Norden jetzt auch ihre Hotelbuchungen in Tel Aviv und Jerusalem absagen werden.

An der israelischen Börse sind die Aktienkurse um vier Prozent gefallen. Ein Sprecher der Börse in Ramat Gan bei Tel Aviv sagt: "Die Investoren sind in Panik angesichts der kriegerischen Situation."

Erinnerungen an Scharon

Auch im Landesinneren, wo die Katjuscha-Raketen nicht hingelangen, sind die Auswirkungen der Kämpfe im Libanon spürbar. Im stets quirligen Tel Aviv herrscht in der Nacht zu Donnerstag merklich gedämpfte Atmosphäre.

In Jerusalem wie überhaupt im ganzen Land hängen die meisten Menschen zur Nachrichtenzeit um 20 Uhr vor ihren Fernsehern. Partys und Geburtstagsfeiern werden abgesagt.

Die Alarmstufe ist erhöht worden. Israels Polizeichef Mosche Karadi sagt, er wolle verhindern, dass palästinensische Terroristen es ausnützen, dass die Armee an zwei Fronten kämpft, um wieder vermehrt Selbstmordattentate in den Städten zu verüben.

"Wir wollen eine dritte Front vermeiden", sagt Karadi am Donnerstag im Rundfunk. Auch in den Gefängnissen, in denen palästinensische und libanesische Häftlinge festgehalten werden, ist das Personal verstärkt worden.

In manchen Gefängnissen, heißt es, hätten arabische Häftlinge Freudenschreie über die Entführung zweier weiterer Soldaten ausgestoßen.

Der Ausnahmezustand hat sich auch auf die erst seit zweieinhalb Monaten amtierende Regierung in Jerusalem übertragen.

Olmert und sein Verteidigungsminister Amir Peretz sind einer hohen Belastungsprobe ausgesetzt. Sie müssen dem israelischen Volk vermitteln, sie hätten die Lage im Griff, während gleichzeitig die Kritik an der Regierung zunimmt.

Weder Olmert noch Peretz haben - im Gegensatz zu allen ihren Vorgängern - Karrieren in der Armee absolviert, sie sind Zivilisten. In manchen Medien wird bereits spekuliert, wie der noch immer im Koma liegende Ariel Scharon wohl die Situation gemeistert hätte.

Und ob sich die Hamas und die Hisbollah überhaupt getraut hätten, Israel von zwei Seiten aus anzugreifen.

In Regierungskreisen wird nun eine Notstandsregierung nicht mehr ausgeschlossen, die rechten und ultra-orthodoxen Parteien haben Olmert bereits gedrängt, eine große Koalition zu bilden.

Es wird an den früheren Premierminister Levy Eschkol erinnert, der zu Beginn des Sechs-Tage-Kriegs im Juni 1967 ebenfalls eine Notstandsregierung gebildet hatte.

"Achse aus Hass und Terror"

Zwar äußert sich Olmert am Donnerstag noch vage zu diesem Thema. Noch habe er sich damit nicht beschäftigt. Dessen ungeachtet hatte er aber in der Nacht zum Donnerstag nach der Sondersitzung des Sicherheitskabinetts noch Zeit, den Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vom Likud zu treffen.

Vieles ist in Bewegung, manches in Aufruhr angesichts der neuen Gefahren. Eine "Achse aus Hass und Terror" sieht Außenministerin Tzipi Livni hinter den Attacken auf Israel. Sie meint damit die sich im Hintergrund abzeichnende Koalition aus Iran, Syrien, der Hisbollah und der Hamas.

Den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah nennt sie eine "Bedrohung für die ganze Region. Er ist ein Provokateur". Man dürfe "der Hisbollah kein Veto-Recht geben über eine zukünftige Einigung zwischen Israelis und Palästinensern".

In ihrem Ministerium im Jerusalemer Ben-Gurion-Regierungsviertel sitzen am späten Mittwochnachmittag ihr Sprecher Mark Regev und einer ihrer hochrangigen Berater zusammen, der nicht mit Namen zitiert werden möchte.

Regev sagt all das Offizielle, das in solch einer außergewöhnlichen Situation zu sagen ist und in seiner Deutlichkeit nicht missverstanden werden kann: "Das ist ein Angriff auf den souveränen Staat Israel. Israel hat den Libanon weder angegriffen noch hat es einen territorialen Streit mit diesem Land. Das ist ein kriegerischer Akt von Seiten des Libanon."

Der Berater der Ministerin wird dann aber genauer.

Der Angriff sei keine Aktion alleine der Hisbollah. Ja, man wisse seit langem, dass die libanesische Schiitengruppe Pläne schmiede, Israel an seinen verwundbaren Stellen zu treffen und "vor allem Entführungen" geplant habe.

Aber dahinter zeichne sich unübersehbar die von der Ministerin genannte Achse radikaler islamischer Staaten und Gruppen ab.

Und dann sagt der Sprecher etwas, was die wirkliche Tragweite der Ereignisse heraustreten lässt und weit über das Schicksal von drei entführten israelischen Soldaten hinaus weist.

Für die israelische Regierung sei das kein Angriff nur auf Israel gewesen. Sondern: "Das ist eine strategische Herausforderung des Westens durch die radikale Achse, die von Iran über Syrien zur libanesischen Hisbollah bis hinunter zur palästinensischen Hamas führt."

Die Spur nach Teheran

Die dramatische Wortwahl kommt nicht von ungefähr. Israel sucht in seiner schwierigen Lage internationale Unterstützung. Die Angriffe haben die mächtige israelische Armee schon zum zweiten Mal innerhalb von nur zwei Wochen als sehr verletzlich gezeigt.

Und die Antwort darauf fällt so massiv aus, dass sie zwangsläufig internationale Kritik hervorruft. "Harte Schläge im Libanon, die die Infrastruktur der Hisbollah lähmen, und Schläge, die die libanesische Regierung zwingen, für Ruhe und Ordnung im Südlibanon zu sorgen und in Übereinstimmung mit der UN-Resolution 1559 die Hisbollah zu entwaffnen" - so umreißt es Mark Regev, der Sprecher des Außenministeriums.

Doch der Berater spannt einen weit größeren Bogen. Iran stehe wegen seines undurchsichtigen Atomprogramms unter internationalem Druck. Weil das Mullah-Regime die Atombombe um jeden Preis wolle, lenke es mit der Unterstützung der Hamas und der Hisbollah an Israels Grenzen von seinem Nuklearprogramm ab. Zugleich schmiede es eine Allianz, mit der es sich im Fall von israelisch-amerikanischen Angriffen gegen die Atomanlagen wehren wolle.

In diesem Szenario zeigen sich die Iraner als die Drahtzieher, die Syrer als die Mittelsmänner und die Hisbollah und die Hamas als die ausführenden Instrumente. "Sie denken, dass Israel zum jetzigen Zeitpunkt schwach ist, weil es eine unerfahrene Regierung hat", sagt der Berater.

Sehr hart zuschlagen

Sie haben unsere zurückhaltende militärische Reaktion auf die Entführung eines unserer Soldaten im Gaza-Streifen als Zeichen der Schwäche interpretiert. Deshalb fordern sie uns jetzt gezielt auch im Norden heraus."

Auch Schimon Peres, stellvertretender Premierminister und ergrauter elder statesman Israels, lässt keinen Zweifel daran, dass man im Libanon sehr hart zuschlagen müsse. Aber Peres differenziert: "Wir bombardieren nicht den Libanon. Wir bombardieren nur die Ziele im Libanon, die mit der Hisbollah zu tun haben.

Der Flughafen Beirut wurde von Iran kontrolliert." Was Peres sagen will: Israelischen Quellen zufolge bringt die Hisbollah über eben diesen Flughafen iranische Waffen ins Land. Die Libanesen allerdings dementierten das.

Die Gefahr, dass auch Libanons Nachbar Syrien als enger Alliierter der Hisbollah in den Konflikt hineingezogen wird und dieser sich mit einem fatalen Automatismus rasch zu einem handfesten Nahost-Krieg ausbreiten könne, lässt einer wie Peres in dieser Lage nicht gelten.

"Wir müssen Syrien nicht treffen. Aber es liegt alleine an Syrien, entsprechend verantwortlich zu handeln. Warum kann die Hamas in Damaskus in aller Offenheit weiter ein Büro unterhalten?"

Und dann sagt er, der fünf Kriege erlebt und den Friedensnobelpreis erhalten hat: "Man kann die Lage nicht nur mit Reden in Talkshows kontrollieren. Man muss eben auch Risiken eingehen."

© SZ vom 14.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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