Reportage:Schiffbruch auf der großen Welle

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Wie sich Edmund Stoiber im Wahlkampf als Leichtmatrose auf seinem Ostkurs verirrt und seine Parteifreunde ihr Heil im Abstand suchen.

Jens Schneider und Peter Fahrenholz

Berlin/München, 12. August - In der Zentrale der CSU in München fühlt man sich an einen "Tsunami" erinnert. An ein Seebeben, das an seinem Ursprungsort keinen Schaden anrichtet, dessen Wellen aber in weiter Ferne verheerend wirken können.

"Der soll seine Reden etwas anders halten, sonst schadet er uns." CSU-Chef Stoiber (Foto: Foto: ddp)

Als Edmund Stoiber Anfang August in Eglofs im Westallgäu, einem 1496-Seelen-Ort mit Panorama-Blick auf die Alpen, über die Bundestagswahl und die "Frustrierten" in Ostdeutschland sprach, wurden seine Aussagen nicht einmal daselbst als Beben wahrgenommen. Eine Woche brauchte es, bis die Welle auf verschlungen Wegen Berlin erreichte. Dann aber entwickelt sie eine solche Wucht, dass vielen erst mal die Sprache wegblieb.

Nichts könnte das Ausmaß der bisher schwersten Wahlkampfpanne von CDU und CSU deutlicher dokumentieren als dieses Schweigen. Zunächst ist fast einen ganzen Tag lang aus der Parteizentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, nichts Offizielles zu hören. Auch die meisten Spitzenpolitiker der CDU im Osten tauchen erst mal ab. Das Schweigen hat viele Gründe.

Kann das wirklich sein?

Noch vor aller Ratlosigkeit stehen Zweifel: Kann das wirklich sein? Hat der bayerische Ministerpräsident wirklich gesagt, dass er nicht akzeptieren werde, dass wieder der Osten bestimme, wer in Deutschland Kanzler wird?

Ob nun bei der CDU in Berlin oder in Dresden: Ungläubig wird nach den Original-Zitaten gesucht. Nicht etwa, weil man sich solche Aussagen von Stoiber über den Osten nicht vorstellen könnte. Na klar, heißt es bei vielen Christdemokraten: So denkt er.

Und doch erscheinen Stoibers Sätze so verblüffend ungeschickt und untaktisch. "Was soll man dazu noch sagen?", fragen Christdemokraten zurück - und schweigen. Zugleich aber werden nicht nur in Berliner CDU-Kreisen einige Flüche ausgestoßen, die selbst an bayerischen Biertischen als zu derb empfunden würden.

Zwischenruf aus der Kapelle

Auch die CSU selbst bleibt von der Welle nicht verschont. Günther Beckstein, einer der engsten Stoiber-Vertrauten, der bei einem Unionssieg Bundesinnenminister werden soll, wird davon voll erwischt. Eigentlich hatte es ein Besuch bei Freunden werden sollen.

Beckstein ist am Donnerstag zu drei Wahlkampfauftritten im benachbarten Baden-Württemberg eingeladen. Von allen CDU-Verbänden sind die Baden-Württemberger der CSU am nächsten. Beim Aufeinandertreffen von Politikern aus beiden Bundesländern gehört es zum Ritual, sich daran zu berauschen, dass die beiden Südstaaten in allen denkbaren Statistiken um den ersten Platz wetteifern.

Noch am Vormittag, bei einer Fabrikbesichtigung in seiner fränkischen Heimat, hatte Beckstein die Aufregung um die Stoiber-Äußerungen abgetan. "Ich glaube, dass die meisten Menschen in Baden-Württemberg und Bayern das nicht so negativ sehen", erklärte er da noch.

Doch im Laufe des Tages zeigt sich, dass die Parteifreunde in Baden-Württemberg das offenbar ganz anders sehen. Beckstein hat einen beifallsumrauschten Auftritt in Aalen. Mit seinen schnörkellosen Äußerungen zur inneren Sicherheit liegt er bei jeder CDU-Veranstaltung richtig. Doch dann kommt die Fragerunde aus dem Publikum.

Erst traut sich keiner, doch dann steht ausgerechnet ein Mann aus der Blaskapelle auf der Bühne auf. Beckstein solle doch schöne Grüße an Edmund Stoiber ausrichten, sagt der Musiker. "Der soll seine Reden etwas anders halten, sonst schadet er uns."

Den Zuhörern im Saal ist anzumerken, dass sie am liebsten laut applaudieren würden, sich aber aus Höflichkeit dem Gast gegenüber zurückhalten. "Wenn er so weitermacht, wird es nix", schimpft der Mann von der Kapelle über Stoiber. Beckstein dreht bei seiner Antwort ziemliche Pirouetten, versucht zu erklären, dass Stoiber doch nur habe sagen wollen, im Süden müsse die Union besonders gut abschneiden.

Beim nächsten Auftritt in Freiberg, wo die Turnlegende Eberhard Gienger für die CDU antritt, das gleiche Bild. Beckstein erhält viel Beifall für seine Rede, doch dann fragt wieder einer nach den Stoiber-Äußerungen. Beckstein räumt ein, Stoiber habe vielleicht ein wenig missverständlich formuliert.

"Der macht uns alles kaputt"

Während der Fahrten zu den Terminen hört Beckstein im Autoradio, wie sich die Aufregung um Stoiber stündlich hochschaukelt. Bei seinem dritten Auftritt im Wahlkreis Heilbronn baut er seine Beschwichtigung deshalb gleich in die Rede ein.

Doch auch hier kann der CSU-Mann die Treuesten der Treuen bei der Schwesterpartei nicht überzeugen. Es zeigt sich, dass Stoibers Patzer die gesamte Union durcheinander gebracht hat. Beim Hinausgehen zischt ein junger Mann Beckstein zu, "der Stoiber mit seiner arroganten Art macht uns alles kaputt". Beckstein schaut den Kritiker für Sekundenbruchteile verblüfft an und erwidert dann schmallippig: "Sie erwarten jetzt hoffentlich nicht, dass ich was dazu sage."

Zu diesem Zeitpunkt ist auch bei der CDU das Thema längst zur Chefsache geworden. Denn es berührt auch die interne Machtbalance der Union. Jede Reaktion auf Stoibers Äußerungen könnte das ohenhin schon wieder arg komplizierte Verhältnis zur CSU belasten.

In solch brisanter Lage muss die Kanzlerkandidatin Angela Merkel selber den Ton vorgeben. Alles wartet auf ihren Fernsehauftritt bei Maybrit Illner. Für die Chefin kommt es nun auch darauf an, ihre Stellung gegenüber Stoiber zu behaupten.

Die Parteivorsitzende schaut nicht gerade erfreut, als sie erwartungsgemäß auf den Aufruhr um Stoiber angesprochen wird. Aber sie flüchtet sich diesmal nicht in Allgemeinplätze. Deutlich distanziert sie sich vom CSU-Chef und präsentiert sich gar als eine Art gesamtdeutsches Gegenbild. "Vielleicht", sagt sie spitz, "bräuchten wir mehr Leute wie mich, die wirklich gesamtdeutsch sind."

Am Tag danach ist die Aufregung um Stoiber damit keineswegs abgeebbt. Sie nimmt in den Morgensendungen sogar noch einmal kurz zu, als hätte Merkel mit ihren klaren Worten wenig geklärt.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) spricht nun deutlich von einem Eigentor Stoibers. Dann aber kehrt das Schweigen zurück. Die Vorsitzende habe gesprochen, heißt es aus der CDU. Das müsse reichen.

© SZ vom 13.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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