"Rat der Weisen" zum Atomausstieg:Töpfer sucht das Gegengift

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Die Atomdebatte spaltet die Nation: Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, der als Leiter der Ethikkommission live im TV schlichten soll, beklagt eine Vergiftung der Gesellschaft. Gleich bei der ersten öffentlichen Sitzung tut Eon-Chef Johannes Teyssen wenig dafür, das zu ändern - und hält ein Plädoyer für die Kernkraft.

Michael König

Heiner Geißler dürfte sich gefreut haben, falls er um neun Uhr morgens den Fernseher einschaltete. In Berlin tagte die Ethikkommission zum Ausstieg aus der Atomenergie erstmals öffentlich. Sie tat das an einem runden Tisch, mit kompetenten Gästen, einem straffen Zeitplan und unter Dauerbeobachtung durch den TV-Sender Phoenix. Sogar die Holzvertäfelung in dem Berliner Tagungszentrum schien dem Vorbild angepasst worden zu sein: der S21-Schlichtung in Stuttgart unter der Leitung des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Geißler.

Erste öffentliche Sitzung der Ethikkommission in Berlin: "Wir müssen uns bei den Zuschauern bedanken" (Foto: dapd)

Damals ging es um einen Bahnhof, diesmal um die Frage, wie viele Atomkraftwerke in Deutschland nach der Katastrophe von Fukushima dauerhaft vom Netz gehen sollen und bis wann der letzte der 17 deutschen Meiler abgeschaltet wird. "In den letzten drei Jahrzehnten gab es keine Frage, die so intensiv im Mittelpunkt stand, die so vergiftend war für unsere Gesellschaft", sagte Klaus Töpfer zu Beginn der Sitzung.

Der einstige Umweltminister leitet den "Rat der Weisen", der im Auftrag der Bundesregierung nach dem Gegengift sucht. Bis zum 28. Mai soll die mit 17 Mitgliedern besetzte Kommission - darunter einstige Politiker, Wirtschaftsführer, Vertreter der Kirchen und der Wissenschaft - eine Empfehlung aussprechen, wie die Energiewende in Deutschland zu bewerkstelligen ist, "ohne soziale Verwerfungen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden und ohne zusätzliche Belastungen für das Klima", wie Töpfer mahnte.

Beck greift den Eon-Chef an

Ein etatmäßiger Atomgegner ist in seiner Runde nicht vertreten, was Kritiker für einen Geburtsfehler der Kommission halten. Auch unter den sieben Experten suchte man einen Vertreter von Greenpeace oder BUND vergeblich. Stattdessen war Johannes Teyssen anwesend, der Chef des Energieversorgers Eon.

Ihm schräg gegenüber saß Matthias Kleiner, Wissenschaftler der TU Dortmund und Töpfers Ko-Leiter der Kommission. Der Politiker überließ ihm die Leitung der ersten Sitzung, und Kleiner bemühte sich, sie im Sinne Heiner Geißlers zu gestalten. "Ich würde Sie bitten, ungebräuchliche Fremdwörter gleich zu übersetzen oder sie gar nicht zu benutzen", mahnte Kleiner. Und erinnerte witzelnd an die Meuterei auf der Bounty vor genau 222 Jahren: "Damals gab es auch erregte Diskussionen. Ich hoffe aber, dass es hier etwas friedlicher bleibt."

Tatsächlich waren die ersten eineinhalb der insgesamt elfstündigen Sitzung so friedlich, dass man dem Kommissionsmitglied Ulrich Beck dankbar sein durfte, als er nach 82 Minuten in Richtung des Eon-Chefs Teyssen keilte: "Wie konnten Sie angesichts der Vorkommnisse in Tschernobyl bedenkenlos in die Kernenergie investieren?" Teyssen beugte sich nach vorn, blickte den Soziologen ernst an und gab zurück: "Woher wollen Sie wissen, dass ich bedenkenlos war?"

Er habe vier Kinder und wohne mit seiner Familie in der Nähe eines Kernkraftwerks, betonte Teyssen. "Wenn Sie wirklich glauben, dass uns das egal ist, dann greifen Sie etwas kurz." Wenn die Kommission sich entscheide, "einen fossileren Weg" der Energieerzeugung zu gehen, sei das außerdem auch nicht nachhaltig.

In seinem siebenminütigen Statement hatte Teyssen, dessen Unternehmen sich in der Atomdebatte bislang merklich zurückgehalten hatte, bekannte Argumente für die Kernkraft als Brückentechnologie aufgeführt: Deutschland müsse seine Verpflichtungen beim Klimaschutz einhalten, die ethischen Probleme dürften nicht in Nachbarländer ausgelagert werden, und der Wohlstand der Gesellschaft dürfe nicht durch Preissteigerungen gefährdet werden.

Klaus Töpfer vor Journalisten: Der ehemalige Umweltminister leitet die Ethikkomission gemeinsam mit dem Wissenschaftler Matthias Kleiner. (Foto: dpa)

"Eine kurze Brücke ist eine sinnlose Brücke", mahnte er. Nur mit der Kernenergie könne der Import von fossilem und von Atomstrom verhindert werden. "Diese Vorteile muss man im Auge behalten, bevor man sie leichtfertig beiseiteschiebt", betonte Teyssen. Die Brücke könne nicht beliebig kürzer und schmaler gemacht werden, "weil das Tal, das sie überbrücken soll, nicht beliebig verkleinert werden kann".

Wirklich neue Erkenntnisse ergaben sich daraus nicht, jedoch bereicherte Teyssen die Debatte durch seinen schnörkellosen Vortrag und einen Hauch von Humor: "Als Energiehändler bin ich kein Gegner höherer Preise", sagte Teyssen. "Bei meinem Einkommen steht es mir nicht zu, zu sagen, was ein durchschnittlicher Haushalt für Energie ausgeben kann."

Geißler hätte ihn gerüffelt

Andere Teilnehmer der Runde hatten große Mühe, klare Worte zu finden - vor allem die Befürworter des raschen Atomausstiegs taten sich schwer.

Michael Feist von den Stadtwerken Hannover präsentierte etwa eine kleinteilige Powerpoint-Folie und einen noch kleinteiligeren Vortrag, in dem er - verkürzt gesagt - darstellte, dass seine Firma ein hohes Energie-Einsparungspotential durch die Sanierung von Gebäuden sieht. Er benutzte dafür Begriffe wie "Volatilität", "Varianz" und "insignifikanter Einfluss", die ihm in der Stuttgart-21-Schlichtung einen deftigen Rüffel von Heiner Geißler eingebracht hätten. Kommissionsleiter Kleiner ermahnte den Redner immerhin, den Ausdruck "Volatilität" durch "Schwankungen" zu ersetzen.

Noch ausladender geriet der Vortrag von Dietmar Schütz vom Bundesverband Erneuerbare Energien, der über die "Degression der Einspeisevergütung" dozierte und seine Hoffnung äußerte, "das Ausbaugesetz in den Hemmungen des Bundesbaugesetzes durchzusetzen". Töpfer rieb sich derweil die Augen, sein Ko-Leiter Kleiner erinnerte anschließend lächelnd an das Gebot, Fremdwörter zu übersetzen.

Bemerkenswert auch der Auftritt von Franz-Georg Ripsch vom Deutschen Mieterbund, der zunächst einräumte, er habe "schriftlich nichts vorbereitet", weil er "erst gestern" von der Einladung in die Kommission erfahren habe. Sein Verband sei sich außerdem noch nicht einig, was die Atompolitik angehe - die Frage sei schlicht zu schwierig. Zur Gebäudesanierung hatte allerdings auch Ripsch einiges zu sagen.

Die Bedenken der "stromintensiven Industrie" trug Heinz-Peter Schlüter vor, Inhaber des Aluminium-Herstellers Trimet in Essen. Die Energieversorgung müsse jederzeit und dauerhaft gesichert sein, mahnte Schlüter: "Nach vier Stunden Stromausfall sind alles unsere Anlagen irreparabel zerstört." Schon heute zahle seine Branche die höchsten Preise in Europa, "und wir können unsere Kosten nicht an die Kunden weitergeben, weil wir im globalen Wettbewerb stehen".

"Wir brauchen eine faire Chance"

Schlüter schloss mit einem Appell: "Wir arbeiten und produzieren gerne in Deutschland, aber wir brauchen eine faire Chance und ein langfristiges Energiekonzept."

Nachdem alle sieben Expertenvorträge gehalten waren, schaffte es Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, das Dilemma der Veranstaltung auf den Punkt zu bringen. Vassiliadis war es, der die erste Frage an die Experten stellen durfte. Er dankte ihnen zunächst für das "Powerplay auf die Köpfe und Ohren unserer Zuschauer", um seine Frage dann in ein minutenlanges Statement zu verpacken.

"Diese Ausführlichkeit war das Privileg des Erstfragenden", warf Moderator Kleiner ein. Das Wort "Powerplay" übersetzte er nicht: Es bezeichnet eine Überzahlsituation im Eishockey, bei der eine Mannschaft überfordert ist. Klaus Töpfer kennt den Begriff vermutlich. Nach der Mittagspause sagte er in die Kamera: "Wir müssen uns vor allem bei den Zuschauern bedanken, die heute Morgen so gut durchgehalten haben."

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