Rechtsstaat:Alte Rechnung mit den Richtern

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Vielen Polen gefallen die Einschränkungen der Pressefreiheit nicht, sie protestieren gegen Jaroslaw Kaczyński, den mächtigen Chef der Pis. (Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Jaroslaw Kaczyński denkt schon lange über eine starke Führung ohne lästige Gewaltenteilung nach. Schon seine frühere Regierung hatte Ärger mit den Verfassungshütern.

Von Florian Hassel

Es war eine bemerkenswerte Begründung, als Polens neues, von der Partei "Recht und Gerechtigkeit (Pis) beherrschtes Parlament Ende November die Wahl von fünf Verfassungsrichtern durch das Vorgängerparlament kurzerhand für ungültig erklärte. Der Verfassung nach war das Parlament dazu gar nicht berechtigt - darüber darf ausschließlich das Verfassungsgericht selbst entscheiden. Doch als Polens Opposition an diesem 25. November gegen den Willkürakt protestierte, trat Kornel Morawiecki ans Rednerpult, Abgeordneter der mit der Pis verbündeten Partei "Kukiz '15". "Das Recht ist eine wichtige Sache, aber es ist kein Heiligtum", begann Morawiecki. "Über dem Recht steht das Wohl des Volkes. Wenn das Recht dieses Wohl stört, dann dürfen wir es (das Recht) nicht als etwas ansehen, dass wir nicht verletzen und ändern können ( ...) Das Recht muss uns dienen! Das Recht, das nicht dem Volk dient, ist Rechtlosigkeit!" Mit diesen Worten traf Morawiecki die Stimmung. Auch die Abgeordneten der Pis erhoben sich und spendeten Morawiecki stehend Applaus.

Das ist nicht verwunderlich. Pis-Gründer Jaroslaw Kaczyński macht kein Geheimnis daraus, dass er das demokratische Regieren für lästig hält. Schon vor Jahren träumte Kaczyński in der Zeitschrift Wprost von einem "großen gesetzgeberischen Werk" wie 1926 - dem Jahr, in dem Marschall Jozef Piłsudski einen Staatsstreich vollzog und danach als Diktator regierte. Von einer ausgesprochenen Diktatur distanzierte sich Kaczyński zwar - ihm gefalle indes das Modell einer starken Führung zur "Heilung" des Staates, mit langer Regierungszeit, sagte er. Polen brauche, so Kaczyński damals, "zwanzig Jahre ruhiger, guter Regierung".

Die muss sich nicht auf demokratische Institutionen beschränken. 2011 plädierte Kaczyński in einem "Bericht über den Zustand der Republik" dafür, Macht solle in Polen durch "ein zentrales Zentrum politischer Anordnungen ausgeübt werden. Dieses Zentrum muss nicht automatisch mit der Regierung, dem Präsidenten oder irgendeinem Staatsorgan zusammenfallen." Es könne auch "eine Gruppe von Personen sein, die unter den gegebenen historischen Bedingungen endgültig die wichtigsten Entscheidungen im Staat trifft". Das ist heute Realität: Präsident Andrzej Duda unterwirft sich den Entscheidungen von Kaczyński ebenso wie die nominelle Regierungschefin Beata Szydło, obwohl der Parteichef keinerlei Regierungsamt innehat.

Während der ersten Regierung der Pis kassierte das Gericht mehrere Vorhaben

Kaczyński hat auch die Kontrolle der Politik durch das Verfassungsgericht nie akzeptiert. Während der ersten Pis-Regierung von 2005 bis 2007 kassierten die Richter mehrere verfassungswidrige Vorhaben der Pis ein - etwa den Plan, die Kontrolle über den staatlichen Fernseh- und Rundfunkrat zu übernehmen oder über Polens Richter durch den Justizminister. Schon im Jahr 2010 erwog Kaczyński in einem Entwurf für eine neue Verfassung nicht nur einen erheblichen Machtausbau von Präsident und Regierung, sondern auch die Entmachtung des Verfassungsgerichtes. Der Vorsitzende des Gerichts und seine Stellvertreter sollten demnach statt den bisher neun Jahren nur noch vier Jahre im Amt bleiben dürfen.

Nun, mit absoluter Mehrheit im Parlament, will Kaczyński auch ungehindert regieren können. "Für den durchschnittlichen Bürger ist es schwer zu verstehen, dass eine Partei den Präsidenten und die Regierung stellt und trotzdem nicht in der Lage ist, etwas zu machen", mit diesen Worten plädierte er Ende November für ein Regieren ohne Kontrolle durch die Verfassungsrichter. Dem Gericht, das angeblich nur über eine "sehr schwache Legitimation" verfüge, gehe es nur "um die Kompromittierung unserer Macht" und um die "Verhinderung von Reformen", sagte Kaczyński. So seien durch das Verfassungsgericht Reformen wie ein höheres Kindergeld oder eine Senkung des Rentenalters bedroht, behauptete er - ohne jeden Beleg.

Um das Verfassungsgericht unter seine Kontrolle zu bekommen, zumindest aber zu lähmen, ließ Kaczyński nicht nur drei rechtmäßig gewählte Verfassungsrichter bis heute unvereidigt, sondern auch gleich fünf neue wählen. Die schon 2010 erwogene Beschränkung der Amtszeit des Verfassungsgerichtspräsidenten und seiner Stellvertreter ließ der Pis-Chef Ende November per Gesetz umsetzen - und auf drei Jahre verkürzen. Eine Änderung, die die Verfassungsrichter am 9. Dezember für rechtswidrig erklärten, weil die Verfassung die Unabhängigkeit der Richter garantiere. Dieses Urteil wird aber von der Pis-Regierung, wie bereits ein Urteil vom 3. Dezember, nicht befolgt. Sowohl Kaczynski wie auch sein Parlamentspräsident oder die Kanzleichefin der Ministerpräsidentin erklärten die Urteile der Verfassungsrichter für "ungültig", sie seien "nur noch von historischer Bedeutung". Schon arbeitet die Pis an neuen Gesetzen, um das Verfassungsgericht unter Kontrolle zu bekommen.

Polens Opposition ist derweil weitgehend machtlos. Die Pis stellt alleine die Regierung, kontrolliert mit absoluter Mehrheit beide Parlamentskammern und stellt den Präsidenten. Zwar hat Polen auch einen Staatsgerichtshof, der angerufen werden kann, wenn Präsident, Regierungschef, Minister oder andere hohe Staatsdiener gegen die Verfassung oder Gesetze verstoßen. Doch die Anrufung ist nur mit Zustimmung einer Mehrheit der Parlamentarier möglich - davon aber ist die Opposition weit entfernt.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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