Die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle ist möglicherweise größer als bislang bekannt. Es seien weitere Beschuldigte im Visier, sagte der neue Generalbundesanwalt Harald Range am Freitag in Berlin. Die Bundesanwaltschaft ermittele gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt (BKA) die Hintergründe des Falls. Auch nach möglichen Hintermännern werde gesucht. Die Lage ändere sich täglich und beinahe stündlich, sagte Range.
Auf die Frage, ob es zusätzlich zu den beiden bereits in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen Holger G. und Beate Z. weitere zwei weitere Beschuldigte gebe, bestätigte Generalbundesanwalt Harald Range: "Zwei plus zwei."
Bereits zuvor soll Range auf dem Krisengipfel zu der Affäre von vier Verdächtigen gesprochen haben. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Teilnehmer des Gipfels. Gegen zwei der Verdächtigen liege mehr vor, sie würden bereits als Beschuldigte geführt. Das heißt, gegen sie wird formell ermittelt. Überwachungsmaßnahmen liefen, hieß es weiter.
Als Mitglieder der Zwickauer Zelle gelten die beiden zu Monatsbeginn im thüringischen Eisenach tot aufgefundenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie die inhaftierte 36-Jährige Beate Z. Als mutmaßlicher Helfer war zudem der 37-jährige Holger G. in Niedersachsen festgenommen worden, auch er sitzt in Untersuchungshaft. Die Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) soll hinter der bundesweiten Mordserie an neun Migranten in den Jahren 2000 bis 2006 stehen und 2007 zudem eine Polizistin erschossen haben.
Beate Z. will entgegen anderslautenden Berichten bis auf weiteres nicht aussagen. "Ich habe heute mit ihr gesprochen und ihr den Rat erteilt, derzeit nichts zur Sache zu sagen. Sie wird diesen Rat auch befolgen", sagte ihr neuer Anwalt, der Kölner Strafrechtler Wolfgang Herr. Z. sitzt als Untersuchungsgefangene im Gefängnis in Köln-Ossendorf. Nach Angaben der Gefängnisleitung ist die 36-Jährige von dort bislang nicht zum Bundeskriminalamt nach Meckenheim bei Bonn gebracht worden. Sie habe auch noch keinen Besuch von BKA-Beamten erhalten.
Friedrich kündigt Rechtsextremisten-Datei und Abwehrzentrum an
Als Konsequenz aus der Mordserie kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Einrichtung einer zentralen Datei zur Erfassung von Rechtsextremisten an. Darauf hätten sich die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern bei ihrem Sondertreffen in Berlin geeinigt, sagte der CSU-Politiker nach Ende der Gespräche. Er verwies auf die bereits existierende ähnliche Datei über Islamisten. Diese funktioniere "sehr gut".
Außerdem werde ein "Abwehrzentrum Rechts" gegründet, sagte Friedrich. Daran sollten sich das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligen. Noch besprochen werde, inwieweit die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder und die Bundesanwaltschaft dabei mitarbeiten sollten.
BKA-Chef widerspricht Berichten über "Todesliste"
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte einen besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus an. "Alle Akten müssen auf den Tisch", sagte die Ministerin nach dem Krisengipfel. Auch regionale Informationen müssten so schnell wie möglich zusammengetragen werden, forderte die Ministerin. Vor einem möglichen neuen NPD-Verbotsantrag solle sich eine Arbeitsgruppe mit Problemen und Verfahrenshindernissen befassen. Es dürfe keinesfalls passieren, dass ein Antrag erneut scheitere, sagte die Ministerin.
Der BKA-Präsident Jörg Ziercke wies Berichte über eine "Todesliste" der Zwickauer Terrorgruppe zurück. Es stimme zwar, dass eine Liste mit "über 10.000 Anschriften und Namen" entdeckt wurde, sagte Ziercke. Das sei aber keine "Todesliste". Alle auf der Liste verzeichneten Personen würden informiert mit dem Hinweis, dass es keinen Grund zur Besorgnis gebe. Die Liste stamme aus dem Jahr 2005, erklärte Ziercke weiter. Möglicherweise habe sie als seine Art "Planungsgrundlage" für mehrere Morde in den folgenden Jahren gedient.
Zugleich wurden Details über mutmaßliche Schlamperei bei den Ermittlungen zu der rechtsextremen Zwickauer Terror-Zelle bekannt. Das Landeskriminalamt Thüringen hatte nach einem Bericht des MDR 1998 kurz nach dem Untertauchen des Trios die Möglichkeit zum Zugriff auf die Rechtsextremisten. Kurz vor einem geplanten Zugriff des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei sei der Einsatz aber abgebrochen worden, berichtete der Sender. Es soll damals massive Beschwerden der zurückgepfiffenen Einsatzkräfte gegeben haben. Daraufhin habe ein Gespräch zwischen hohen Vertretern des Thüringer Innenministeriums und den betroffenen Polizisten stattgefunden. Nicht bekannt sei aber, ob die Beamten über den Grund des Abbruchs informiert wurden.