Rechte Gewalt:"Heute Nacht, definitiv, eskaliert es"

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Kam es in Chemnitz vor einem Jahr zu einer Hetzjagd? Ein Bericht des LKA legt nahe, dass der umstrittene Begriff berechtigt ist.

Von Lena Kampf, Sebastian Pittelkow und Katja Riedel, Berlin/Plauen

Gab es in Chemnitz bei den Ausschreitungen nach dem Tod von Daniel H. Hetzjagden auf Migranten? Über diese Frage stritt man im Land heftig, sie löste sogar eine Regierungskrise aus. Rechte und rechtsextreme Gruppen sowie die AfD hatten den tödlichen Messerangriff, für den vergangene Woche ein 24-jähriger Syrer vom Landgericht Chemnitz zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, politisch instrumentalisiert und zu sogenannten "Trauermärschen" aufgerufen. Demonstranten verübten dabei zahlreiche gewalttätige, rassistische Übergriffe, die teilweise auf Video aufgezeichnet wurden. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von "Hetzjagden" - Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen dagegen fand nicht, dass diese Übergriffe so zu bezeichnen seien - auf der "Basis aller Informationen", die ihm als Inlandsgeheimdienstchef damals zur Verfügung gestanden hätten, wie er der Bild-Zeitung sagte.

Recherchen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR zeigen nun allerdings, dass es gute Gründe gibt, die Tage von Chemnitz anders zu beurteilen, als Maaßen dies tut. In einem vertraulichen Bericht des sächsischen LKA sollen Ermittler zu der Einschätzung kommen, dass die Ausschreitungen durch "eine hohe Gewaltbereitschaft gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten, Personen mit tatsächlichem oder scheinbarem Migrationshintergrund, politischen Gegnern sowie Journalisten" geprägt waren. Demonstrationsteilnehmer sollen sich damals im Vorhinein gezielt dazu verabredet haben, Migranten und Linke anzugreifen. Das legen Chats von Beteiligten nahe, auf die das LKA bei Ermittlungen gegen die mutmaßliche Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" gestoßen war. In den Nachrichten, die von Handys bekannter Rechtsextremer aus dem Großraum Chemnitz stammen, finden sich demnach zahlreiche Formulierungen und Dialoge, die die Ermittler als Verabredungen zur Gewalt gegen Migranten und Linke deuten - und als Prahlereien über erfolgreiche Angriffe.

Chemnitz, 27. August 2018: Tausende demonstrierten lautstark, doch bestimmte Leute hatten offenbar von Anfang an anderes im Sinn. (Foto: Odd Andersen/AFP)

Die Lesart des LKAs legt die Formulierung "Hetzjagd" nahe: Die Planungen einiger Teilnehmer seien "nicht auf die Durchführung einer friedlichen Demonstration gerichtet" gewesen, soll es in dem Bericht heißen. Die Chats würden außerdem "die tatsächliche Umsetzung von Gewaltstraftaten gegen Ausländer" verdeutlichen. So soll ein Demonstrant, der sich offenbar in der Innenstadt von Chemnitz befand, bereits am Nachmittag des 26. August geschrieben haben, es gebe schon "übelst aufs Maul hier", und dass er "Bock" hätte, "Kanacken zu boxen". In einem anderen Chat soll es heißen, man glaube nicht, dass es "irgendwo Kanacken Schlachten geben wird". Etwas mehr als eine Stunde später habe sich der Schreiber korrigiert und von neuen Information gesprochen: "Heute Nacht, definitiv, eskaliert es."

Das Landeskriminalamt ermittelt in 138 Fällen möglicherweise rechts motivierter Gewalt

Der angebliche Rädelsführer der mutmaßlichen Terrorgruppe "Revolution Chemnitz", Christian K., soll ebenfalls am Nachmittag des 26. August versucht haben, Teilnehmer für die Demonstration zu mobilisieren. Einem Chatpartner soll er am frühen Abend mitgeteilt haben, er wisse noch nicht, wie es weiterginge, und dass er keine Information habe "ob noch eine Jagd ist".

Die Diskussion um den Begriff "Hetzjagd" hatte da noch nicht begonnen; Christian K. benutzte das Wort "Jagd" ohne Kenntnis des späteren Streits zwischen Maaßen und Seibert.

An den darauffolgenden Tagen sollen die Demonstrationsteilnehmer außerdem damit geprahlt haben, dass sie tatsächlich vermeintliche Migranten und Linke angegriffen hätten. So soll Christian K. in einem Chat am 28. August 2018 einem Bekannten geschrieben haben, dass es dem "neu Zugewanderten" nicht gut gehe, den er "erwischt" habe. Demselben Bekannten soll er einige Stunden später geschrieben haben, er sei in der Nähe des Zentrums, weil er dort "Kanacken mit Messern" vermute. Er hoffe, dass er vielleicht so noch mal "einen erwische wie gestern".

Auch nach einem weiteren Aufmarsch am 28. August 2018 soll Sten E., ein anderer Teilnehmer und späteres mutmaßliches Mitglied der Gruppe "Revolution Chemnitz", damit angegeben haben, dass er mit einem Freund nach der Demonstration an der Zentralhaltestelle "drei Kanacken, drei Rotzer, weggeklatscht" hätte. Die drei mutmaßlichen Migranten hätten angeblich Messer in der Hand gehabt.

Gegen Christian K. habe die Staatsanwaltschaft Chemnitz mittlerweile ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet, sagt das LKA auf Anfrage. Die Angaben zum vermeintlichen Übergriff durch Sten E. seien zu vage und hätten bisher nicht verifiziert werden können. Die Verteidiger der Angeschuldigten wollen die Vorfälle nicht kommentieren.

Das LKA war auf die Chats bei den Ermittlungen gegen die mutmaßliche Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" gestoßen. Diese plante im darauffolgenden Monat einen Anschlag in Berlin und zeigte sich dabei zu massiver Gewalt bereit. Der Generalbundesanwalt hat im Juni gegen sieben Mitglieder der Gruppe Anklage erhoben und wirft ihnen schwere staatsgefährdende Straftaten und die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Ein Prozessauftakt im Herbst wird erwartet. Reporter von SZ, WDR und NDR informierten Hans-Georg Maaßen bei einem Wahlkampftermin für die sächsische CDU am vergangenen Freitagabend in Plauen über den Inhalt der recherchierten Chatverläufe und die Schlussfolgerungen der sächsischen Ermittler. Ob er angesichts der Recherchen von seiner Bewertung aus dem Vorjahr abrücken werde? Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident bleibt jedoch bei seiner Version. "Es ist da zwar von Jagd gesprochen worden, aber ich weiß nicht, ob eine Person einer anderen Person nur nachgestellt hatte", sagt er. Er könne daraus nicht folgern, dass es Hetzjagden gegeben habe. Allerdings fügt er an: "Wenn dieser Chat von Jagd spricht, dann muss das aufgeklärt werden. Und die beiden Personen und mutmaßlichen Straftäter müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden." Das Landeskriminalamt ermittelte Stand Ende Juli im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Chemnitz in insgesamt 267 Fällen wegen Körperverletzungen, Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. 138 Fälle galten dabei als politisch rechts motiviert.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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